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Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851.

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§. 143. Widernatürliche Unzucht. §§. 144. 145. Nothzucht u. s. w.
besondere Stellung, welche die Personen, auf welche sie sich beziehen,
einnehmen; in dem Verbrechen liegt immer ein schmählicher Mißbrauch
ihrer Autorität und des ihnen geschenkten Vertrauens.

§. 143.

Die widernatürliche Unzucht, welche zwischen Personen männlichen Geschlechts
oder von Menschen mit Thieren verübt wird, ist mit Gefängniß von sechs
Monaten bis zu vier Jahren, sowie mit zeitiger Untersagung der Ausübung
der bürgerlichen Ehrenrechte zu bestrafen.



Die Strafen der Päderastie und der Sodomiterei sind im Verhältniß
zu den Bestimmungen der älteren Gesetze gemildert; über die Gründe
s. den Bericht der Kommission der ersten Kammer zu diesem Paragraphen.

§. 144.

Mit Zuchthaus bis zu zwanzig Jahren wird bestraft:

1) wer an einer Person des einen oder des anderen Geschlechtes mit Ge-
walt eine auf Befriedigung des Geschlechtstriebes gerichtete unzüchtige
Handlung verübt, oder sie durch Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr
für Leib oder Leben zur Duldung einer solchen unzüchtigen Handlung
zwingt;
2) wer eine in einem willenlosen oder bewußtlosen Zustande befindliche Per-
son zu einer auf Befriedigung des Geschlechtstriebes gerichteten unzüch-
tigen Handlung mißbraucht;
3) wer mit Personen unter vierzehn Jahren unzüchtige Handlungen vor-
nimmt, oder dieselben zur Verübung oder Duldung unzüchtiger Hand-
lungen verleitet.

Ist der Tod der Person, gegen welche das Verbrechen verübt wird, dadurch
verursacht worden, so tritt lebenslängliche Zuchthausstrafe ein.

§. 145.

Wer eine Frauensperson zur Gestattung des Beischlafs dadurch verleitet,
daß er eine Trauung vorspiegelt oder einen anderen Irrthum erregt, in wel-
chem sie den Beischlaf für einen ehelichen halten mußte, wird mit Zuchthaus
bis zu fünf Jahren bestraft.



Das wichtigste der hier behandelten Verbrechen ist das der Noth-
zucht; die anderen haben mit demselben zwar den Zweck und zum Theil
die Strafe gemein, aber es fehlt ihnen als wesentliches Erforderniß des
Thatbestandes die Anwendung von Gewalt oder Drohungen.

A. Die Nothzucht (le viol).

Der Begriff des Verbrechens, dessen technische Bezeichnung selbst
vermieden worden, findet sich hier weiter gefaßt, als in dem früheren

Beseler Kommentar. 21

§. 143. Widernatürliche Unzucht. §§. 144. 145. Nothzucht u. ſ. w.
beſondere Stellung, welche die Perſonen, auf welche ſie ſich beziehen,
einnehmen; in dem Verbrechen liegt immer ein ſchmählicher Mißbrauch
ihrer Autorität und des ihnen geſchenkten Vertrauens.

§. 143.

Die widernatürliche Unzucht, welche zwiſchen Perſonen männlichen Geſchlechts
oder von Menſchen mit Thieren verübt wird, iſt mit Gefängniß von ſechs
Monaten bis zu vier Jahren, ſowie mit zeitiger Unterſagung der Ausübung
der bürgerlichen Ehrenrechte zu beſtrafen.



Die Strafen der Päderaſtie und der Sodomiterei ſind im Verhältniß
zu den Beſtimmungen der älteren Geſetze gemildert; über die Gründe
ſ. den Bericht der Kommiſſion der erſten Kammer zu dieſem Paragraphen.

§. 144.

Mit Zuchthaus bis zu zwanzig Jahren wird beſtraft:

1) wer an einer Perſon des einen oder des anderen Geſchlechtes mit Ge-
walt eine auf Befriedigung des Geſchlechtstriebes gerichtete unzüchtige
Handlung verübt, oder ſie durch Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr
für Leib oder Leben zur Duldung einer ſolchen unzüchtigen Handlung
zwingt;
2) wer eine in einem willenloſen oder bewußtloſen Zuſtande befindliche Per-
ſon zu einer auf Befriedigung des Geſchlechtstriebes gerichteten unzüch-
tigen Handlung mißbraucht;
3) wer mit Perſonen unter vierzehn Jahren unzüchtige Handlungen vor-
nimmt, oder dieſelben zur Verübung oder Duldung unzüchtiger Hand-
lungen verleitet.

