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[Arnim, Bettina von]: Tagebuch. Berlin, 1835.

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wie ich Dir heiße; dann führtest Du mich an die Quelle,
sie kam mitten aus dem Rasen hervor, wie eine grüne
krystallne Kugel, da standen wir eine Weile und hör-
ten ihrem Getön zu, "sie ruft der Nachtigall" sagtest
Du, "denn die heißt auf persisch Bulbul, sie ruft dich,
du bist meine Nachtigall, der ich gern zuhöre." Dann
gingen wir nach Hause, ich saß an Deiner Seite, da
war's so stille, nah an Deinem Herzen; ich hörte es
klopfen, ich hörte Dich athmen, da lauschte ich, und
hatte keine Gedanken als blos Deinem Leben zuzuhö-
ren. -- O Du! -- hier lang nach Mitternacht, allein
mit Dir im Angedenken jener Stunde vor vielen Jah-
ren, durchdrungen von Deiner Liebe, daß meine Thränen
fließen; und Du! nicht auf Erden, jenseits! -- wo ich
Dich nicht mehr erreiche. -- Ja Thränen! -- alles um-
sonst. -- So verging die Zeit an Deiner Brust, keine
Ahndung, daß sie verging, es war alles für die Ewig-
keit eingerichtet. Dämmerung -- die Lampe warf einen
ungewissen Schein an die Decke, die Flamme knisterte
und leuchtete auf, das weckte Dich aus Deinem tiefen
Sinnen. -- Du wendetest Dich nach mir und sahst mich
lange an, dann lehntest Du mich sanft aus Deinen Ar-
men und sagtest: "Ich will gehen, sieh wie unsicher das
Nachtlicht brennt, wie beweglich die Flamme an der

wie ich Dir heiße; dann führteſt Du mich an die Quelle,
ſie kam mitten aus dem Raſen hervor, wie eine grüne
kryſtallne Kugel, da ſtanden wir eine Weile und hör-
ten ihrem Getön zu, „ſie ruft der Nachtigall“ ſagteſt
Du, „denn die heißt auf perſiſch Bulbul, ſie ruft dich,
du biſt meine Nachtigall, der ich gern zuhöre.“ Dann
gingen wir nach Hauſe, ich ſaß an Deiner Seite, da
war's ſo ſtille, nah an Deinem Herzen; ich hörte es
klopfen, ich hörte Dich athmen, da lauſchte ich, und
hatte keine Gedanken als blos Deinem Leben zuzuhö-
ren. — O Du! — hier lang nach Mitternacht, allein
mit Dir im Angedenken jener Stunde vor vielen Jah-
ren, durchdrungen von Deiner Liebe, daß meine Thränen
fließen; und Du! nicht auf Erden, jenſeits! — wo ich
Dich nicht mehr erreiche. — Ja Thränen! — alles um-
ſonſt. — So verging die Zeit an Deiner Bruſt, keine
Ahndung, daß ſie verging, es war alles für die Ewig-
keit eingerichtet. Dämmerung — die Lampe warf einen
ungewiſſen Schein an die Decke, die Flamme kniſterte
und leuchtete auf, das weckte Dich aus Deinem tiefen
Sinnen. — Du wendeteſt Dich nach mir und ſahſt mich
lange an, dann lehnteſt Du mich ſanft aus Deinen Ar-
men und ſagteſt: „Ich will gehen, ſieh wie unſicher das
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[215/0225] wie ich Dir heiße; dann führteſt Du mich an die Quelle, ſie kam mitten aus dem Raſen hervor, wie eine grüne kryſtallne Kugel, da ſtanden wir eine Weile und hör- ten ihrem Getön zu, „ſie ruft der Nachtigall“ ſagteſt Du, „denn die heißt auf perſiſch Bulbul, ſie ruft dich, du biſt meine Nachtigall, der ich gern zuhöre.“ Dann gingen wir nach Hauſe, ich ſaß an Deiner Seite, da war's ſo ſtille, nah an Deinem Herzen; ich hörte es klopfen, ich hörte Dich athmen, da lauſchte ich, und hatte keine Gedanken als blos Deinem Leben zuzuhö- ren. — O Du! — hier lang nach Mitternacht, allein mit Dir im Angedenken jener Stunde vor vielen Jah- ren, durchdrungen von Deiner Liebe, daß meine Thränen fließen; und Du! nicht auf Erden, jenſeits! — wo ich Dich nicht mehr erreiche. — Ja Thränen! — alles um- ſonſt. — So verging die Zeit an Deiner Bruſt, keine Ahndung, daß ſie verging, es war alles für die Ewig- keit eingerichtet. Dämmerung — die Lampe warf einen ungewiſſen Schein an die Decke, die Flamme kniſterte und leuchtete auf, das weckte Dich aus Deinem tiefen Sinnen. — Du wendeteſt Dich nach mir und ſahſt mich lange an, dann lehnteſt Du mich ſanft aus Deinen Ar- men und ſagteſt: „Ich will gehen, ſieh wie unſicher das Nachtlicht brennt, wie beweglich die Flamme an der

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Zitationshilfe: [Arnim, Bettina von]: Tagebuch. Berlin, 1835, S. 215. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe03_1835/225>, abgerufen am 26.04.2024.