Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bach, Carl Philipp Emanuel: Versuch über die wahre Art das Clavier zu spielen. Bd. 1. 2. Aufl. Berlin, 1753.

Bild:
<< vorherige Seite

Das dritte Hauptstück.
scheint überhaupt zu Ausdrückung der Affecten besonders geschickt
zu seyn, weil jede Tact-Art eine Art von Zwang mit sich führet.
Man siehet wenigstens aus den Recitativen mit einer Beglei-
tung, daß das Tempo und die Tact-Arten oft verändert werden
müssen, um viele Affecten kurtz hinter einander zu erregen und
zu stillen. Der Tact ist alsdenn oft bloß der Schreib-Art we-
gen vorgezeichnet, ohne daß man hieran gebunden ist. Da wir
nun ohne diese Umstände mit aller Freyheit, ohne Tact, durch
Fantasien dieses auf unserm Jnstrumente bewerckstelligen können,
so hat es dieserwegen einen besondern Vorzug.

§. 16.

Jndem man also ein jedes Stück nach seinem wah-
ren Jnhalte, und mit dem gehörigen Affecte spielen soll; so thun
die Componisten wohl, wenn sie ihren Ausarbeitungen ausser der
Bezeichnung des Tempo, annoch solche Wörter vorsetzen, wo-
durch der Jnhalt derselben erkläret wird. So gut diese Vor-
sicht ist, so wenig würde sie hinlänglich seyn, das Verhudeln ihrer
Stücke zu verhindern, wenn sie nicht auch zugleich die gewöhn-
lichen Zeichen, welche den Vortrag angehen, den Noten bey-
fügten. Wegen des ersten Puncts wird man mir leichte ver-
geben, wenn man bey den Probe-Stücken einige Wörter findet,
welche eben so gar gewöhnlich nicht seyn mögen, ob sie schon zu
meiner Absicht bequem gewesen sind. Wegen der Zeichen habe
ich bey denselben die nöthige Sorgfalt gleichfalls gebrauchet, weil
ich gewiß weiß, daß sie bey unserm Jnstrumente eben so nöthig sind
als bey andern. Wenn eine Stimme anders vorgetragen wer-
den soll als die übrigen, so hat sie deswegen ihr besonderes Zei-
chen, ausserdem aber gehört ein solches Zeichen der gantzen Hand
zu, sie mag eine oder mehrere Stimmen spielen. Die blosse
Figur dieser Zeichen mag vielleicht bekannter seyn als die Wis-
senschaft, solche gleichsam zu beleben, und die abgezielte Wür-

ckung

Das dritte Hauptſtuͤck.
ſcheint uͤberhaupt zu Ausdruͤckung der Affecten beſonders geſchickt
zu ſeyn, weil jede Tact-Art eine Art von Zwang mit ſich fuͤhret.
Man ſiehet wenigſtens aus den Recitativen mit einer Beglei-
tung, daß das Tempo und die Tact-Arten oft veraͤndert werden
muͤſſen, um viele Affecten kurtz hinter einander zu erregen und
zu ſtillen. Der Tact iſt alsdenn oft bloß der Schreib-Art we-
gen vorgezeichnet, ohne daß man hieran gebunden iſt. Da wir
nun ohne dieſe Umſtaͤnde mit aller Freyheit, ohne Tact, durch
Fantaſien dieſes auf unſerm Jnſtrumente bewerckſtelligen koͤnnen,
ſo hat es dieſerwegen einen beſondern Vorzug.

§. 16.

