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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835.

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warten auf einen wohlgepolsterten, aufgeputzten Him-
mel, wie deine Mutter, die da glaubt, daß dort alles,
was uns auf Erden Freude gemacht hat, in erhöhtem
Glanz sich wieder finde; ja sogar behauptet, ihr ver-
blichnes Hochzeitkleid von blaßgrüner Seide mit Gold- und
Silberblättern durchwirkt und scharlachrothem Sammt-
überwurf, werde dort ihr himmlisches Gewand sein, und
der juwelene Strauß, den ein grausamer Dieb ihr ent-
wendet, sauge schon jetzt einstweilen das Licht der Sterne
ein, um auf ihrem Haupt als Diadem unter den himm-
lischen Kronen zu glänzen. Sie sagt: für was wär'
dies Gesicht das meinige, und warum spräche der Geist
aus meinen Augen diesen oder jenen an, wenn er nicht
vom Himmel wär' und die Anwartschaft auf ihn hätte?
alles was todt ist, macht keinen Eindruck; was aber
Eindruck macht, das ist ewig lebendig. Wenn ich ihr
etwas erzähle, erfinde, so meint sie, das sind alles Dinge,
die im Himmel aufgestellt werden. Oft erzähle ich ihr
von Kunstwerken meiner Einbildung. Sie sagt: das
sind Tapeten der Phantasie, mit denen die Wände der
himmlischen Wohnungen verziert sind. Letzt war sie im
Conzert und freute sich sehr über ein Violoncell; da
nahm ich die Gelegenheit wahr, und sagte: Geb' Sie
acht, Frau Rath, daß ihr die Engel nicht so lang' mit

warten auf einen wohlgepolſterten, aufgeputzten Him-
mel, wie deine Mutter, die da glaubt, daß dort alles,
was uns auf Erden Freude gemacht hat, in erhöhtem
Glanz ſich wieder finde; ja ſogar behauptet, ihr ver-
blichnes Hochzeitkleid von blaßgrüner Seide mit Gold- und
Silberblättern durchwirkt und ſcharlachrothem Sammt-
überwurf, werde dort ihr himmliſches Gewand ſein, und
der juwelene Strauß, den ein grauſamer Dieb ihr ent-
wendet, ſauge ſchon jetzt einſtweilen das Licht der Sterne
ein, um auf ihrem Haupt als Diadem unter den himm-
liſchen Kronen zu glänzen. Sie ſagt: für was wär'
dies Geſicht das meinige, und warum ſpräche der Geiſt
aus meinen Augen dieſen oder jenen an, wenn er nicht
vom Himmel wär' und die Anwartſchaft auf ihn hätte?
alles was todt iſt, macht keinen Eindruck; was aber
Eindruck macht, das iſt ewig lebendig. Wenn ich ihr
etwas erzähle, erfinde, ſo meint ſie, das ſind alles Dinge,
die im Himmel aufgeſtellt werden. Oft erzähle ich ihr
von Kunſtwerken meiner Einbildung. Sie ſagt: das
ſind Tapeten der Phantaſie, mit denen die Wände der
himmliſchen Wohnungen verziert ſind. Letzt war ſie im
Conzert und freute ſich ſehr über ein Violoncell; da
nahm ich die Gelegenheit wahr, und ſagte: Geb' Sie
acht, Frau Rath, daß ihr die Engel nicht ſo lang' mit

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[266/0298] warten auf einen wohlgepolſterten, aufgeputzten Him- mel, wie deine Mutter, die da glaubt, daß dort alles, was uns auf Erden Freude gemacht hat, in erhöhtem Glanz ſich wieder finde; ja ſogar behauptet, ihr ver- blichnes Hochzeitkleid von blaßgrüner Seide mit Gold- und Silberblättern durchwirkt und ſcharlachrothem Sammt- überwurf, werde dort ihr himmliſches Gewand ſein, und der juwelene Strauß, den ein grauſamer Dieb ihr ent- wendet, ſauge ſchon jetzt einſtweilen das Licht der Sterne ein, um auf ihrem Haupt als Diadem unter den himm- liſchen Kronen zu glänzen. Sie ſagt: für was wär' dies Geſicht das meinige, und warum ſpräche der Geiſt aus meinen Augen dieſen oder jenen an, wenn er nicht vom Himmel wär' und die Anwartſchaft auf ihn hätte? alles was todt iſt, macht keinen Eindruck; was aber Eindruck macht, das iſt ewig lebendig. Wenn ich ihr etwas erzähle, erfinde, ſo meint ſie, das ſind alles Dinge, die im Himmel aufgeſtellt werden. Oft erzähle ich ihr von Kunſtwerken meiner Einbildung. Sie ſagt: das ſind Tapeten der Phantaſie, mit denen die Wände der himmliſchen Wohnungen verziert ſind. Letzt war ſie im Conzert und freute ſich ſehr über ein Violoncell; da nahm ich die Gelegenheit wahr, und ſagte: Geb' Sie acht, Frau Rath, daß ihr die Engel nicht ſo lang' mit

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Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 266. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/298>, abgerufen am 27.04.2024.