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Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 2: Das XVI. und XVII. Jahrhundert. Braunschweig, 1895.

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Belgien im 17. Jahrhundert.
Grundbesitzer konnte den Oberflächenbesitz verkaufen und sich das
Recht auf die Kohlenlager vorbehalten und dies geschah wiederholt
namentlich von Klöstern und geistigen Stiften. Sodann gehörten alle
Steinkohlen unter den Landstrassen oder öffentlichen Ländereien dem
Landesherrn. Der Unternehmer musste die Grenze des Grundstücks
einhalten oder von dem nächsten Grundbesitzer ebenfalls durch Ver-
trag das Recht auf den Abbau erwerben. Die Übertragung des
Rechtes des Grundbesitzers auf die Kohlenlager an einen Unternehmer
konnte in sehr verschiedener Weise geschehen. Es lässt sich also
wohl denken, wie sehr sich die Verhältnisse im Laufe der Zeit ver-
wickeln mussten und wieviel Rechtsstreite entstanden. "Wenige
Unternehmungen sind soviel Prozessen unterworfen, als die Kohlen-
bergwerkssachen", sagte Jars 1767.

Der Gerichtshof, welcher in früherer Zeit die Streitigkeiten ent-
schied, war "das Gericht der Kohlengeschworenen" (le cour de voir
jure du charbonage) zu Lüttich, anfangs aus vier, später aus sieben
Geschworenen bestehend. Derselbe entschied nicht nur in den ihm
zugewiesenen Streitfällen, sondern äusserte sich auch gutachtlich.
Hierdurch erlangte er besonderes Ansehen und Einfluss über die
Grenzen des Lütticher Landes hinaus und wurde öfter von Aachen
und Limburg aus angerufen.

Der Steinkohlenbergwerksunternehmer, der nicht selbst Grund-
besitzer war, musste sich von dem Grundbesitzer das Feld, wo er
seinen Betrieb errichten wollte, sichern. Dies geschah durch Kon-
trakt, und zwar entweder durch Belehnung oder durch Erlaubnis.
Im Falle der Belehnung konnte der Beliehene seine Ansprüche an
dem Bergwerksbesitz nur durch richterliche Entscheidung auf Grund
der Bestimmungen des Gesetzes verlieren; im Falle der Erlaubnis
verlor er seine Ansprüche ohne Weiteres, wenn er die Arbeit auf-
gab, in welchem Falle dieselben mit den Bauten an den Grund-
besitzer zurückfielen. Wenn der Grundbesitzer gegen die Anlage
eines Bergbaues überhaupt Widerspruch erhob und die Zulassung ver-
weigerte, konnte der Unternehmer die Belehnung durch Adjudikation
erwerben. Im Falle der Weigerung wurde der Grundbesitzer auf
Antrag des Unternehmers von der Bergbehörde aufgefordert, den
Bergbau selbst zu beginnen. That er dies nicht in der bestimmten
Frist, oder that er es nur zum Schein, indem er denselben begann,
aber nicht fortführte, so wurde dem Unternehmer die Belehnung er-
teilt. Eine dritte Art der Erwerbung der Mutung war durch Ver-
säumnis. Wenn nämlich der Unternehmer eine Grube eröffnete und

Belgien im 17. Jahrhundert.
Grundbesitzer konnte den Oberflächenbesitz verkaufen und sich das
Recht auf die Kohlenlager vorbehalten und dies geschah wiederholt
namentlich von Klöstern und geistigen Stiften. Sodann gehörten alle
Steinkohlen unter den Landstraſsen oder öffentlichen Ländereien dem
Landesherrn. Der Unternehmer muſste die Grenze des Grundstücks
einhalten oder von dem nächsten Grundbesitzer ebenfalls durch Ver-
trag das Recht auf den Abbau erwerben. Die Übertragung des
Rechtes des Grundbesitzers auf die Kohlenlager an einen Unternehmer
konnte in sehr verschiedener Weise geschehen. Es läſst sich also
wohl denken, wie sehr sich die Verhältnisse im Laufe der Zeit ver-
wickeln muſsten und wieviel Rechtsstreite entstanden. „Wenige
Unternehmungen sind soviel Prozessen unterworfen, als die Kohlen-
bergwerkssachen“, sagte Jars 1767.

Der Gerichtshof, welcher in früherer Zeit die Streitigkeiten ent-
schied, war „das Gericht der Kohlengeschworenen“ (le cour de voir
juré du charbonage) zu Lüttich, anfangs aus vier, später aus sieben
Geschworenen bestehend. Derselbe entschied nicht nur in den ihm
zugewiesenen Streitfällen, sondern äuſserte sich auch gutachtlich.
Hierdurch erlangte er besonderes Ansehen und Einfluſs über die
Grenzen des Lütticher Landes hinaus und wurde öfter von Aachen
und Limburg aus angerufen.

