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Arent, Wilhelm (Hrsg.): Moderne Dichter-Charaktere. Leipzig, [1885].

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Hermann Conradi.
Zieh' ein, o Schmerz,
Und pflanze in's Herz
Der Weltenräthsel Erkenntniß!
Was gesucht ich so lang'
In glühendem Drang,
Entschlei're in ernstem Geständniß!
Zieh' ein, o Schmerz,
Entsünd'ge dies Herz --
Ich geb' es besiegt dir zu eigen! --
Bis in flammender Pracht
Aus Schlünden der Nacht
Der Erlösung Sonne wird steigen!


Verlassen!

Originalbeitrag.

Im Morgengrauen ging ich fort --
Nebel lag in den Gassen --
In Qualen war mir das Herz verdorrt,
Die Lippe sprach kein Abschiedswort --
Sie stöhnte nur leise: Verlassen!
Verlassen! Kennt ihr das Marterwort? --
Das frißt wie verruchte Schande! . .
In Qualen war mir das Herz verdorrt --
Im Morgengrauen ging ich fort,
Hinaus in die dämmernden Lande ...
Entgegen dem jungen Maientag --
Das war ein seltsam Passen!
Mählich wurde die Welt nun wach -- --
Was sollt' mir der junge Frühlingstag? --
Ich stöhnte nur leise: Verlassen!



7
Hermann Conradi.
Zieh’ ein, o Schmerz,
Und pflanze in’s Herz
Der Weltenräthſel Erkenntniß!
Was geſucht ich ſo lang’
In glühendem Drang,
Entſchlei’re in ernſtem Geſtändniß!
Zieh’ ein, o Schmerz,
Entſünd’ge dies Herz —
Ich geb’ es beſiegt dir zu eigen! —
Bis in flammender Pracht
Aus Schlünden der Nacht
Der Erlöſung Sonne wird ſteigen!


Verlaſſen!

Originalbeitrag.

Im Morgengrauen ging ich fort —
Nebel lag in den Gaſſen —
In Qualen war mir das Herz verdorrt,
Die Lippe ſprach kein Abſchiedswort —
Sie ſtöhnte nur leiſe: Verlaſſen!
Verlaſſen! Kennt ihr das Marterwort? —
Das frißt wie verruchte Schande! . .
In Qualen war mir das Herz verdorrt —
Im Morgengrauen ging ich fort,
Hinaus in die dämmernden Lande …
Entgegen dem jungen Maientag —
Das war ein ſeltſam Paſſen!
Mählich wurde die Welt nun wach — —
Was ſollt’ mir der junge Frühlingstag? —
Ich ſtöhnte nur leiſe: Verlaſſen!



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[97/0115] Hermann Conradi. Zieh’ ein, o Schmerz, Und pflanze in’s Herz Der Weltenräthſel Erkenntniß! Was geſucht ich ſo lang’ In glühendem Drang, Entſchlei’re in ernſtem Geſtändniß! Zieh’ ein, o Schmerz, Entſünd’ge dies Herz — Ich geb’ es beſiegt dir zu eigen! — Bis in flammender Pracht Aus Schlünden der Nacht Der Erlöſung Sonne wird ſteigen! Verlaſſen! Originalbeitrag. Im Morgengrauen ging ich fort — Nebel lag in den Gaſſen — In Qualen war mir das Herz verdorrt, Die Lippe ſprach kein Abſchiedswort — Sie ſtöhnte nur leiſe: Verlaſſen! Verlaſſen! Kennt ihr das Marterwort? — Das frißt wie verruchte Schande! . . In Qualen war mir das Herz verdorrt — Im Morgengrauen ging ich fort, Hinaus in die dämmernden Lande … Entgegen dem jungen Maientag — Das war ein ſeltſam Paſſen! Mählich wurde die Welt nun wach — — Was ſollt’ mir der junge Frühlingstag? — Ich ſtöhnte nur leiſe: Verlaſſen! 7

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Zitationshilfe: Arent, Wilhelm (Hrsg.): Moderne Dichter-Charaktere. Leipzig, [1885], S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arent_dichtercharaktere_1885/115>, abgerufen am 26.04.2024.