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Bach, Carl Philipp Emanuel: Versuch über die wahre Art das Clavier zu spielen. Bd. 1. 2. Aufl. Berlin, 1753.

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Das zweyte Hauptstück, dritte Abtheilung.
Tab. IV.erste unter denen bey Fig. XXXI. abgebildeten Noten mit einem
Triller beschweren, ohngeacht die gemeiniglich über diese Passagien
gesetzten Bogen dieses verhindern sollten. So verführerisch man-
chem diese Art von Noten scheinen möchte, so wenig leiden sie
einen Triller. Es ist etwas besonders, daß durch eine unrechte
Spiel-Art gemeiniglich die besten und sangbarsten Stellen müssen
verdorben werden. Die meisten Fehler kommen bey langsamen
und gezogenen Noten vor. Man will sie der Vergessenheit durch
Triller entreissen. Das verwöhnte Ohr will beständig in einer
gleichen Empfindung erhalten seyn. Es empfindet nicht anders
als durch ein Geräusche. Man siehet hieraus, daß diejenigen,
welche diesen Fehler begehen, weder singend dencken können, noch
jeder Note ihren Druck und ihre Unterhaltung zu geben wissen.
So wohl auf dem Clavicorde als auf dem Flügel singen die No-
ten nach, wenn man sie nicht zu kurtz abfertiget. Ein Jnstru-
ment ist hierzu geschickter verfertiget als ein anderes. Bey den
Franzosen sind die Clavicorde so gar sonderlich nicht eingeführt,
folglich sie setzen ihre Sachen mehrentheils für den Flügel; Dem
ohngeacht sind ihre Stücke voller Bindungen und Schleifungen,
welche sie durch die häufigen Bogen andeuten. Gesetzt, die Zeit-
Maaß wäre zu langsam und das Jnstrument zum gehörigen Nach-
singen zu schlecht; so ist es doch allezeit schlimmer einen Gedan-
cken, der gezogen und matt vorgetragen werden soll, durch Triller
zu verstellen, als etwas weniges an dem deutlichen Nachklange
einer Note zu verliehren, welches man durch den guten Vortrag
reichlich wieder gewinnet. Es kommen überhaupt bey der Mu-
sick viele Dinge vor, welche man sich einbilden muß, ohne daß
man sie würcklich höret. Z. E. bey Concerten mit einer starcken
Begleitung, verliehrt der Concertist allezeit die Noten, welche
fortißimo accompagnirt werden müssen, und die, wobey das Tutti

