Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898.

Bild:
<< vorherige Seite

Einundzwanzigstes Kapitel: Der Norddeutsche Bund.
auf einzelne bereits Compromittirte. Nach der Haltung der hanöver¬
schen Truppentheile im Kriege ist es nicht wahrscheinlich, daß
ein welfischer Aufstand in der Heimath einen erheblichen Umfang
hätte annehmen können, wenigstens nicht, so lange unser Vorgehn
in Frankreich siegreich war. Was geschehn wäre, wenn wir ge¬
schlagen und verfolgt durch Hanover heimgekehrt wären, lasse ich
unberührt. Eine prophylaktische Politik hat aber auch solche Möglich¬
keiten zu erwägen; jedenfalls war ich entschlossen, in der Zwangs¬
lage des Krieges dem Könige zu jedem Acte energischer Abwehr
zu rathen, den der Trieb der staatlichen Selbsterhaltung ein¬
geben kann. Und selbst wenn nur einzelne schwere und wahr¬
scheinlich blutige Bestrafungen hätten stattfinden müssen, so würden
die Gewaltthaten gegen deutsche Landsleute, wie sehr sie auch durch
die Kriegsgefahr gerechtfertigt sein mochten, auf Menschenalter hin
ein Hinderniß der Versöhnung und einen Vorwand für Verhetzungen
abgegeben haben. Es war mir deshalb wichtig, solchen Eventuali¬
täten rechtzeitig vorzubeugen.

VIII.

Die Kämpfe während des vergangenen Winters mit dem
Könige, der den Krieg nicht wollte, während des Feldzuges mit
den Militärs, die nur Oestreich, nicht die übrigen Mächte
Europas vor sich sahn, und mit dem Könige über den Friedens¬
schluß und dann wieder über die Indemnität, hatten mich so
angegriffen, daß ich der Ruhe und Erholung bedurfte. Ich
ging zunächst am 26. September zu meinem Vetter, dem Grafen
Bismarck-Bohlen in Karlsburg, und dann am 6. October nach
Putbus, wo ich im Gasthofe schwer erkrankte. Der Fürst und
die Fürstin Putbus gewährten mir eine liebenswürdige Gastfreiheit
in einem Pavillon, der neben dem abgebrannten Schlosse stehn
geblieben war. Nachdem der erste heftige Anlauf der Krankheit
überstanden war, konnte ich die Geschäfte wieder in die Hand

Einundzwanzigſtes Kapitel: Der Norddeutſche Bund.
auf einzelne bereits Compromittirte. Nach der Haltung der hanöver¬
ſchen Truppentheile im Kriege iſt es nicht wahrſcheinlich, daß
ein welfiſcher Aufſtand in der Heimath einen erheblichen Umfang
hätte annehmen können, wenigſtens nicht, ſo lange unſer Vorgehn
in Frankreich ſiegreich war. Was geſchehn wäre, wenn wir ge¬
ſchlagen und verfolgt durch Hanover heimgekehrt wären, laſſe ich
unberührt. Eine prophylaktiſche Politik hat aber auch ſolche Möglich¬
keiten zu erwägen; jedenfalls war ich entſchloſſen, in der Zwangs¬
lage des Krieges dem Könige zu jedem Acte energiſcher Abwehr
zu rathen, den der Trieb der ſtaatlichen Selbſterhaltung ein¬
geben kann. Und ſelbſt wenn nur einzelne ſchwere und wahr¬
ſcheinlich blutige Beſtrafungen hätten ſtattfinden müſſen, ſo würden
die Gewaltthaten gegen deutſche Landsleute, wie ſehr ſie auch durch
die Kriegsgefahr gerechtfertigt ſein mochten, auf Menſchenalter hin
ein Hinderniß der Verſöhnung und einen Vorwand für Verhetzungen
abgegeben haben. Es war mir deshalb wichtig, ſolchen Eventuali¬
täten rechtzeitig vorzubeugen.

VIII.

Die Kämpfe während des vergangenen Winters mit dem
Könige, der den Krieg nicht wollte, während des Feldzuges mit
den Militärs, die nur Oeſtreich, nicht die übrigen Mächte
Europas vor ſich ſahn, und mit dem Könige über den Friedens¬
ſchluß und dann wieder über die Indemnität, hatten mich ſo
angegriffen, daß ich der Ruhe und Erholung bedurfte. Ich
ging zunächſt am 26. September zu meinem Vetter, dem Grafen
Bismarck-Bohlen in Karlsburg, und dann am 6. October nach
Putbus, wo ich im Gaſthofe ſchwer erkrankte. Der Fürſt und
die Fürſtin Putbus gewährten mir eine liebenswürdige Gaſtfreiheit
in einem Pavillon, der neben dem abgebrannten Schloſſe ſtehn
geblieben war. Nachdem der erſte heftige Anlauf der Krankheit
überſtanden war, konnte ich die Geſchäfte wieder in die Hand

