Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

Über Musik lasse ich Dich nicht los. Du sollst
mir bekennen, ob Du mich liebst, Du sollst sagen, daß
Du Dich von ihr durchdrungen fühlst. Der Schlosser
hat Generalbaß studiert, um ihn Dir beizubringen, und
Du hast Dich gewehrt, wie er sagt, gegen die kleine
Sept
, und hast gesagt: bleibt mir mit Eurer Sept
vom Leibe, wenn Ihr sie nicht in Reih' und Glied könnt'
aufstellen, wenn sie nicht einklingt in die so bündig ab-
geschlossnen Gesetze der Harmonie, wenn sie nicht ihren
sinnlich natürlichen Ursprung hat, so gut wie die an-
dern Töne, -- und Du hast den verdutzten Missionair
zu deinem heidnischen Tempel hinausgejagt und bleibst
einstweilen bei deiner Lydischen Tonart, die keine Sept
hat. -- Aber Du mußt ein Christ werden, Heide! -- Die
Sept klingt freilich nicht ein, und ohne sinnliche Basis;
sie ist der göttliche Führer, Vermittler der sinnlichen Na-
tur mit der Himmlischen; sie ist übersinnlich, sie führt
in die Geisterwelt, sie hat Fleisch und Bein angenom-
men, um den Geist vom Fleisch zu befreien, sie ist zum
Ton geworden, um den Tönen den Geist zu geben, und
wenn sie nicht wär', so würden alle Töne in der Vor-
hölle sitzen bleiben. Bilde Dir nur nicht ein, daß die
Grundaccorde was Gescheuteres wären, als die Erzvä-

ter

Über Muſik laſſe ich Dich nicht los. Du ſollſt
mir bekennen, ob Du mich liebſt, Du ſollſt ſagen, daß
Du Dich von ihr durchdrungen fühlſt. Der Schloſſer
hat Generalbaß ſtudiert, um ihn Dir beizubringen, und
Du haſt Dich gewehrt, wie er ſagt, gegen die kleine
Sept
, und haſt geſagt: bleibt mir mit Eurer Sept
vom Leibe, wenn Ihr ſie nicht in Reih' und Glied könnt'
aufſtellen, wenn ſie nicht einklingt in die ſo bündig ab-
geſchloſſnen Geſetze der Harmonie, wenn ſie nicht ihren
ſinnlich natürlichen Urſprung hat, ſo gut wie die an-
dern Töne, — und Du haſt den verdutzten Miſſionair
zu deinem heidniſchen Tempel hinausgejagt und bleibſt
einſtweilen bei deiner Lydiſchen Tonart, die keine Sept
hat. — Aber Du mußt ein Chriſt werden, Heide! — Die
Sept klingt freilich nicht ein, und ohne ſinnliche Baſis;
ſie iſt der göttliche Führer, Vermittler der ſinnlichen Na-
tur mit der Himmliſchen; ſie iſt überſinnlich, ſie führt
in die Geiſterwelt, ſie hat Fleiſch und Bein angenom-
men, um den Geiſt vom Fleiſch zu befreien, ſie iſt zum
Ton geworden, um den Tönen den Geiſt zu geben, und
wenn ſie nicht wär', ſo würden alle Töne in der Vor-
hölle ſitzen bleiben. Bilde Dir nur nicht ein, daß die
Grundaccorde was Geſcheuteres wären, als die Erzvä-

