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Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851.

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§. 45-49. Die Verjährung.
jeder Beschluß und jede sonstige Handlung des Richters, welche die Eröffnung,
Fortsetzung oder die Beendigung der Untersuchung oder die Verhaftung des
Angeschuldigten betrifft, unterbricht die Verjährung.

§. 49.

Gegen rechtskräftig erkannte Strafen ist keine Verjährung zulässig.



Die neueren Deutschen Gesetzgebungen behandeln die Verjährung
als einen Theil des materiellen Strafrechts, während in der Preußischen
sowohl als in der Französischen Strafgerichtsordnung die Bestimmungen
über dieselbe sich unter den prozessualischen Vorschriften finden. f) Daß
man bei der Entwerfung des Strafgesetzbuchs jenen neueren Gesetzge-
bungen gefolgt ist, beruht auf der Erwägung, daß nach den mit der
Verjährung verbundenen Wirkungen der Gegenstand mehr das materielle
als das formelle Recht betrifft. g) Auf eine nähere Erörterung dieser
streitigen Frage einzugehen, ist hier nicht der Ort.

Von besonderer Wichtigkeit ist nun bei dieser ganzen Lehre die
Frage, ob nur eine Verjährung der Verbrechen und Vergehen, h) oder
daneben auch eine Verjährung der erkannten Strafen statt finden soll.
Die neueren Gesetzgebungen sind in ihrer großen Mehrzahl für die Zu-
lassung auch der zweiten Art, wenn sie auch für dieselbe besondere
Vorschriften, namentlich in Beziehung auf die Dauer der Fristen, auf-
zustellen pflegen. Die Staatsraths-Kommission erklärte sich jedoch gegen
diese Auffassung, welche auch in dem gemeinen Deutschen Kriminalrecht
und in einigen Deutschen Gesetzgebungen keine Anerkennung gefunden
hat. i) Zur Erläuterung dieser Frage wurde bemerkt, daß die Verjäh-
rung in Strafsachen möglicher Weise nur darauf beruhen könne,

1) daß die Ausmittelung der Schuld oder Unschuld durch den Zeit-
verlauf unmöglich gemacht oder doch sehr erschwert werde;
2) der Zweck einer Abschreckung größtentheils wegfalle, wenn die
Strafe so spät eintrete, und
3) es als wahrscheinlich anzunehmen sei, daß der Verbrecher sich
gebessert habe.

f) Criminal-Ordnung. §. 597-603. -- Code d'instruction
crim. Art
.
635-43.
g) Motive zum ersten Entwurf. I. S. 185. 186. -- Berathungs-
Protokolle der Staatsraths-Kommission
I. S. 119.
h) Ueber die Verjährung der Uebertretungen, welche sich übrigens nur durch
kürzere Fristen von der der Verbrechen und Vergehen unterscheiden, s. unten §. 339.
i) Hannov. Criminalgesetzbuch. Art. 88. -- Hess. Strafgesetzbuch.
Art. 128. -- Ueber das gemeine Deutsche Kriminalrecht vergl. Heffter, Lehrbuch.
§. 189. Note 10.

§. 45-49. Die Verjährung.
jeder Beſchluß und jede ſonſtige Handlung des Richters, welche die Eröffnung,
Fortſetzung oder die Beendigung der Unterſuchung oder die Verhaftung des
Angeſchuldigten betrifft, unterbricht die Verjährung.

§. 49.

Gegen rechtskräftig erkannte Strafen iſt keine Verjährung zuläſſig.



Die neueren Deutſchen Geſetzgebungen behandeln die Verjährung
als einen Theil des materiellen Strafrechts, während in der Preußiſchen
ſowohl als in der Franzöſiſchen Strafgerichtsordnung die Beſtimmungen
über dieſelbe ſich unter den prozeſſualiſchen Vorſchriften finden. f) Daß
man bei der Entwerfung des Strafgeſetzbuchs jenen neueren Geſetzge-
bungen gefolgt iſt, beruht auf der Erwägung, daß nach den mit der
Verjährung verbundenen Wirkungen der Gegenſtand mehr das materielle
als das formelle Recht betrifft. g) Auf eine nähere Erörterung dieſer
ſtreitigen Frage einzugehen, iſt hier nicht der Ort.