Jndem man alſo ein jedes Stuͤck nach ſeinem wah-
ren Jnhalte, und mit dem gehoͤrigen Affecte ſpielen ſoll; ſo thun
die Componiſten wohl, wenn ſie ihren Ausarbeitungen auſſer der
Bezeichnung des Tempo, annoch ſolche Woͤrter vorſetzen, wo-
durch der Jnhalt derſelben erklaͤret wird. So gut dieſe Vor-
ſicht iſt, ſo wenig wuͤrde ſie hinlaͤnglich ſeyn, das Verhudeln ihrer
Stuͤcke zu verhindern, wenn ſie nicht auch zugleich die gewoͤhn-
lichen Zeichen, welche den Vortrag angehen, den Noten bey-
fuͤgten. Wegen des erſten Puncts wird man mir leichte ver-
geben, wenn man bey den Probe-Stuͤcken einige Woͤrter findet,
welche eben ſo gar gewoͤhnlich nicht ſeyn moͤgen, ob ſie ſchon zu
meiner Abſicht bequem geweſen ſind. Wegen der Zeichen habe
ich bey denſelben die noͤthige Sorgfalt gleichfalls gebrauchet, weil
ich gewiß weiß, daß ſie bey unſerm Jnſtrumente eben ſo noͤthig ſind
als bey andern. Wenn eine Stimme anders vorgetragen wer-
den ſoll als die uͤbrigen, ſo hat ſie deswegen ihr beſonderes Zei-
chen, auſſerdem aber gehoͤrt ein ſolches Zeichen der gantzen Hand
zu, ſie mag eine oder mehrere Stimmen ſpielen. Die bloſſe
Figur dieſer Zeichen mag vielleicht bekannter ſeyn als die Wiſ-
ſenſchaft, ſolche gleichſam zu beleben, und die abgezielte Wuͤr-