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0100" n="76"/><fw place="top" type="header">Einundzwanzig&#x017F;tes Kapitel: Der Norddeut&#x017F;che Bund.<lb/></fw>auf einzelne bereits Compromittirte. Nach der Haltung der hanöver¬<lb/>
&#x017F;chen Truppentheile im Kriege i&#x017F;t es nicht wahr&#x017F;cheinlich, daß<lb/>
ein welfi&#x017F;cher Auf&#x017F;tand in der Heimath einen erheblichen Umfang<lb/>
hätte annehmen können, wenig&#x017F;tens nicht, &#x017F;o lange un&#x017F;er Vorgehn<lb/>
in Frankreich &#x017F;iegreich war. Was ge&#x017F;chehn wäre, wenn wir ge¬<lb/>
&#x017F;chlagen und verfolgt durch Hanover heimgekehrt wären, la&#x017F;&#x017F;e ich<lb/>
unberührt. Eine prophylakti&#x017F;che Politik hat aber auch &#x017F;olche Möglich¬<lb/>
keiten zu erwägen; jedenfalls war ich ent&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en, in der Zwangs¬<lb/>
lage des Krieges dem Könige zu jedem Acte energi&#x017F;cher Abwehr<lb/>
zu rathen, den der Trieb der &#x017F;taatlichen Selb&#x017F;terhaltung ein¬<lb/>
geben kann. Und &#x017F;elb&#x017F;t wenn nur einzelne &#x017F;chwere und wahr¬<lb/>
&#x017F;cheinlich blutige Be&#x017F;trafungen hätten &#x017F;tattfinden mü&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;o würden<lb/>
die Gewaltthaten gegen deut&#x017F;che Landsleute, wie &#x017F;ehr &#x017F;ie auch durch<lb/>
die Kriegsgefahr gerechtfertigt &#x017F;ein mochten, auf Men&#x017F;chenalter hin<lb/>
ein Hinderniß der Ver&#x017F;öhnung und einen Vorwand für Verhetzungen<lb/>
abgegeben haben. Es war mir deshalb wichtig, &#x017F;olchen Eventuali¬<lb/>
täten rechtzeitig vorzubeugen.</p><lb/>
        </div>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#aq">VIII.</hi><lb/>
          </head>
          <p>Die Kämpfe während des vergangenen Winters mit dem<lb/>
Könige, der den Krieg nicht wollte, während des Feldzuges mit<lb/>
den Militärs, die nur Oe&#x017F;treich, nicht die übrigen Mächte<lb/>
Europas vor &#x017F;ich &#x017F;ahn, und mit dem Könige über den Friedens¬<lb/>
&#x017F;chluß und dann wieder über die Indemnität, hatten mich &#x017F;o<lb/>
angegriffen, daß ich der Ruhe und Erholung bedurfte. Ich<lb/>
ging zunäch&#x017F;t am 26. September zu meinem Vetter, dem Grafen<lb/>
Bismarck-Bohlen in Karlsburg, und dann am 6. October nach<lb/>
Putbus, wo ich im Ga&#x017F;thofe &#x017F;chwer erkrankte. Der Für&#x017F;t und<lb/>
die Für&#x017F;tin Putbus gewährten mir eine liebenswürdige Ga&#x017F;tfreiheit<lb/>
in einem Pavillon, der neben dem abgebrannten Schlo&#x017F;&#x017F;e &#x017F;tehn<lb/>
geblieben war. Nachdem der er&#x017F;te heftige Anlauf der Krankheit<lb/>
über&#x017F;tanden war, konnte ich die Ge&#x017F;chäfte wieder in die Hand<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[76/0100] Einundzwanzigſtes Kapitel: Der Norddeutſche Bund. auf einzelne bereits Compromittirte. Nach der Haltung der hanöver¬ ſchen Truppentheile im Kriege iſt es nicht wahrſcheinlich, daß ein welfiſcher Aufſtand in der Heimath einen erheblichen Umfang hätte annehmen können, wenigſtens nicht, ſo lange unſer Vorgehn in Frankreich ſiegreich war. Was geſchehn wäre, wenn wir ge¬ ſchlagen und verfolgt durch Hanover heimgekehrt wären, laſſe ich unberührt. Eine prophylaktiſche Politik hat aber auch ſolche Möglich¬ keiten zu erwägen; jedenfalls war ich entſchloſſen, in der Zwangs¬ lage des Krieges dem Könige zu jedem Acte energiſcher Abwehr zu rathen, den der Trieb der ſtaatlichen Selbſterhaltung ein¬ geben kann. Und ſelbſt wenn nur einzelne ſchwere und wahr¬ ſcheinlich blutige Beſtrafungen hätten ſtattfinden müſſen, ſo würden die Gewaltthaten gegen deutſche Landsleute, wie ſehr ſie auch durch die Kriegsgefahr gerechtfertigt ſein mochten, auf Menſchenalter hin ein Hinderniß der Verſöhnung und einen Vorwand für Verhetzungen abgegeben haben. Es war mir deshalb wichtig, ſolchen Eventuali¬ täten rechtzeitig vorzubeugen. VIII. Die Kämpfe während des vergangenen Winters mit dem Könige, der den Krieg nicht wollte, während des Feldzuges mit den Militärs, die nur Oeſtreich, nicht die übrigen Mächte Europas vor ſich ſahn, und mit dem Könige über den Friedens¬ ſchluß und dann wieder über die Indemnität, hatten mich ſo angegriffen, daß ich der Ruhe und Erholung bedurfte. Ich ging zunächſt am 26. September zu meinem Vetter, dem Grafen Bismarck-Bohlen in Karlsburg, und dann am 6. October nach Putbus, wo ich im Gaſthofe ſchwer erkrankte. Der Fürſt und die Fürſtin Putbus gewährten mir eine liebenswürdige Gaſtfreiheit in einem Pavillon, der neben dem abgebrannten Schloſſe ſtehn geblieben war. Nachdem der erſte heftige Anlauf der Krankheit überſtanden war, konnte ich die Geſchäfte wieder in die Hand

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898/100
Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898/100>, abgerufen am 26.04.2024.