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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868.

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Einleitung.
rung, die Angreifer durch die Aussicht auf Gewinn zum Sturme zu er-
muthigen. Indessen ist das nur die alte Barbarei, welche versucht, sich in
diesem letzten Schlupfwinkel noch eine Zeit lang wider die bessere Rechts-
ordnung zu halten. Ganz mit denselben schlechten Gründen hatte man
vordem den Stürmenden auch die Frauen in dem eroberten Platze Preis
gegeben. Was seiner Natur nach schändliches Unrecht ist, das darf auch
nicht als Belohnung versprochen und nicht als ein Mittel benutzt werden,
um den Pflichteifer leidenschaftlich aufzuregen.

Feindliches Vermögen im Seekrieg.

Viel zäher hat die alte Barbarei im Seekrieg der Aufnahme neuer,
das Privateigenthum auch im Kriege schützender Grundsätze widerstanden.
Sie ist hier vorzüglich von einem State vertheidigt worden, der in anderer
Hinsicht sich unläugbare Verdienste um die Ausbildung eines humaneren
Völkerrechts erworben hat, nämlich von England, der größten modernen
Seemacht.

Die englischen Staatsmänner und Rechtsgelehrten voraus behaupteten,
das Beuterecht, das im Landkriege besser aufgegeben werde, sei für den
Seekrieg nicht zu entbehren. Sie wiesen darauf hin, daß die Landmächte
in der Besitznahme und Eroberung des feindlichen Landes ein eingreifendes
und wirksames Zwangsmittel besitzen, um den feindlichen Stat zur Aner-
kennung ihrer Rechtsansprüche und Forderungen zu nöthigen, daß aber die
Seemächte dieses Zwangsmittels entbehren, weil ihre Macht auf die See
und die Seeküsten beschränkt sei. Sie gründeten auf diesen Unterschied
die Nothwendigkeit für die Seestaten, nach einem andern Zwangsmittel zu
greifen, und als solches, meinten sie, biete sich nur die Unterdrückung des
Seehandels und die Wegnahme der feindlichen Schiffe und Kaufwaaren
an. Allein niemals kann die Schwäche der rechtmäßigen Kriegsmittel ein
Grund sein, um die Zulässigkeit unrechtmäßiger Kriegsmittel zu rechtfer-
tigen. So wenig der Finanzmann, dem es nicht gelungen ist, ein Dar-
lehen abzuschließen, die leeren Statscassen dadurch füllen darf, daß er den
Reichen all ihr Geld wegnehmen läßt, so wenig darf der Kriegsmann des-
halb das Privatgut zur See berauben, weil die Kanonen seiner Schiffe
nicht ins Innere des Landes wirken. Die Kaufleute des feindlichen States
sind als solche keine Feinde, weder der Seemacht noch der Landmacht gegen-
über; und wenn diese genöthigt ist, ihr Privatrecht zu achten, so liegt der
Seemacht ganz dieselbe Pflicht ob aus ganz denselben Gründen. Die frü-

Einleitung.
rung, die Angreifer durch die Ausſicht auf Gewinn zum Sturme zu er-
muthigen. Indeſſen iſt das nur die alte Barbarei, welche verſucht, ſich in
dieſem letzten Schlupfwinkel noch eine Zeit lang wider die beſſere Rechts-
ordnung zu halten. Ganz mit denſelben ſchlechten Gründen hatte man
vordem den Stürmenden auch die Frauen in dem eroberten Platze Preis
gegeben. Was ſeiner Natur nach ſchändliches Unrecht iſt, das darf auch
nicht als Belohnung verſprochen und nicht als ein Mittel benutzt werden,
um den Pflichteifer leidenſchaftlich aufzuregen.

Feindliches Vermögen im Seekrieg.

Viel zäher hat die alte Barbarei im Seekrieg der Aufnahme neuer,
das Privateigenthum auch im Kriege ſchützender Grundſätze widerſtanden.
Sie iſt hier vorzüglich von einem State vertheidigt worden, der in anderer
Hinſicht ſich unläugbare Verdienſte um die Ausbildung eines humaneren
Völkerrechts erworben hat, nämlich von England, der größten modernen
Seemacht.

