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Baumstark, Eduard: Kameralistische Encyclopädie. Heidelberg u. a., 1835.

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2) Diese Sätze sind die Grundpfeiler aller polizeilichen Thätigkeiten im Staate.
Nach ihnen muß auch die Richtigkeit und Unrichtigkeit der zwei sich entgegenstehenden
Ansichten entschieden werden, ob nämlich der Staat blos negativ oder ob er auch
positiv zur Leitung der Volkswirthschaft einschreiten soll. Beide Ansichten sind
übertrieben worden, indem man die Erste der Sorglosigkeit, die Zweite aber des
Zuvielregirens beschuldigte; jene ist das Prinzip des physiocratischen, dieses der
Grundsatz des mercantilischen Systems. Auch A. Smith ist ein Anhänger des
Systems der Negativität, aber in dem oben bezeichneten Sinne, indem er vom
Gesichtspunkte der ganzen Volkswirthschaft und des Verbandes der einzelnen Gewerbe
als Beschäftigungen bestimmter Bürgersklassen ausgeht, und also jede wirthschafts-
polizeiliche Maaßregel, welche diesen Gesichtspunkt verliert, für fehlerhaft erklärt.
Es folgt daraus, daß die Regirung Alles zu verhüten hat, was eine Klasse vor der
andern begünstigt oder benachtheiligt. Dies ist die wahre Bedeutung des Prinzips
der Negativität nach A. Smith, und nicht, daß der Staat keine Anordnungen
und Anstalten zur Förderung der Volkswirthschaft im Ganzen und des Gewerbs-
wesens insbesondere treffen dürfe. Es gibt in der Volkswirthschaft wirklich schädliche
Einrichtungen und Verhältnisse, es kann etwas Unrichtiges bestehen und etwas
Richtiges mangeln; beide Umstände sind als Hindernisse hinwegzuräumen, sei dies
direct oder indirect ausführbar. Erklärt man das Smith'sche Prinzip für das
indirect negative, so ist dies ein Irrthum, denn er behauptet auch das direct nega-
tive, welches man fälschlich immer für das mercantilische oder positive ausgab.
Denn er ist ganz für directe Hilfsanstalten, für Ermunterung, für gewerbliche
Bildungsanstalten u. dgl. So und nicht anders ist auch die Stelle im Inquiry II.
274-275.
zu verstehen.
Erstes Buch.
Allgemeine Grundsätze.
Erstes Hauptstück.
Vom Betriebe des volkswirthschaftlichen Er-
werbs.
Erstes Stück.
Einwirkung auf die Hervorbringung.
§. 439.
1) Beförderung der Benutzung der Naturkräfte.

Die Benutzung der Naturkräfte zur rechten Zeit und in der
rechten Art ist ein sehr großer Gewinn für die Production, denn
sie sind dauernd, wie weder die menschliche Kraft noch das Capital.
Es sind aber noch so viele Seiten der Natur nicht erforscht, daß
man von den Naturwissenschaften und der Mechanik, so weit sie
jetzt auch gediehen sind, mehr als von jeder andern sagen kann,
sie seien Stückwerk. Jede neue Entdeckung und Erfindung von
Wichtigkeit verdient daher eine wirthschaftspolizeiliche Anerkennung
und es ist ein Verdienst, dieselben, sei es durch Preise, Unter-
stützung mit Apparaten, zu Reisen u. dgl. mehr zu befördern, und
zu verbreiten. Noch wichtiger sind aber die Erfindungen, um die

2) Dieſe Sätze ſind die Grundpfeiler aller polizeilichen Thätigkeiten im Staate.
Nach ihnen muß auch die Richtigkeit und Unrichtigkeit der zwei ſich entgegenſtehenden
Anſichten entſchieden werden, ob nämlich der Staat blos negativ oder ob er auch
poſitiv zur Leitung der Volkswirthſchaft einſchreiten ſoll. Beide Anſichten ſind
übertrieben worden, indem man die Erſte der Sorgloſigkeit, die Zweite aber des
Zuvielregirens beſchuldigte; jene iſt das Prinzip des phyſiocratiſchen, dieſes der
Grundſatz des mercantiliſchen Syſtems. Auch A. Smith iſt ein Anhänger des
Syſtems der Negativität, aber in dem oben bezeichneten Sinne, indem er vom
Geſichtspunkte der ganzen Volkswirthſchaft und des Verbandes der einzelnen Gewerbe
als Beſchäftigungen beſtimmter Bürgersklaſſen ausgeht, und alſo jede wirthſchafts-
polizeiliche Maaßregel, welche dieſen Geſichtspunkt verliert, für fehlerhaft erklärt.
Es folgt daraus, daß die Regirung Alles zu verhüten hat, was eine Klaſſe vor der
andern begünſtigt oder benachtheiligt. Dies iſt die wahre Bedeutung des Prinzips
der Negativität nach A. Smith, und nicht, daß der Staat keine Anordnungen
und Anſtalten zur Förderung der Volkswirthſchaft im Ganzen und des Gewerbs-
weſens insbeſondere treffen dürfe. Es gibt in der Volkswirthſchaft wirklich ſchädliche
Einrichtungen und Verhältniſſe, es kann etwas Unrichtiges beſtehen und etwas
Richtiges mangeln; beide Umſtände ſind als Hinderniſſe hinwegzuräumen, ſei dies
direct oder indirect ausführbar. Erklärt man das Smith'ſche Prinzip für das
indirect negative, ſo iſt dies ein Irrthum, denn er behauptet auch das direct nega-
tive, welches man fälſchlich immer für das mercantiliſche oder poſitive ausgab.
Denn er iſt ganz für directe Hilfsanſtalten, für Ermunterung, für gewerbliche
Bildungsanſtalten u. dgl. So und nicht anders iſt auch die Stelle im Inquiry II.
274–275.
zu verſtehen.
Erſtes Buch.
Allgemeine Grundſätze.
Erſtes Hauptſtück.
Vom Betriebe des volkswirthſchaftlichen Er-
werbs.
Erſtes Stück.
Einwirkung auf die Hervorbringung.
§. 439.
1) Beförderung der Benutzung der Naturkräfte.

