Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Chamisso, Adelbert von: Peter Schlemihl’s wundersame Geschichte. In: Adelbert von Chamisso's Werke. Bd. 4. Leipzig, 1836. S. 225-327.

Bild:
<< vorherige Seite
XI.

Als ich einst auf Nordlands Küsten, meine Stiefel ge-
hemmt, Flechten und Algen sammelte, trat mir unversehens
um die Ecke eines Felsens ein Eisbär entgegen. Ich
wollte, nach weggeworfenen Pantoffeln, auf eine gegenüber
liegende Insel treten, zu der mir ein dazwischen aus den
Wellen hervorragender nackter Felsen den Uebergang bahnte.
Ich trat mit dem einen Fuß auf den Felsen fest auf,
und stürzte auf der andern Seite in das Meer, weil
mir unbemerkt der Pantoffel am anderen Fuß haften ge-
blieben war.

Die große Kälte ergriff mich, ich rettete mit Mühe
mein Leben aus dieser Gefahr; sobald ich Land hielt, lief
ich, so schnell ich konnte, nach der Libyschen Wüste, um
mich da an der Sonne zu trocknen. Wie ich ihr aber
ausgesetzt war, brannte sie mir so heiß auf den Kopf, daß
ich sehr krank wieder nach Norden taumelte. Ich suchte
durch heftige Bewegung mir Erleichterung zu verschaffen,
und lief mit unsichern raschen Schritten von Westen nach
Osten und von Osten nach Westen. Ich befand mich
bald in dem Tag und bald in der Nacht; bald im Som-
mer und bald in der Winterkälte.

XI.

Als ich einſt auf Nordlands Kuͤſten, meine Stiefel ge-
hemmt, Flechten und Algen ſammelte, trat mir unverſehens
um die Ecke eines Felſens ein Eisbaͤr entgegen. Ich
wollte, nach weggeworfenen Pantoffeln, auf eine gegenuͤber
liegende Inſel treten, zu der mir ein dazwiſchen aus den
Wellen hervorragender nackter Felſen den Uebergang bahnte.
Ich trat mit dem einen Fuß auf den Felſen feſt auf,
und ſtuͤrzte auf der andern Seite in das Meer, weil
mir unbemerkt der Pantoffel am anderen Fuß haften ge-
blieben war.

Die große Kaͤlte ergriff mich, ich rettete mit Muͤhe
mein Leben aus dieſer Gefahr; ſobald ich Land hielt, lief
ich, ſo ſchnell ich konnte, nach der Libyſchen Wuͤſte, um
mich da an der Sonne zu trocknen. Wie ich ihr aber
ausgeſetzt war, brannte ſie mir ſo heiß auf den Kopf, daß
ich ſehr krank wieder nach Norden taumelte. Ich ſuchte
durch heftige Bewegung mir Erleichterung zu verſchaffen,
und lief mit unſichern raſchen Schritten von Weſten nach
Oſten und von Oſten nach Weſten. Ich befand mich
bald in dem Tag und bald in der Nacht; bald im Som-
mer und bald in der Winterkaͤlte.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0110"/>
        <div n="1">
          <head> <hi rendition="#aq">XI.</hi> </head><lb/>
          <p>Als ich ein&#x017F;t auf Nordlands Ku&#x0364;&#x017F;ten, meine Stiefel ge-<lb/>
hemmt, Flechten und Algen &#x017F;ammelte, trat mir unver&#x017F;ehens<lb/>
um die Ecke eines Fel&#x017F;ens ein Eisba&#x0364;r entgegen. Ich<lb/>
wollte, nach weggeworfenen Pantoffeln, auf eine gegenu&#x0364;ber<lb/>
liegende In&#x017F;el treten, zu der mir ein dazwi&#x017F;chen aus den<lb/>
Wellen hervorragender nackter Fel&#x017F;en den Uebergang bahnte.<lb/>
Ich trat mit dem einen Fuß auf den Fel&#x017F;en fe&#x017F;t auf,<lb/>
und &#x017F;tu&#x0364;rzte auf der andern Seite in das Meer, weil<lb/>
mir unbemerkt der Pantoffel am anderen Fuß haften ge-<lb/>
blieben war.</p><lb/>
          <p>Die große Ka&#x0364;lte ergriff mich, ich rettete mit Mu&#x0364;he<lb/>
mein Leben aus die&#x017F;er Gefahr; &#x017F;obald ich Land hielt, lief<lb/>
ich, &#x017F;o &#x017F;chnell ich konnte, nach der Liby&#x017F;chen Wu&#x0364;&#x017F;te, um<lb/>
mich da an der Sonne zu trocknen. Wie ich ihr aber<lb/>
ausge&#x017F;etzt war, brannte &#x017F;ie mir &#x017F;o heiß auf den Kopf, daß<lb/>
ich &#x017F;ehr krank wieder nach Norden taumelte. Ich &#x017F;uchte<lb/>
durch heftige Bewegung mir Erleichterung zu ver&#x017F;chaffen,<lb/>
und lief mit un&#x017F;ichern ra&#x017F;chen Schritten von We&#x017F;ten nach<lb/>
O&#x017F;ten und von O&#x017F;ten nach We&#x017F;ten. Ich befand mich<lb/>
bald in dem Tag und bald in der Nacht; bald im Som-<lb/>
mer und bald in der Winterka&#x0364;lte.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0110] XI. Als ich einſt auf Nordlands Kuͤſten, meine Stiefel ge- hemmt, Flechten und Algen ſammelte, trat mir unverſehens um die Ecke eines Felſens ein Eisbaͤr entgegen. Ich wollte, nach weggeworfenen Pantoffeln, auf eine gegenuͤber liegende Inſel treten, zu der mir ein dazwiſchen aus den Wellen hervorragender nackter Felſen den Uebergang bahnte. Ich trat mit dem einen Fuß auf den Felſen feſt auf, und ſtuͤrzte auf der andern Seite in das Meer, weil mir unbemerkt der Pantoffel am anderen Fuß haften ge- blieben war. Die große Kaͤlte ergriff mich, ich rettete mit Muͤhe mein Leben aus dieſer Gefahr; ſobald ich Land hielt, lief ich, ſo ſchnell ich konnte, nach der Libyſchen Wuͤſte, um mich da an der Sonne zu trocknen. Wie ich ihr aber ausgeſetzt war, brannte ſie mir ſo heiß auf den Kopf, daß ich ſehr krank wieder nach Norden taumelte. Ich ſuchte durch heftige Bewegung mir Erleichterung zu verſchaffen, und lief mit unſichern raſchen Schritten von Weſten nach Oſten und von Oſten nach Weſten. Ich befand mich bald in dem Tag und bald in der Nacht; bald im Som- mer und bald in der Winterkaͤlte.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/19_ZZ_2749
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/19_ZZ_2749/110
Zitationshilfe: Chamisso, Adelbert von: Peter Schlemihl’s wundersame Geschichte. In: Adelbert von Chamisso's Werke. Bd. 4. Leipzig, 1836. S. 225-327, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/19_ZZ_2749/110>, abgerufen am 27.04.2024.