Der Steinkohlenbergwerksunternehmer, der nicht selbst Grund-
besitzer war, muſste sich von dem Grundbesitzer das Feld, wo er
seinen Betrieb errichten wollte, sichern. Dies geschah durch Kon-
trakt, und zwar entweder durch Belehnung oder durch Erlaubnis.
Im Falle der Belehnung konnte der Beliehene seine Ansprüche an
dem Bergwerksbesitz nur durch richterliche Entscheidung auf Grund
der Bestimmungen des Gesetzes verlieren; im Falle der Erlaubnis
verlor er seine Ansprüche ohne Weiteres, wenn er die Arbeit auf-
gab, in welchem Falle dieselben mit den Bauten an den Grund-
besitzer zurückfielen. Wenn der Grundbesitzer gegen die Anlage
eines Bergbaues überhaupt Widerspruch erhob und die Zulassung ver-
weigerte, konnte der Unternehmer die Belehnung durch Adjudikation
erwerben. Im Falle der Weigerung wurde der Grundbesitzer auf
Antrag des Unternehmers von der Bergbehörde aufgefordert, den
Bergbau selbst zu beginnen. That er dies nicht in der bestimmten
Frist, oder that er es nur zum Schein, indem er denselben begann,
aber nicht fortführte, so wurde dem Unternehmer die Belehnung er-
teilt. Eine dritte Art der Erwerbung der Mutung war durch Ver-
säumnis. Wenn nämlich der Unternehmer eine Grube eröffnete und

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[1220/1242] Belgien im 17. Jahrhundert. Grundbesitzer konnte den Oberflächenbesitz verkaufen und sich das Recht auf die Kohlenlager vorbehalten und dies geschah wiederholt namentlich von Klöstern und geistigen Stiften. Sodann gehörten alle Steinkohlen unter den Landstraſsen oder öffentlichen Ländereien dem Landesherrn. Der Unternehmer muſste die Grenze des Grundstücks einhalten oder von dem nächsten Grundbesitzer ebenfalls durch Ver- trag das Recht auf den Abbau erwerben. Die Übertragung des Rechtes des Grundbesitzers auf die Kohlenlager an einen Unternehmer konnte in sehr verschiedener Weise geschehen. Es läſst sich also wohl denken, wie sehr sich die Verhältnisse im Laufe der Zeit ver- wickeln muſsten und wieviel Rechtsstreite entstanden. „Wenige Unternehmungen sind soviel Prozessen unterworfen, als die Kohlen- bergwerkssachen“, sagte Jars 1767. Der Gerichtshof, welcher in früherer Zeit die Streitigkeiten ent- schied, war „das Gericht der Kohlengeschworenen“ (le cour de voir juré du charbonage) zu Lüttich, anfangs aus vier, später aus sieben Geschworenen bestehend. Derselbe entschied nicht nur in den ihm zugewiesenen Streitfällen, sondern äuſserte sich auch gutachtlich. Hierdurch erlangte er besonderes Ansehen und Einfluſs über die Grenzen des Lütticher Landes hinaus und wurde öfter von Aachen und Limburg aus angerufen. Der Steinkohlenbergwerksunternehmer, der nicht selbst Grund- besitzer war, muſste sich von dem Grundbesitzer das Feld, wo er seinen Betrieb errichten wollte, sichern. Dies geschah durch Kon- trakt, und zwar entweder durch Belehnung oder durch Erlaubnis. Im Falle der Belehnung konnte der Beliehene seine Ansprüche an dem Bergwerksbesitz nur durch richterliche Entscheidung auf Grund der Bestimmungen des Gesetzes verlieren; im Falle der Erlaubnis verlor er seine Ansprüche ohne Weiteres, wenn er die Arbeit auf- gab, in welchem Falle dieselben mit den Bauten an den Grund- besitzer zurückfielen. Wenn der Grundbesitzer gegen die Anlage eines Bergbaues überhaupt Widerspruch erhob und die Zulassung ver- weigerte, konnte der Unternehmer die Belehnung durch Adjudikation erwerben. Im Falle der Weigerung wurde der Grundbesitzer auf Antrag des Unternehmers von der Bergbehörde aufgefordert, den Bergbau selbst zu beginnen. That er dies nicht in der bestimmten Frist, oder that er es nur zum Schein, indem er denselben begann, aber nicht fortführte, so wurde dem Unternehmer die Belehnung er- teilt. Eine dritte Art der Erwerbung der Mutung war durch Ver- säumnis. Wenn nämlich der Unternehmer eine Grube eröffnete und

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Zitationshilfe: Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 2: Das XVI. und XVII. Jahrhundert. Braunschweig, 1895, S. 1220. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beck_eisen02_1895/1242>, abgerufen am 26.04.2024.