ckung
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0118" n="110"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Das dritte Haupt&#x017F;tu&#x0364;ck.</hi></fw><lb/>
&#x017F;cheint u&#x0364;berhaupt zu Ausdru&#x0364;ckung der Affecten be&#x017F;onders ge&#x017F;chickt<lb/>
zu &#x017F;eyn, weil jede Tact-Art eine Art von Zwang mit &#x017F;ich fu&#x0364;hret.<lb/>
Man &#x017F;iehet wenig&#x017F;tens aus den Recitativen mit einer Beglei-<lb/>
tung, daß das Tempo und die Tact-Arten oft vera&#x0364;ndert werden<lb/>
mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, um viele Affecten kurtz hinter einander zu erregen und<lb/>
zu &#x017F;tillen. Der Tact i&#x017F;t alsdenn oft bloß der Schreib-Art we-<lb/>
gen vorgezeichnet, ohne daß man hieran gebunden i&#x017F;t. Da wir<lb/>
nun ohne die&#x017F;e Um&#x017F;ta&#x0364;nde mit aller Freyheit, ohne Tact, durch<lb/>
Fanta&#x017F;ien die&#x017F;es auf un&#x017F;erm Jn&#x017F;trumente bewerck&#x017F;telligen ko&#x0364;nnen,<lb/>
&#x017F;o hat es die&#x017F;erwegen einen be&#x017F;ondern Vorzug.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head>§. 16.</head>
          <p>Jndem man al&#x017F;o ein jedes Stu&#x0364;ck nach &#x017F;einem wah-<lb/>
ren Jnhalte, und mit dem geho&#x0364;rigen Affecte &#x017F;pielen &#x017F;oll; &#x017F;o thun<lb/>
die Componi&#x017F;ten wohl, wenn &#x017F;ie ihren Ausarbeitungen au&#x017F;&#x017F;er der<lb/>
Bezeichnung des Tempo, annoch &#x017F;olche Wo&#x0364;rter vor&#x017F;etzen, wo-<lb/>
durch der Jnhalt der&#x017F;elben erkla&#x0364;ret wird. So gut die&#x017F;e Vor-<lb/>
&#x017F;icht i&#x017F;t, &#x017F;o wenig wu&#x0364;rde &#x017F;ie hinla&#x0364;nglich &#x017F;eyn, das Verhudeln ihrer<lb/>
Stu&#x0364;cke zu verhindern, wenn &#x017F;ie nicht auch zugleich die gewo&#x0364;hn-<lb/>
lichen Zeichen, welche den Vortrag angehen, den Noten bey-<lb/>
fu&#x0364;gten. Wegen des er&#x017F;ten Puncts wird man mir leichte ver-<lb/>
geben, wenn man bey den Probe-Stu&#x0364;cken einige Wo&#x0364;rter findet,<lb/>
welche eben &#x017F;o gar gewo&#x0364;hnlich nicht &#x017F;eyn mo&#x0364;gen, ob &#x017F;ie &#x017F;chon zu<lb/>
meiner Ab&#x017F;icht bequem gewe&#x017F;en &#x017F;ind. Wegen der Zeichen habe<lb/>
ich bey den&#x017F;elben die no&#x0364;thige Sorgfalt gleichfalls gebrauchet, weil<lb/>
ich gewiß weiß, daß &#x017F;ie bey un&#x017F;erm Jn&#x017F;trumente eben &#x017F;o no&#x0364;thig &#x017F;ind<lb/>
als bey andern. Wenn eine Stimme anders vorgetragen wer-<lb/>
den &#x017F;oll als die u&#x0364;brigen, &#x017F;o hat &#x017F;ie deswegen ihr be&#x017F;onderes Zei-<lb/>
chen, au&#x017F;&#x017F;erdem aber geho&#x0364;rt ein &#x017F;olches Zeichen der gantzen Hand<lb/>
zu, &#x017F;ie mag eine oder mehrere Stimmen &#x017F;pielen. Die blo&#x017F;&#x017F;e<lb/>
Figur die&#x017F;er Zeichen mag vielleicht bekannter &#x017F;eyn als die Wi&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en&#x017F;chaft, &#x017F;olche gleich&#x017F;am zu beleben, und die abgezielte Wu&#x0364;r-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">ckung</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[110/0118] Das dritte Hauptſtuͤck. ſcheint uͤberhaupt zu Ausdruͤckung der Affecten beſonders geſchickt zu ſeyn, weil jede Tact-Art eine Art von Zwang mit ſich fuͤhret. Man ſiehet wenigſtens aus den Recitativen mit einer Beglei- tung, daß das Tempo und die Tact-Arten oft veraͤndert werden muͤſſen, um viele Affecten kurtz hinter einander zu erregen und zu ſtillen. Der Tact iſt alsdenn oft bloß der Schreib-Art we- gen vorgezeichnet, ohne daß man hieran gebunden iſt. Da wir nun ohne dieſe Umſtaͤnde mit aller Freyheit, ohne Tact, durch Fantaſien dieſes auf unſerm Jnſtrumente bewerckſtelligen koͤnnen, ſo hat es dieſerwegen einen beſondern Vorzug. §. 16. Jndem man alſo ein jedes Stuͤck nach ſeinem wah- ren Jnhalte, und mit dem gehoͤrigen Affecte ſpielen ſoll; ſo thun die Componiſten wohl, wenn ſie ihren Ausarbeitungen auſſer der Bezeichnung des Tempo, annoch ſolche Woͤrter vorſetzen, wo- durch der Jnhalt derſelben erklaͤret wird. So gut dieſe Vor- ſicht iſt, ſo wenig wuͤrde ſie hinlaͤnglich ſeyn, das Verhudeln ihrer Stuͤcke zu verhindern, wenn ſie nicht auch zugleich die gewoͤhn- lichen Zeichen, welche den Vortrag angehen, den Noten bey- fuͤgten. Wegen des erſten Puncts wird man mir leichte ver- geben, wenn man bey den Probe-Stuͤcken einige Woͤrter findet, welche eben ſo gar gewoͤhnlich nicht ſeyn moͤgen, ob ſie ſchon zu meiner Abſicht bequem geweſen ſind. Wegen der Zeichen habe ich bey denſelben die noͤthige Sorgfalt gleichfalls gebrauchet, weil ich gewiß weiß, daß ſie bey unſerm Jnſtrumente eben ſo noͤthig ſind als bey andern. Wenn eine Stimme anders vorgetragen wer- den ſoll als die uͤbrigen, ſo hat ſie deswegen ihr beſonderes Zei- chen, auſſerdem aber gehoͤrt ein ſolches Zeichen der gantzen Hand zu, ſie mag eine oder mehrere Stimmen ſpielen. Die bloſſe Figur dieſer Zeichen mag vielleicht bekannter ſeyn als die Wiſ- ſenſchaft, ſolche gleichſam zu beleben, und die abgezielte Wuͤr- ckung

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Die Erstauflage dieses Teils erschien als selbstä… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bach_versuch01_1759
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bach_versuch01_1759/118
Zitationshilfe: Bach, Carl Philipp Emanuel: Versuch über die wahre Art das Clavier zu spielen. Bd. 1. 2. Aufl. Berlin, 1753, S. 110. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bach_versuch01_1759/118>, abgerufen am 26.04.2024.