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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898.

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Gortschakows Trugkomödie. Le cauchemar des coalitions.
II.

Graf Schuwalow hatte vollkommen Recht, wenn er mir sagte,
daß mir der Gedanke an Coalitionen böse Träume verursache1).
Wir hatten gegen zwei der europäischen Großmächte siegreiche Kriege
geführt; es kam darauf an, wenigstens einen der beiden mächtigen
Gegner, die wir im Felde bekämpft hatten, der Versuchung zu ent¬
ziehn, die in der Aussicht lag, im Bunde mit andern Revanche
nehmen zu können. Daß Frankreich das nicht sein konnte, lag für
jeden Kenner der Geschichte und der gallischen Nationalität auf
der Hand, und wenn ein geheimer Vertrag von Reichstadt ohne
unsre Zustimmung und unser Wissen möglich war, so war auch
die alte Kaunitzsche Coalition von Frankreich, Oestreich, Rußland
nicht unmöglich, sobald die ihr entsprechenden, in Oestreich latent
vorhandenen Elemente dort an das Ruder kamen. Sie konnten
Anknüpfungspunkte finden, von denen aus sich die alte Rivalität,
das alte Streben nach deutscher Hegemonie als Factor der öst¬
reichischen Politik wieder beleben ließ in Anlehnung, sei es an
Frankreich, die zur Zeit des Grafen Beust und der Salzburger
Begegnung mit Louis Napoleon, August 1867, in der Luft schwebte,
sei es in Annäherung an Rußland, wie sie sich in dem geheimen
Abkommen von Reichstadt erkennen ließ.

Die Frage, welche Unterstützung Deutschland von England in
einem solchen Falle zu erwarten haben würde, will ich nicht ohne
Weitres im Rückblick auf die Geschichte des siebenjährigen Krieges
und des Wiener Congresses beantworten, es aber doch als wahr¬
scheinlich bezeichnen, daß ohne die Siege Friedrichs des Großen
die Sache des Königs von Preußen damals noch früher von Eng¬
land wäre fallen gelassen worden.

In dieser Situation lag die Aufforderung zu dem Versuch,

1) S. o. S. 224.
Gortſchakows Trugkomödie. Le cauchemar des coalitions.
II.

Graf Schuwalow hatte vollkommen Recht, wenn er mir ſagte,
daß mir der Gedanke an Coalitionen böſe Träume verurſache1).
Wir hatten gegen zwei der europäiſchen Großmächte ſiegreiche Kriege
geführt; es kam darauf an, wenigſtens einen der beiden mächtigen
Gegner, die wir im Felde bekämpft hatten, der Verſuchung zu ent¬
ziehn, die in der Ausſicht lag, im Bunde mit andern Revanche
nehmen zu können. Daß Frankreich das nicht ſein konnte, lag für
jeden Kenner der Geſchichte und der galliſchen Nationalität auf
der Hand, und wenn ein geheimer Vertrag von Reichſtadt ohne
unſre Zuſtimmung und unſer Wiſſen möglich war, ſo war auch
die alte Kaunitzſche Coalition von Frankreich, Oeſtreich, Rußland
nicht unmöglich, ſobald die ihr entſprechenden, in Oeſtreich latent
vorhandenen Elemente dort an das Ruder kamen. Sie konnten
Anknüpfungspunkte finden, von denen aus ſich die alte Rivalität,
das alte Streben nach deutſcher Hegemonie als Factor der öſt¬
reichiſchen Politik wieder beleben ließ in Anlehnung, ſei es an
Frankreich, die zur Zeit des Grafen Beuſt und der Salzburger
Begegnung mit Louis Napoleon, Auguſt 1867, in der Luft ſchwebte,
ſei es in Annäherung an Rußland, wie ſie ſich in dem geheimen
Abkommen von Reichſtadt erkennen ließ.

Die Frage, welche Unterſtützung Deutſchland von England in
einem ſolchen Falle zu erwarten haben würde, will ich nicht ohne
Weitres im Rückblick auf die Geſchichte des ſiebenjährigen Krieges
und des Wiener Congreſſes beantworten, es aber doch als wahr¬
ſcheinlich bezeichnen, daß ohne die Siege Friedrichs des Großen
die Sache des Königs von Preußen damals noch früher von Eng¬
land wäre fallen gelaſſen worden.

In dieſer Situation lag die Aufforderung zu dem Verſuch,

1) S. o. S. 224.
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[233/0257] Gortſchakows Trugkomödie. Le cauchemar des coalitions. II. Graf Schuwalow hatte vollkommen Recht, wenn er mir ſagte, daß mir der Gedanke an Coalitionen böſe Träume verurſache 1). Wir hatten gegen zwei der europäiſchen Großmächte ſiegreiche Kriege geführt; es kam darauf an, wenigſtens einen der beiden mächtigen Gegner, die wir im Felde bekämpft hatten, der Verſuchung zu ent¬ ziehn, die in der Ausſicht lag, im Bunde mit andern Revanche nehmen zu können. Daß Frankreich das nicht ſein konnte, lag für jeden Kenner der Geſchichte und der galliſchen Nationalität auf der Hand, und wenn ein geheimer Vertrag von Reichſtadt ohne unſre Zuſtimmung und unſer Wiſſen möglich war, ſo war auch die alte Kaunitzſche Coalition von Frankreich, Oeſtreich, Rußland nicht unmöglich, ſobald die ihr entſprechenden, in Oeſtreich latent vorhandenen Elemente dort an das Ruder kamen. Sie konnten Anknüpfungspunkte finden, von denen aus ſich die alte Rivalität, das alte Streben nach deutſcher Hegemonie als Factor der öſt¬ reichiſchen Politik wieder beleben ließ in Anlehnung, ſei es an Frankreich, die zur Zeit des Grafen Beuſt und der Salzburger Begegnung mit Louis Napoleon, Auguſt 1867, in der Luft ſchwebte, ſei es in Annäherung an Rußland, wie ſie ſich in dem geheimen Abkommen von Reichſtadt erkennen ließ. Die Frage, welche Unterſtützung Deutſchland von England in einem ſolchen Falle zu erwarten haben würde, will ich nicht ohne Weitres im Rückblick auf die Geſchichte des ſiebenjährigen Krieges und des Wiener Congreſſes beantworten, es aber doch als wahr¬ ſcheinlich bezeichnen, daß ohne die Siege Friedrichs des Großen die Sache des Königs von Preußen damals noch früher von Eng¬ land wäre fallen gelaſſen worden. In dieſer Situation lag die Aufforderung zu dem Verſuch, 1) S. o. S. 224.

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898, S. 233. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898/257>, abgerufen am 26.04.2024.