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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 5. Paris, 1834.

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"zigen Worte prächtige Antworten geben, man konnte
"uns antworten: Marengo! Jena! Austerlitz!"

"Damals, ich wiederhole es, war es groß; heute
"ist es klein. Wie damals gehen wir der Willkühr
"entgegen, aber wir sind keine Kolossen mehr. Un¬
"sere Regierung ist keine solche, die uns über den
"Verlust unserer Freiheit zu trösten versteht. Be¬
"trifft es die Kunst -- wir entstellen die Tuilerien;
"betrifft es den Ruhm -- wir lassen Polen unter¬
"gehen. Doch hindert das unsere kleinen Staats¬
"männer nicht, die Freiheit zu behandeln, als wenn
"sie wie Despoten gewachsen wären; Frankreich un¬
"ter ihre Füße zu stellen, als hätten sie Schultern
"die Welt zu tragen. Wenn das noch wenige Zeit
"so fortgeht, wenn die vorgeschlagenen Gesetze ange¬
"nommen werden, wird der Raub aller unserer Frei¬
"heiten vollendet werden. Heute läßt man mir von
"einem Censor die Freiheit des Dichters nehmen,
"morgen wird man mir durch Gensdarmen die Frei¬
"heit des Bürgers nehmen lassen. Heute verbannt
"man mich vom Theater, morgen wird man mich
"aus dem Lande verbannen. Heute knebelt man
"mich, morgen wird man mich deportiren; heute der
"Belagerungs-Zustand in der Literatur, morgen in
"der Stadt. Von Freiheit, Garantien, Charte,

V. 10

„zigen Worte prächtige Antworten geben, man konnte
„uns antworten: Marengo! Jena! Auſterlitz!“

„Damals, ich wiederhole es, war es groß; heute
„iſt es klein. Wie damals gehen wir der Willkühr
„entgegen, aber wir ſind keine Koloſſen mehr. Un¬
„ſere Regierung iſt keine ſolche, die uns über den
„Verluſt unſerer Freiheit zu tröſten verſteht. Be¬
„trifft es die Kunſt — wir entſtellen die Tuilerien;
„betrifft es den Ruhm — wir laſſen Polen unter¬
„gehen. Doch hindert das unſere kleinen Staats¬
„männer nicht, die Freiheit zu behandeln, als wenn
„ſie wie Despoten gewachſen wären; Frankreich un¬
„ter ihre Füße zu ſtellen, als hätten ſie Schultern
„die Welt zu tragen. Wenn das noch wenige Zeit
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„nommen werden, wird der Raub aller unſerer Frei¬
„heiten vollendet werden. Heute läßt man mir von
„einem Cenſor die Freiheit des Dichters nehmen,
„morgen wird man mir durch Gensdarmen die Frei¬
„heit des Bürgers nehmen laſſen. Heute verbannt
„man mich vom Theater, morgen wird man mich
„aus dem Lande verbannen. Heute knebelt man
„mich, morgen wird man mich deportiren; heute der
„Belagerungs-Zuſtand in der Literatur, morgen in
„der Stadt. Von Freiheit, Garantien, Chárte,

V. 10
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[145/0157] „zigen Worte prächtige Antworten geben, man konnte „uns antworten: Marengo! Jena! Auſterlitz!“ „Damals, ich wiederhole es, war es groß; heute „iſt es klein. Wie damals gehen wir der Willkühr „entgegen, aber wir ſind keine Koloſſen mehr. Un¬ „ſere Regierung iſt keine ſolche, die uns über den „Verluſt unſerer Freiheit zu tröſten verſteht. Be¬ „trifft es die Kunſt — wir entſtellen die Tuilerien; „betrifft es den Ruhm — wir laſſen Polen unter¬ „gehen. Doch hindert das unſere kleinen Staats¬ „männer nicht, die Freiheit zu behandeln, als wenn „ſie wie Despoten gewachſen wären; Frankreich un¬ „ter ihre Füße zu ſtellen, als hätten ſie Schultern „die Welt zu tragen. Wenn das noch wenige Zeit „ſo fortgeht, wenn die vorgeſchlagenen Geſetze ange¬ „nommen werden, wird der Raub aller unſerer Frei¬ „heiten vollendet werden. Heute läßt man mir von „einem Cenſor die Freiheit des Dichters nehmen, „morgen wird man mir durch Gensdarmen die Frei¬ „heit des Bürgers nehmen laſſen. Heute verbannt „man mich vom Theater, morgen wird man mich „aus dem Lande verbannen. Heute knebelt man „mich, morgen wird man mich deportiren; heute der „Belagerungs-Zuſtand in der Literatur, morgen in „der Stadt. Von Freiheit, Garantien, Chárte, V. 10

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Zitationshilfe: Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 5. Paris, 1834, S. 145. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris05_1834/157>, abgerufen am 26.04.2024.