Von beſonderer Wichtigkeit iſt nun bei dieſer ganzen Lehre die
Frage, ob nur eine Verjährung der Verbrechen und Vergehen, h) oder
daneben auch eine Verjährung der erkannten Strafen ſtatt finden ſoll.
Die neueren Geſetzgebungen ſind in ihrer großen Mehrzahl für die Zu-
laſſung auch der zweiten Art, wenn ſie auch für dieſelbe beſondere
Vorſchriften, namentlich in Beziehung auf die Dauer der Friſten, auf-
zuſtellen pflegen. Die Staatsraths-Kommiſſion erklärte ſich jedoch gegen
dieſe Auffaſſung, welche auch in dem gemeinen Deutſchen Kriminalrecht
und in einigen Deutſchen Geſetzgebungen keine Anerkennung gefunden
hat. i) Zur Erläuterung dieſer Frage wurde bemerkt, daß die Verjäh-
rung in Strafſachen möglicher Weiſe nur darauf beruhen könne,

1) daß die Ausmittelung der Schuld oder Unſchuld durch den Zeit-
verlauf unmöglich gemacht oder doch ſehr erſchwert werde;
2) der Zweck einer Abſchreckung größtentheils wegfalle, wenn die
Strafe ſo ſpät eintrete, und
3) es als wahrſcheinlich anzunehmen ſei, daß der Verbrecher ſich
gebeſſert habe.

f) Criminal-Ordnung. §. 597-603. — Code d'instruction
crim. Art
.
635-43.
g) Motive zum erſten Entwurf. I. S. 185. 186. — Berathungs-
Protokolle der Staatsraths-Kommiſſion
I. S. 119.
h) Ueber die Verjährung der Uebertretungen, welche ſich übrigens nur durch
kürzere Friſten von der der Verbrechen und Vergehen unterſcheiden, ſ. unten §. 339.
i) Hannov. Criminalgeſetzbuch. Art. 88. — Heſſ. Strafgeſetzbuch.
Art. 128. — Ueber das gemeine Deutſche Kriminalrecht vergl. Heffter, Lehrbuch.
§. 189. Note 10.
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[197/0207] §. 45-49. Die Verjährung. jeder Beſchluß und jede ſonſtige Handlung des Richters, welche die Eröffnung, Fortſetzung oder die Beendigung der Unterſuchung oder die Verhaftung des Angeſchuldigten betrifft, unterbricht die Verjährung. §. 49. Gegen rechtskräftig erkannte Strafen iſt keine Verjährung zuläſſig. Die neueren Deutſchen Geſetzgebungen behandeln die Verjährung als einen Theil des materiellen Strafrechts, während in der Preußiſchen ſowohl als in der Franzöſiſchen Strafgerichtsordnung die Beſtimmungen über dieſelbe ſich unter den prozeſſualiſchen Vorſchriften finden. f) Daß man bei der Entwerfung des Strafgeſetzbuchs jenen neueren Geſetzge- bungen gefolgt iſt, beruht auf der Erwägung, daß nach den mit der Verjährung verbundenen Wirkungen der Gegenſtand mehr das materielle als das formelle Recht betrifft. g) Auf eine nähere Erörterung dieſer ſtreitigen Frage einzugehen, iſt hier nicht der Ort. Von beſonderer Wichtigkeit iſt nun bei dieſer ganzen Lehre die Frage, ob nur eine Verjährung der Verbrechen und Vergehen, h) oder daneben auch eine Verjährung der erkannten Strafen ſtatt finden ſoll. Die neueren Geſetzgebungen ſind in ihrer großen Mehrzahl für die Zu- laſſung auch der zweiten Art, wenn ſie auch für dieſelbe beſondere Vorſchriften, namentlich in Beziehung auf die Dauer der Friſten, auf- zuſtellen pflegen. Die Staatsraths-Kommiſſion erklärte ſich jedoch gegen dieſe Auffaſſung, welche auch in dem gemeinen Deutſchen Kriminalrecht und in einigen Deutſchen Geſetzgebungen keine Anerkennung gefunden hat. i) Zur Erläuterung dieſer Frage wurde bemerkt, daß die Verjäh- rung in Strafſachen möglicher Weiſe nur darauf beruhen könne, 1) daß die Ausmittelung der Schuld oder Unſchuld durch den Zeit- verlauf unmöglich gemacht oder doch ſehr erſchwert werde; 2) der Zweck einer Abſchreckung größtentheils wegfalle, wenn die Strafe ſo ſpät eintrete, und 3) es als wahrſcheinlich anzunehmen ſei, daß der Verbrecher ſich gebeſſert habe. f) Criminal-Ordnung. §. 597-603. — Code d'instruction crim. Art. 635-43. g) Motive zum erſten Entwurf. I. S. 185. 186. — Berathungs- Protokolle der Staatsraths-Kommiſſion I. S. 119. h) Ueber die Verjährung der Uebertretungen, welche ſich übrigens nur durch kürzere Friſten von der der Verbrechen und Vergehen unterſcheiden, ſ. unten §. 339. i) Hannov. Criminalgeſetzbuch. Art. 88. — Heſſ. Strafgeſetzbuch. Art. 128. — Ueber das gemeine Deutſche Kriminalrecht vergl. Heffter, Lehrbuch. §. 189. Note 10.

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Zitationshilfe: Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851, S. 197. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851/207>, abgerufen am 26.04.2024.