ein-

Das zweyte Hauptſtuͤck, dritte Abtheilung.
Tab. IV.erſte unter denen bey Fig. XXXI. abgebildeten Noten mit einem
Triller beſchweren, ohngeacht die gemeiniglich uͤber dieſe Paſſagien
geſetzten Bogen dieſes verhindern ſollten. So verfuͤhreriſch man-
chem dieſe Art von Noten ſcheinen moͤchte, ſo wenig leiden ſie
einen Triller. Es iſt etwas beſonders, daß durch eine unrechte
Spiel-Art gemeiniglich die beſten und ſangbarſten Stellen muͤſſen
verdorben werden. Die meiſten Fehler kommen bey langſamen
und gezogenen Noten vor. Man will ſie der Vergeſſenheit durch
Triller entreiſſen. Das verwoͤhnte Ohr will beſtaͤndig in einer
gleichen Empfindung erhalten ſeyn. Es empfindet nicht anders
als durch ein Geraͤuſche. Man ſiehet hieraus, daß diejenigen,
welche dieſen Fehler begehen, weder ſingend dencken koͤnnen, noch
jeder Note ihren Druck und ihre Unterhaltung zu geben wiſſen.
So wohl auf dem Clavicorde als auf dem Fluͤgel ſingen die No-
ten nach, wenn man ſie nicht zu kurtz abfertiget. Ein Jnſtru-
ment iſt hierzu geſchickter verfertiget als ein anderes. Bey den
Franzoſen ſind die Clavicorde ſo gar ſonderlich nicht eingefuͤhrt,
folglich ſie ſetzen ihre Sachen mehrentheils fuͤr den Fluͤgel; Dem
ohngeacht ſind ihre Stuͤcke voller Bindungen und Schleifungen,
welche ſie durch die haͤufigen Bogen andeuten. Geſetzt, die Zeit-
Maaß waͤre zu langſam und das Jnſtrument zum gehoͤrigen Nach-
ſingen zu ſchlecht; ſo iſt es doch allezeit ſchlimmer einen Gedan-
cken, der gezogen und matt vorgetragen werden ſoll, durch Triller
zu verſtellen, als etwas weniges an dem deutlichen Nachklange
einer Note zu verliehren, welches man durch den guten Vortrag
reichlich wieder gewinnet. Es kommen uͤberhaupt bey der Mu-
ſick viele Dinge vor, welche man ſich einbilden muß, ohne daß
man ſie wuͤrcklich hoͤret. Z. E. bey Concerten mit einer ſtarcken
Begleitung, verliehrt der Concertiſt allezeit die Noten, welche
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[68/0076] Das zweyte Hauptſtuͤck, dritte Abtheilung. erſte unter denen bey Fig. XXXI. abgebildeten Noten mit einem Triller beſchweren, ohngeacht die gemeiniglich uͤber dieſe Paſſagien geſetzten Bogen dieſes verhindern ſollten. So verfuͤhreriſch man- chem dieſe Art von Noten ſcheinen moͤchte, ſo wenig leiden ſie einen Triller. Es iſt etwas beſonders, daß durch eine unrechte Spiel-Art gemeiniglich die beſten und ſangbarſten Stellen muͤſſen verdorben werden. Die meiſten Fehler kommen bey langſamen und gezogenen Noten vor. Man will ſie der Vergeſſenheit durch Triller entreiſſen. Das verwoͤhnte Ohr will beſtaͤndig in einer gleichen Empfindung erhalten ſeyn. Es empfindet nicht anders als durch ein Geraͤuſche. Man ſiehet hieraus, daß diejenigen, welche dieſen Fehler begehen, weder ſingend dencken koͤnnen, noch jeder Note ihren Druck und ihre Unterhaltung zu geben wiſſen. So wohl auf dem Clavicorde als auf dem Fluͤgel ſingen die No- ten nach, wenn man ſie nicht zu kurtz abfertiget. Ein Jnſtru- ment iſt hierzu geſchickter verfertiget als ein anderes. Bey den Franzoſen ſind die Clavicorde ſo gar ſonderlich nicht eingefuͤhrt, folglich ſie ſetzen ihre Sachen mehrentheils fuͤr den Fluͤgel; Dem ohngeacht ſind ihre Stuͤcke voller Bindungen und Schleifungen, welche ſie durch die haͤufigen Bogen andeuten. Geſetzt, die Zeit- Maaß waͤre zu langſam und das Jnſtrument zum gehoͤrigen Nach- ſingen zu ſchlecht; ſo iſt es doch allezeit ſchlimmer einen Gedan- cken, der gezogen und matt vorgetragen werden ſoll, durch Triller zu verſtellen, als etwas weniges an dem deutlichen Nachklange einer Note zu verliehren, welches man durch den guten Vortrag reichlich wieder gewinnet. Es kommen uͤberhaupt bey der Mu- ſick viele Dinge vor, welche man ſich einbilden muß, ohne daß man ſie wuͤrcklich hoͤret. Z. E. bey Concerten mit einer ſtarcken Begleitung, verliehrt der Concertiſt allezeit die Noten, welche fortißimo accompagnirt werden muͤſſen, und die, wobey das Tutti ein- Tab. IV.

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Zitationshilfe: Bach, Carl Philipp Emanuel: Versuch über die wahre Art das Clavier zu spielen. Bd. 1. 2. Aufl. Berlin, 1753, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bach_versuch01_1759/76>, abgerufen am 26.04.2024.