Die engliſchen Staatsmänner und Rechtsgelehrten voraus behaupteten,
das Beuterecht, das im Landkriege beſſer aufgegeben werde, ſei für den
Seekrieg nicht zu entbehren. Sie wieſen darauf hin, daß die Landmächte
in der Beſitznahme und Eroberung des feindlichen Landes ein eingreifendes
und wirkſames Zwangsmittel beſitzen, um den feindlichen Stat zur Aner-
kennung ihrer Rechtsanſprüche und Forderungen zu nöthigen, daß aber die
Seemächte dieſes Zwangsmittels entbehren, weil ihre Macht auf die See
und die Seeküſten beſchränkt ſei. Sie gründeten auf dieſen Unterſchied
die Nothwendigkeit für die Seeſtaten, nach einem andern Zwangsmittel zu
greifen, und als ſolches, meinten ſie, biete ſich nur die Unterdrückung des
Seehandels und die Wegnahme der feindlichen Schiffe und Kaufwaaren
an. Allein niemals kann die Schwäche der rechtmäßigen Kriegsmittel ein
Grund ſein, um die Zuläſſigkeit unrechtmäßiger Kriegsmittel zu rechtfer-
tigen. So wenig der Finanzmann, dem es nicht gelungen iſt, ein Dar-
lehen abzuſchließen, die leeren Statscaſſen dadurch füllen darf, daß er den
Reichen all ihr Geld wegnehmen läßt, ſo wenig darf der Kriegsmann des-
halb das Privatgut zur See berauben, weil die Kanonen ſeiner Schiffe
nicht ins Innere des Landes wirken. Die Kaufleute des feindlichen States
ſind als ſolche keine Feinde, weder der Seemacht noch der Landmacht gegen-
über; und wenn dieſe genöthigt iſt, ihr Privatrecht zu achten, ſo liegt der
Seemacht ganz dieſelbe Pflicht ob aus ganz denſelben Gründen. Die frü-

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[40/0062] Einleitung. rung, die Angreifer durch die Ausſicht auf Gewinn zum Sturme zu er- muthigen. Indeſſen iſt das nur die alte Barbarei, welche verſucht, ſich in dieſem letzten Schlupfwinkel noch eine Zeit lang wider die beſſere Rechts- ordnung zu halten. Ganz mit denſelben ſchlechten Gründen hatte man vordem den Stürmenden auch die Frauen in dem eroberten Platze Preis gegeben. Was ſeiner Natur nach ſchändliches Unrecht iſt, das darf auch nicht als Belohnung verſprochen und nicht als ein Mittel benutzt werden, um den Pflichteifer leidenſchaftlich aufzuregen. Feindliches Vermögen im Seekrieg. Viel zäher hat die alte Barbarei im Seekrieg der Aufnahme neuer, das Privateigenthum auch im Kriege ſchützender Grundſätze widerſtanden. Sie iſt hier vorzüglich von einem State vertheidigt worden, der in anderer Hinſicht ſich unläugbare Verdienſte um die Ausbildung eines humaneren Völkerrechts erworben hat, nämlich von England, der größten modernen Seemacht. Die engliſchen Staatsmänner und Rechtsgelehrten voraus behaupteten, das Beuterecht, das im Landkriege beſſer aufgegeben werde, ſei für den Seekrieg nicht zu entbehren. Sie wieſen darauf hin, daß die Landmächte in der Beſitznahme und Eroberung des feindlichen Landes ein eingreifendes und wirkſames Zwangsmittel beſitzen, um den feindlichen Stat zur Aner- kennung ihrer Rechtsanſprüche und Forderungen zu nöthigen, daß aber die Seemächte dieſes Zwangsmittels entbehren, weil ihre Macht auf die See und die Seeküſten beſchränkt ſei. Sie gründeten auf dieſen Unterſchied die Nothwendigkeit für die Seeſtaten, nach einem andern Zwangsmittel zu greifen, und als ſolches, meinten ſie, biete ſich nur die Unterdrückung des Seehandels und die Wegnahme der feindlichen Schiffe und Kaufwaaren an. Allein niemals kann die Schwäche der rechtmäßigen Kriegsmittel ein Grund ſein, um die Zuläſſigkeit unrechtmäßiger Kriegsmittel zu rechtfer- tigen. So wenig der Finanzmann, dem es nicht gelungen iſt, ein Dar- lehen abzuſchließen, die leeren Statscaſſen dadurch füllen darf, daß er den Reichen all ihr Geld wegnehmen läßt, ſo wenig darf der Kriegsmann des- halb das Privatgut zur See berauben, weil die Kanonen ſeiner Schiffe nicht ins Innere des Landes wirken. Die Kaufleute des feindlichen States ſind als ſolche keine Feinde, weder der Seemacht noch der Landmacht gegen- über; und wenn dieſe genöthigt iſt, ihr Privatrecht zu achten, ſo liegt der Seemacht ganz dieſelbe Pflicht ob aus ganz denſelben Gründen. Die frü-

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/62>, abgerufen am 26.04.2024.