Iſt der Tod der Perſon, gegen welche das Verbrechen verübt wird, dadurch
verurſacht worden, ſo tritt lebenslängliche Zuchthausſtrafe ein.

§. 145.

Wer eine Frauensperſon zur Geſtattung des Beiſchlafs dadurch verleitet,
daß er eine Trauung vorſpiegelt oder einen anderen Irrthum erregt, in wel-
chem ſie den Beiſchlaf für einen ehelichen halten mußte, wird mit Zuchthaus
bis zu fünf Jahren beſtraft.



Das wichtigſte der hier behandelten Verbrechen iſt das der Noth-
zucht; die anderen haben mit demſelben zwar den Zweck und zum Theil
die Strafe gemein, aber es fehlt ihnen als weſentliches Erforderniß des
Thatbeſtandes die Anwendung von Gewalt oder Drohungen.

A. Die Nothzucht (le viol).

Der Begriff des Verbrechens, deſſen techniſche Bezeichnung ſelbſt
vermieden worden, findet ſich hier weiter gefaßt, als in dem früheren

Beſeler Kommentar. 21
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[313/0323] §. 143. Widernatürliche Unzucht. §§. 144. 145. Nothzucht u. ſ. w. beſondere Stellung, welche die Perſonen, auf welche ſie ſich beziehen, einnehmen; in dem Verbrechen liegt immer ein ſchmählicher Mißbrauch ihrer Autorität und des ihnen geſchenkten Vertrauens. §. 143. Die widernatürliche Unzucht, welche zwiſchen Perſonen männlichen Geſchlechts oder von Menſchen mit Thieren verübt wird, iſt mit Gefängniß von ſechs Monaten bis zu vier Jahren, ſowie mit zeitiger Unterſagung der Ausübung der bürgerlichen Ehrenrechte zu beſtrafen. Die Strafen der Päderaſtie und der Sodomiterei ſind im Verhältniß zu den Beſtimmungen der älteren Geſetze gemildert; über die Gründe ſ. den Bericht der Kommiſſion der erſten Kammer zu dieſem Paragraphen. §. 144. Mit Zuchthaus bis zu zwanzig Jahren wird beſtraft: 1) wer an einer Perſon des einen oder des anderen Geſchlechtes mit Ge- walt eine auf Befriedigung des Geſchlechtstriebes gerichtete unzüchtige Handlung verübt, oder ſie durch Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben zur Duldung einer ſolchen unzüchtigen Handlung zwingt; 2) wer eine in einem willenloſen oder bewußtloſen Zuſtande befindliche Per- ſon zu einer auf Befriedigung des Geſchlechtstriebes gerichteten unzüch- tigen Handlung mißbraucht; 3) wer mit Perſonen unter vierzehn Jahren unzüchtige Handlungen vor- nimmt, oder dieſelben zur Verübung oder Duldung unzüchtiger Hand- lungen verleitet. Iſt der Tod der Perſon, gegen welche das Verbrechen verübt wird, dadurch verurſacht worden, ſo tritt lebenslängliche Zuchthausſtrafe ein. §. 145. Wer eine Frauensperſon zur Geſtattung des Beiſchlafs dadurch verleitet, daß er eine Trauung vorſpiegelt oder einen anderen Irrthum erregt, in wel- chem ſie den Beiſchlaf für einen ehelichen halten mußte, wird mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren beſtraft. Das wichtigſte der hier behandelten Verbrechen iſt das der Noth- zucht; die anderen haben mit demſelben zwar den Zweck und zum Theil die Strafe gemein, aber es fehlt ihnen als weſentliches Erforderniß des Thatbeſtandes die Anwendung von Gewalt oder Drohungen. A. Die Nothzucht (le viol). Der Begriff des Verbrechens, deſſen techniſche Bezeichnung ſelbſt vermieden worden, findet ſich hier weiter gefaßt, als in dem früheren Beſeler Kommentar. 21

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Zitationshilfe: Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851, S. 313. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851/323>, abgerufen am 26.04.2024.