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Basedow, Johann Bernhard: Die ganze Natürliche Weisheit im Privatstande der gesitteten Bürger. Halle (Saale) u. a., [1768].

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Die Sittenlehre

Es giebt allgemeine Wünsche und Vortheile,
die du in deinen Handlungen vor Augen haben
mußt. Handle gegen andre Menschen so, wie du
ohne Unrecht wünschen würdest, daß ein andrer,
wenn du in seiner Stelle wärest, gegen dich han-
deln mögte. Erfülle die Wünsche andrer eben so
wohl als die deinigen auf eine Art, welche nicht
wider das allgemeine Beste, nicht wider die Tu-
gend, nicht wider das Gesetz ist. Liebe also in
diesem Verstande deinen Nächsten als dich
selbst.

Es ist allen natürlich, sich auch an der Glück-
seligkeit andrer zu vergnügen, und sich über das
Elend andrer zu betrüben. Nur der Affect macht,
daß man dieser natürlichen Neigung so oft zuwider
handelt. Und wer es oft gethan hat, dem wird
es zu einer Gewohnheit, welche über die Men-
schen mehr zu herrschen pflegt, als ihre eigne
Einsicht. Auf solche Art werden lieblose
und grausame Menschen.

Aber gieb du auf dich selbst acht, und glaube
es der Erfahrung der Tugendhaften, wie sanft
und wie beständig das Vergnügen sey, die
Wohlfahrt andrer
befördert und ihr Leiden
vermindert zu haben; wie durch Gewohnheit die
Stärke dieses Vergnügens ohne alle Reue an-
wachse; wie sehr es mit deinem Gewissen über-

einstimme;
Die Sittenlehre

Es giebt allgemeine Wuͤnſche und Vortheile,
die du in deinen Handlungen vor Augen haben
mußt. Handle gegen andre Menſchen ſo, wie du
ohne Unrecht wuͤnſchen wuͤrdeſt, daß ein andrer,
wenn du in ſeiner Stelle waͤreſt, gegen dich han-
deln moͤgte. Erfuͤlle die Wuͤnſche andrer eben ſo
wohl als die deinigen auf eine Art, welche nicht
wider das allgemeine Beſte, nicht wider die Tu-
gend, nicht wider das Geſetz iſt. Liebe alſo in
dieſem Verſtande deinen Nächſten als dich
ſelbſt.

Es iſt allen natuͤrlich, ſich auch an der Gluͤck-
ſeligkeit andrer zu vergnuͤgen, und ſich uͤber das
Elend andrer zu betruͤben. Nur der Affect macht,
daß man dieſer natuͤrlichen Neigung ſo oft zuwider
handelt. Und wer es oft gethan hat, dem wird
es zu einer Gewohnheit, welche uͤber die Men-
ſchen mehr zu herrſchen pflegt, als ihre eigne
Einſicht. Auf ſolche Art werden liebloſe
und grauſame Menſchen.

Aber gieb du auf dich ſelbſt acht, und glaube
es der Erfahrung der Tugendhaften, wie ſanft
und wie beſtändig das Vergnügen ſey, die
Wohlfahrt andrer
befoͤrdert und ihr Leiden
vermindert zu haben; wie durch Gewohnheit die
Staͤrke dieſes Vergnuͤgens ohne alle Reue an-
wachſe; wie ſehr es mit deinem Gewiſſen uͤber-

einſtimme;
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[34/0058] Die Sittenlehre Es giebt allgemeine Wuͤnſche und Vortheile, die du in deinen Handlungen vor Augen haben mußt. Handle gegen andre Menſchen ſo, wie du ohne Unrecht wuͤnſchen wuͤrdeſt, daß ein andrer, wenn du in ſeiner Stelle waͤreſt, gegen dich han- deln moͤgte. Erfuͤlle die Wuͤnſche andrer eben ſo wohl als die deinigen auf eine Art, welche nicht wider das allgemeine Beſte, nicht wider die Tu- gend, nicht wider das Geſetz iſt. Liebe alſo in dieſem Verſtande deinen Nächſten als dich ſelbſt. Es iſt allen natuͤrlich, ſich auch an der Gluͤck- ſeligkeit andrer zu vergnuͤgen, und ſich uͤber das Elend andrer zu betruͤben. Nur der Affect macht, daß man dieſer natuͤrlichen Neigung ſo oft zuwider handelt. Und wer es oft gethan hat, dem wird es zu einer Gewohnheit, welche uͤber die Men- ſchen mehr zu herrſchen pflegt, als ihre eigne Einſicht. Auf ſolche Art werden liebloſe und grauſame Menſchen. Aber gieb du auf dich ſelbſt acht, und glaube es der Erfahrung der Tugendhaften, wie ſanft und wie beſtändig das Vergnügen ſey, die Wohlfahrt andrer befoͤrdert und ihr Leiden vermindert zu haben; wie durch Gewohnheit die Staͤrke dieſes Vergnuͤgens ohne alle Reue an- wachſe; wie ſehr es mit deinem Gewiſſen uͤber- einſtimme;

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Zitationshilfe: Basedow, Johann Bernhard: Die ganze Natürliche Weisheit im Privatstande der gesitteten Bürger. Halle (Saale) u. a., [1768], S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/basedow_weisheit_1768/58>, abgerufen am 26.04.2024.