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Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851.

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§. 141. Blutschande.

3) unzüchtige Handlungen (§§. 142. Nr. 1-3. 144. Nr. 3.),

4) auf Befriedigung des Geschlechtstriebes gerichtete unzüchtige
Handlungen (§. 144. Nr. 1. und 2.),

5) Beischlaf (§§. 145. 149.)

vor. Es haben sich Zweifel darüber ergeben, ob und inwieweit durch
diese verschiedenen Ausdrücke verschiedene Handlungen bezeichnet seien.
Man war jedoch in der Kommission schließlich darüber einverstanden,
daß unter dem erstgedachten Ausdrucke dasselbe zu verstehen sei, wie
unter dem zu 5., welcher letztere sich füglich von dem zu 2. nicht habe
gebrauchen lassen; ferner, daß zwar auch bei den zu 4. bezeichneten
strafbaren Handlungen zum Thatbestande nicht Momente erforderlich
seien, in deren Präzisirung sich Strafrechtslehre und Strafrechtspraxis
früherhin mit einer gewissen Laszivität zu ergehen pflegten, und daß zu
denselben auch Handlungen der zu 2. bezeichneten Art gehörten, daß
aber zu den unzüchtigen Handlungen zu 3., wenn auch nicht bloße Un-
anständigkeiten, doch auch schon andere, als die zu 4. bezeichneten
Handlungen zu rechnen seien, welche die Schamhaftigkeit gegen eine be-
stimmte Person verletzen und von dem Thäter aus Geilheit und zum
Sinnenkitzel vorgenommen werden."

Zu dem §. 141. wird dann noch insbesondere bemerkt:

"In dem den Inzest betreffenden Paragraphen werden nun (und
zwar zur Vermeidung einer anstößig befundenen Fassung und einer wi-
drigen Kasuistik, unter Zusammenziehung der §§. 162-66. des Ent-
wurfs vom Jahre 1847.) Handlungen unter Strafe gestellt, die im
Rheinischen Strafgesetzbuche sämmtlich und im Allgemeinen Landrechte
theilweise (nämlich zwischen Schwiegereltern und Schwiegerkindern, so
wie Rücksichts der Stiefkinder, wenn sie, was in der Regel der Fall,
als blos Verführte anzusehen sind) es nicht sind. Die Strafbarkeit
aller dieser, die Familienrechte gefährdenden Unzuchtsfälle ist jedoch in
der Kommission nicht in Zweifel gezogen worden. Auch hält es die
Kommission für angemessen, daß kein Unterschied gemacht worden, ob
durch eheliche oder uneheliche Geburt das Verwandtschafts- oder Affini-
täts-Verhältniß, -- soweit Letzteres nach Lage der bürgerlichen Gesetz-
gebung dabei überhaupt eintritt (vgl. Allg. Landrecht I. 1. §. 44.) --
begründet war. Kenntniß desselben wird vorausgesetzt (§. 44. des
Strafgesetzbuchs) und nur auf die Strafzumessung kann jener Unter-
schied Einfluß haben."

"Erinnert wurde, daß durch die Fassung des ersten Absatzes die
Unzucht zwischen Großeltern und Enkeln für ausgeschlossen erachtet wer-
den könnte; es ward angetragen, statt "Eltern und Kindern" zu sagen
"Verwandten in auf- und absteigender Linie". Die Kommission er-

§. 141. Blutſchande.

3) unzüchtige Handlungen (§§. 142. Nr. 1-3. 144. Nr. 3.),

4) auf Befriedigung des Geſchlechtstriebes gerichtete unzüchtige
Handlungen (§. 144. Nr. 1. und 2.),

5) Beiſchlaf (§§. 145. 149.)

vor. Es haben ſich Zweifel darüber ergeben, ob und inwieweit durch
dieſe verſchiedenen Ausdrücke verſchiedene Handlungen bezeichnet ſeien.
Man war jedoch in der Kommiſſion ſchließlich darüber einverſtanden,
daß unter dem erſtgedachten Ausdrucke daſſelbe zu verſtehen ſei, wie
unter dem zu 5., welcher letztere ſich füglich von dem zu 2. nicht habe
gebrauchen laſſen; ferner, daß zwar auch bei den zu 4. bezeichneten
ſtrafbaren Handlungen zum Thatbeſtande nicht Momente erforderlich
ſeien, in deren Präziſirung ſich Strafrechtslehre und Strafrechtspraxis
früherhin mit einer gewiſſen Laszivität zu ergehen pflegten, und daß zu
denſelben auch Handlungen der zu 2. bezeichneten Art gehörten, daß
aber zu den unzüchtigen Handlungen zu 3., wenn auch nicht bloße Un-
anſtändigkeiten, doch auch ſchon andere, als die zu 4. bezeichneten
Handlungen zu rechnen ſeien, welche die Schamhaftigkeit gegen eine be-
ſtimmte Perſon verletzen und von dem Thäter aus Geilheit und zum
Sinnenkitzel vorgenommen werden.“

Zu dem §. 141. wird dann noch insbeſondere bemerkt:

„In dem den Inzeſt betreffenden Paragraphen werden nun (und
zwar zur Vermeidung einer anſtößig befundenen Faſſung und einer wi-
drigen Kaſuiſtik, unter Zuſammenziehung der §§. 162-66. des Ent-
wurfs vom Jahre 1847.) Handlungen unter Strafe geſtellt, die im
Rheiniſchen Strafgeſetzbuche ſämmtlich und im Allgemeinen Landrechte
theilweiſe (nämlich zwiſchen Schwiegereltern und Schwiegerkindern, ſo
wie Rückſichts der Stiefkinder, wenn ſie, was in der Regel der Fall,
als blos Verführte anzuſehen ſind) es nicht ſind. Die Strafbarkeit
aller dieſer, die Familienrechte gefährdenden Unzuchtsfälle iſt jedoch in
der Kommiſſion nicht in Zweifel gezogen worden. Auch hält es die
Kommiſſion für angemeſſen, daß kein Unterſchied gemacht worden, ob
durch eheliche oder uneheliche Geburt das Verwandtſchafts- oder Affini-
täts-Verhältniß, — ſoweit Letzteres nach Lage der bürgerlichen Geſetz-
gebung dabei überhaupt eintritt (vgl. Allg. Landrecht I. 1. §. 44.) —
begründet war. Kenntniß deſſelben wird vorausgeſetzt (§. 44. des
Strafgeſetzbuchs) und nur auf die Strafzumeſſung kann jener Unter-
ſchied Einfluß haben.“

„Erinnert wurde, daß durch die Faſſung des erſten Abſatzes die
Unzucht zwiſchen Großeltern und Enkeln für ausgeſchloſſen erachtet wer-
den könnte; es ward angetragen, ſtatt „Eltern und Kindern“ zu ſagen
„Verwandten in auf- und abſteigender Linie“. Die Kommiſſion er-

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[311/0321] §. 141. Blutſchande. 3) unzüchtige Handlungen (§§. 142. Nr. 1-3. 144. Nr. 3.), 4) auf Befriedigung des Geſchlechtstriebes gerichtete unzüchtige Handlungen (§. 144. Nr. 1. und 2.), 5) Beiſchlaf (§§. 145. 149.) vor. Es haben ſich Zweifel darüber ergeben, ob und inwieweit durch dieſe verſchiedenen Ausdrücke verſchiedene Handlungen bezeichnet ſeien. Man war jedoch in der Kommiſſion ſchließlich darüber einverſtanden, daß unter dem erſtgedachten Ausdrucke daſſelbe zu verſtehen ſei, wie unter dem zu 5., welcher letztere ſich füglich von dem zu 2. nicht habe gebrauchen laſſen; ferner, daß zwar auch bei den zu 4. bezeichneten ſtrafbaren Handlungen zum Thatbeſtande nicht Momente erforderlich ſeien, in deren Präziſirung ſich Strafrechtslehre und Strafrechtspraxis früherhin mit einer gewiſſen Laszivität zu ergehen pflegten, und daß zu denſelben auch Handlungen der zu 2. bezeichneten Art gehörten, daß aber zu den unzüchtigen Handlungen zu 3., wenn auch nicht bloße Un- anſtändigkeiten, doch auch ſchon andere, als die zu 4. bezeichneten Handlungen zu rechnen ſeien, welche die Schamhaftigkeit gegen eine be- ſtimmte Perſon verletzen und von dem Thäter aus Geilheit und zum Sinnenkitzel vorgenommen werden.“ Zu dem §. 141. wird dann noch insbeſondere bemerkt: „In dem den Inzeſt betreffenden Paragraphen werden nun (und zwar zur Vermeidung einer anſtößig befundenen Faſſung und einer wi- drigen Kaſuiſtik, unter Zuſammenziehung der §§. 162-66. des Ent- wurfs vom Jahre 1847.) Handlungen unter Strafe geſtellt, die im Rheiniſchen Strafgeſetzbuche ſämmtlich und im Allgemeinen Landrechte theilweiſe (nämlich zwiſchen Schwiegereltern und Schwiegerkindern, ſo wie Rückſichts der Stiefkinder, wenn ſie, was in der Regel der Fall, als blos Verführte anzuſehen ſind) es nicht ſind. Die Strafbarkeit aller dieſer, die Familienrechte gefährdenden Unzuchtsfälle iſt jedoch in der Kommiſſion nicht in Zweifel gezogen worden. Auch hält es die Kommiſſion für angemeſſen, daß kein Unterſchied gemacht worden, ob durch eheliche oder uneheliche Geburt das Verwandtſchafts- oder Affini- täts-Verhältniß, — ſoweit Letzteres nach Lage der bürgerlichen Geſetz- gebung dabei überhaupt eintritt (vgl. Allg. Landrecht I. 1. §. 44.) — begründet war. Kenntniß deſſelben wird vorausgeſetzt (§. 44. des Strafgeſetzbuchs) und nur auf die Strafzumeſſung kann jener Unter- ſchied Einfluß haben.“ „Erinnert wurde, daß durch die Faſſung des erſten Abſatzes die Unzucht zwiſchen Großeltern und Enkeln für ausgeſchloſſen erachtet wer- den könnte; es ward angetragen, ſtatt „Eltern und Kindern“ zu ſagen „Verwandten in auf- und abſteigender Linie“. Die Kommiſſion er-

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Zitationshilfe: Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851, S. 311. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851/321>, abgerufen am 26.04.2024.