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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835.

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Tessin, der Adda und Inn, worunter der Rhein der
schönste und berühmteste, so ist Goethe auch der be-
rühmteste und schönste vor Herder, Schiller und Wie-
land; und da wo der Rhein den Bodensee bildet, das
ist die liebenswürdige Allgemeinheit Goethe's, wo sein
Geist von den drei Quellen noch gleichmäßig durchdrun-
gen ist, da, wo er sich über die entgegenstaunenden Fel-
sen stürzt: das ist sein trotzig Überwinden der Vorur-
theile, sein heidnisch Wesen, das braus't tüchtig auf und
ist tumultuarisch begeistert; da kommen seine Xenien
und Epigramme, seine Naturansichten, die den alten
Philistern ins Gesicht schlagen, und seine philosophischen
und religiösen Richtungen, die sprudeln und toben zwi-
schen dem engen Felsverhak des Widerspruchs und der
Vorurtheile so fort, und mildern sich dann allmählig;
nun aber kömmt noch der beste Vergleich: Die Flüsse
die er aufnimmt: die Limmat, die Thur, die Reuß, die
Ill, die Lauter, die Queich, lauter weibliche Flüsse, das
sind die Liebschaften, so gehts immer fort bis zur letzten
Station. Die Selz, die Nahe, die Saar, die Mosel,
die Nette, die Ahr; -- nun kommen sie ihm vom
Schwarzwald zugelaufen und von der rauen Alpe, --
lauter Flußjungfern: die Elz, die Treisam, die Kinzig,
die Murg, die Kraich, dann die Reus, die Jaxt; aus

Teſſin, der Adda und Inn, worunter der Rhein der
ſchönſte und berühmteſte, ſo iſt Goethe auch der be-
rühmteſte und ſchönſte vor Herder, Schiller und Wie-
land; und da wo der Rhein den Bodenſee bildet, das
iſt die liebenswürdige Allgemeinheit Goethe's, wo ſein
Geiſt von den drei Quellen noch gleichmäßig durchdrun-
gen iſt, da, wo er ſich über die entgegenſtaunenden Fel-
ſen ſtürzt: das iſt ſein trotzig Überwinden der Vorur-
theile, ſein heidniſch Weſen, das brauſ't tüchtig auf und
iſt tumultuariſch begeiſtert; da kommen ſeine Xenien
und Epigramme, ſeine Naturanſichten, die den alten
Philiſtern ins Geſicht ſchlagen, und ſeine philoſophiſchen
und religiöſen Richtungen, die ſprudeln und toben zwi-
ſchen dem engen Felsverhak des Widerſpruchs und der
Vorurtheile ſo fort, und mildern ſich dann allmählig;
nun aber kömmt noch der beſte Vergleich: Die Flüſſe
die er aufnimmt: die Limmat, die Thur, die Reuß, die
Ill, die Lauter, die Queich, lauter weibliche Flüſſe, das
ſind die Liebſchaften, ſo gehts immer fort bis zur letzten
Station. Die Selz, die Nahe, die Saar, die Moſel,
die Nette, die Ahr; — nun kommen ſie ihm vom
Schwarzwald zugelaufen und von der rauen Alpe, —
lauter Flußjungfern: die Elz, die Treiſam, die Kinzig,
die Murg, die Kraich, dann die Reus, die Jaxt; aus

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[246/0278] Teſſin, der Adda und Inn, worunter der Rhein der ſchönſte und berühmteſte, ſo iſt Goethe auch der be- rühmteſte und ſchönſte vor Herder, Schiller und Wie- land; und da wo der Rhein den Bodenſee bildet, das iſt die liebenswürdige Allgemeinheit Goethe's, wo ſein Geiſt von den drei Quellen noch gleichmäßig durchdrun- gen iſt, da, wo er ſich über die entgegenſtaunenden Fel- ſen ſtürzt: das iſt ſein trotzig Überwinden der Vorur- theile, ſein heidniſch Weſen, das brauſ't tüchtig auf und iſt tumultuariſch begeiſtert; da kommen ſeine Xenien und Epigramme, ſeine Naturanſichten, die den alten Philiſtern ins Geſicht ſchlagen, und ſeine philoſophiſchen und religiöſen Richtungen, die ſprudeln und toben zwi- ſchen dem engen Felsverhak des Widerſpruchs und der Vorurtheile ſo fort, und mildern ſich dann allmählig; nun aber kömmt noch der beſte Vergleich: Die Flüſſe die er aufnimmt: die Limmat, die Thur, die Reuß, die Ill, die Lauter, die Queich, lauter weibliche Flüſſe, das ſind die Liebſchaften, ſo gehts immer fort bis zur letzten Station. Die Selz, die Nahe, die Saar, die Moſel, die Nette, die Ahr; — nun kommen ſie ihm vom Schwarzwald zugelaufen und von der rauen Alpe, — lauter Flußjungfern: die Elz, die Treiſam, die Kinzig, die Murg, die Kraich, dann die Reus, die Jaxt; aus

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Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 246. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/278>, abgerufen am 26.04.2024.