Die Benutzung der Naturkräfte zur rechten Zeit und in der
rechten Art iſt ein ſehr großer Gewinn für die Production, denn
ſie ſind dauernd, wie weder die menſchliche Kraft noch das Capital.
Es ſind aber noch ſo viele Seiten der Natur nicht erforſcht, daß
man von den Naturwiſſenſchaften und der Mechanik, ſo weit ſie
jetzt auch gediehen ſind, mehr als von jeder andern ſagen kann,
ſie ſeien Stückwerk. Jede neue Entdeckung und Erfindung von
Wichtigkeit verdient daher eine wirthſchaftspolizeiliche Anerkennung
und es iſt ein Verdienſt, dieſelben, ſei es durch Preiſe, Unter-
ſtützung mit Apparaten, zu Reiſen u. dgl. mehr zu befördern, und
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[624/0646] ²⁾ Dieſe Sätze ſind die Grundpfeiler aller polizeilichen Thätigkeiten im Staate. Nach ihnen muß auch die Richtigkeit und Unrichtigkeit der zwei ſich entgegenſtehenden Anſichten entſchieden werden, ob nämlich der Staat blos negativ oder ob er auch poſitiv zur Leitung der Volkswirthſchaft einſchreiten ſoll. Beide Anſichten ſind übertrieben worden, indem man die Erſte der Sorgloſigkeit, die Zweite aber des Zuvielregirens beſchuldigte; jene iſt das Prinzip des phyſiocratiſchen, dieſes der Grundſatz des mercantiliſchen Syſtems. Auch A. Smith iſt ein Anhänger des Syſtems der Negativität, aber in dem oben bezeichneten Sinne, indem er vom Geſichtspunkte der ganzen Volkswirthſchaft und des Verbandes der einzelnen Gewerbe als Beſchäftigungen beſtimmter Bürgersklaſſen ausgeht, und alſo jede wirthſchafts- polizeiliche Maaßregel, welche dieſen Geſichtspunkt verliert, für fehlerhaft erklärt. Es folgt daraus, daß die Regirung Alles zu verhüten hat, was eine Klaſſe vor der andern begünſtigt oder benachtheiligt. Dies iſt die wahre Bedeutung des Prinzips der Negativität nach A. Smith, und nicht, daß der Staat keine Anordnungen und Anſtalten zur Förderung der Volkswirthſchaft im Ganzen und des Gewerbs- weſens insbeſondere treffen dürfe. Es gibt in der Volkswirthſchaft wirklich ſchädliche Einrichtungen und Verhältniſſe, es kann etwas Unrichtiges beſtehen und etwas Richtiges mangeln; beide Umſtände ſind als Hinderniſſe hinwegzuräumen, ſei dies direct oder indirect ausführbar. Erklärt man das Smith'ſche Prinzip für das indirect negative, ſo iſt dies ein Irrthum, denn er behauptet auch das direct nega- tive, welches man fälſchlich immer für das mercantiliſche oder poſitive ausgab. Denn er iſt ganz für directe Hilfsanſtalten, für Ermunterung, für gewerbliche Bildungsanſtalten u. dgl. So und nicht anders iſt auch die Stelle im Inquiry II. 274–275. zu verſtehen. Erſtes Buch. Allgemeine Grundſätze. Erſtes Hauptſtück. Vom Betriebe des volkswirthſchaftlichen Er- werbs. Erſtes Stück. Einwirkung auf die Hervorbringung. §. 439. 1) Beförderung der Benutzung der Naturkräfte. Die Benutzung der Naturkräfte zur rechten Zeit und in der rechten Art iſt ein ſehr großer Gewinn für die Production, denn ſie ſind dauernd, wie weder die menſchliche Kraft noch das Capital. Es ſind aber noch ſo viele Seiten der Natur nicht erforſcht, daß man von den Naturwiſſenſchaften und der Mechanik, ſo weit ſie jetzt auch gediehen ſind, mehr als von jeder andern ſagen kann, ſie ſeien Stückwerk. Jede neue Entdeckung und Erfindung von Wichtigkeit verdient daher eine wirthſchaftspolizeiliche Anerkennung und es iſt ein Verdienſt, dieſelben, ſei es durch Preiſe, Unter- ſtützung mit Apparaten, zu Reiſen u. dgl. mehr zu befördern, und zu verbreiten. Noch wichtiger ſind aber die Erfindungen, um die

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Zitationshilfe: Baumstark, Eduard: Kameralistische Encyclopädie. Heidelberg u. a., 1835, S. 624. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baumstark_encyclopaedie_1835/646>, abgerufen am 26.04.2024.