ter
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0296" n="264"/>
        <div n="2">
          <dateline> <hi rendition="#et">Am 24. Juli.</hi> </dateline><lb/>
          <p>Über Mu&#x017F;ik la&#x017F;&#x017F;e ich Dich nicht los. Du &#x017F;oll&#x017F;t<lb/>
mir bekennen, ob Du mich lieb&#x017F;t, Du &#x017F;oll&#x017F;t &#x017F;agen, daß<lb/>
Du Dich von ihr durchdrungen fühl&#x017F;t. Der Schlo&#x017F;&#x017F;er<lb/>
hat Generalbaß &#x017F;tudiert, um ihn Dir beizubringen, und<lb/>
Du ha&#x017F;t Dich gewehrt, wie er &#x017F;agt, gegen die <hi rendition="#g">kleine<lb/>
Sept</hi>, und ha&#x017F;t ge&#x017F;agt: bleibt mir mit Eurer Sept<lb/>
vom Leibe, wenn Ihr &#x017F;ie nicht in Reih' und Glied könnt'<lb/>
auf&#x017F;tellen, wenn &#x017F;ie nicht einklingt in die &#x017F;o bündig ab-<lb/>
ge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;nen Ge&#x017F;etze der Harmonie, wenn &#x017F;ie nicht ihren<lb/>
&#x017F;innlich natürlichen Ur&#x017F;prung hat, &#x017F;o gut wie die an-<lb/>
dern Töne, &#x2014; und Du ha&#x017F;t den verdutzten Mi&#x017F;&#x017F;ionair<lb/>
zu deinem heidni&#x017F;chen Tempel hinausgejagt und bleib&#x017F;t<lb/>
ein&#x017F;tweilen bei deiner Lydi&#x017F;chen Tonart, die keine Sept<lb/>
hat. &#x2014; Aber Du mußt ein Chri&#x017F;t werden, Heide! &#x2014; Die<lb/>
Sept klingt freilich nicht ein, und ohne &#x017F;innliche Ba&#x017F;is;<lb/>
&#x017F;ie i&#x017F;t der göttliche Führer, Vermittler der &#x017F;innlichen Na-<lb/>
tur mit der Himmli&#x017F;chen; &#x017F;ie i&#x017F;t über&#x017F;innlich, &#x017F;ie führt<lb/>
in die Gei&#x017F;terwelt, &#x017F;ie hat Flei&#x017F;ch und Bein angenom-<lb/>
men, um den Gei&#x017F;t vom Flei&#x017F;ch zu befreien, &#x017F;ie i&#x017F;t zum<lb/>
Ton geworden, um den Tönen den Gei&#x017F;t zu geben, und<lb/>
wenn &#x017F;ie nicht wär', &#x017F;o würden alle Töne in der Vor-<lb/>
hölle &#x017F;itzen bleiben. Bilde Dir nur nicht ein, daß die<lb/>
Grundaccorde was Ge&#x017F;cheuteres wären, als die Erzvä-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">ter</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[264/0296] Am 24. Juli. Über Muſik laſſe ich Dich nicht los. Du ſollſt mir bekennen, ob Du mich liebſt, Du ſollſt ſagen, daß Du Dich von ihr durchdrungen fühlſt. Der Schloſſer hat Generalbaß ſtudiert, um ihn Dir beizubringen, und Du haſt Dich gewehrt, wie er ſagt, gegen die kleine Sept, und haſt geſagt: bleibt mir mit Eurer Sept vom Leibe, wenn Ihr ſie nicht in Reih' und Glied könnt' aufſtellen, wenn ſie nicht einklingt in die ſo bündig ab- geſchloſſnen Geſetze der Harmonie, wenn ſie nicht ihren ſinnlich natürlichen Urſprung hat, ſo gut wie die an- dern Töne, — und Du haſt den verdutzten Miſſionair zu deinem heidniſchen Tempel hinausgejagt und bleibſt einſtweilen bei deiner Lydiſchen Tonart, die keine Sept hat. — Aber Du mußt ein Chriſt werden, Heide! — Die Sept klingt freilich nicht ein, und ohne ſinnliche Baſis; ſie iſt der göttliche Führer, Vermittler der ſinnlichen Na- tur mit der Himmliſchen; ſie iſt überſinnlich, ſie führt in die Geiſterwelt, ſie hat Fleiſch und Bein angenom- men, um den Geiſt vom Fleiſch zu befreien, ſie iſt zum Ton geworden, um den Tönen den Geiſt zu geben, und wenn ſie nicht wär', ſo würden alle Töne in der Vor- hölle ſitzen bleiben. Bilde Dir nur nicht ein, daß die Grundaccorde was Geſcheuteres wären, als die Erzvä- ter

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/296
Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 264. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/296>, abgerufen am 26.04.2024.