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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

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Zweites Capitel. II. Bodengestalt und Naturerscheinungen.
Natur bleibt doch im Grunde dieselbe in allen Zonen, und
eben deszhalb ist ein relativer Kampf derselben auch mit den
schädlichen Einflüssen einzelner Klimate nicht unmöglich.
Energische und gut ausgestattete Individuen lassen sich das
Klima wenig anfechten.

In Einer Hinsicht ist die politische Vorsicht voraus wichtig.
Sowohl die Natur des Landes, als der Kern eines Volkes ist
geschichtlich gegeben. Da läszt sich nicht viel ändern. Aber
wenn die Frage entsteht, wo der Hauptsitz eines States, die
Hauptstadt zu gründen oder wohin zu verlegen sei, dann sind
auch die klimatischen Rücksichten bei ihrer Entscheidung
nicht auszer Acht zu lassen. Es war ein kolossaler politischer
Fehlgriff als Kaiser Otto III. die Hauptstadt des deutschen
Reichs nach Rom verlegen wollte und es ist kein glücklicher
Gedanke, Ostindien von Calcutta aus zu verwalten. Obwohl
gegen die Wahl Berlins zur preuszischen Hauptstadt vieles
einzuwenden ist, so paszt der Ort doch weit besser als Königs-
berg zu dieser Aufgabe. Die -- freilich nur vorübergehende
-- Wahl von Florenz zur Hauptstadt des Königreichs Italien
hatte auch aus klimatischen Gründen den Vorzug vor dem
rauheren Turin oder dem weicheren Neapel verdient, indem
das Klima von Florenz eine glückliche Mitte hält, welche
jenem Gleichgewicht des Volksgeistes, der sich selber beherr-
schen soll, vorzugsweise günstig ist.



Zweites Capitel.
II. Bodengestalt und Naturerscheinungen.

Seit Carl Ritter pflegen die Geographen sorgfältigere
Rücksicht auf den Zusammenhang zu nehmen zwischen der
Bodengestalt und der Culturentwicklung der Menschen, welche
ein Land bewohnen. Die Einwirkung des Landes auf die

Zweites Capitel. II. Bodengestalt und Naturerscheinungen.
Natur bleibt doch im Grunde dieselbe in allen Zonen, und
eben deszhalb ist ein relativer Kampf derselben auch mit den
schädlichen Einflüssen einzelner Klimate nicht unmöglich.
Energische und gut ausgestattete Individuen lassen sich das
Klima wenig anfechten.

In Einer Hinsicht ist die politische Vorsicht voraus wichtig.
Sowohl die Natur des Landes, als der Kern eines Volkes ist
geschichtlich gegeben. Da läszt sich nicht viel ändern. Aber
wenn die Frage entsteht, wo der Hauptsitz eines States, die
Hauptstadt zu gründen oder wohin zu verlegen sei, dann sind
auch die klimatischen Rücksichten bei ihrer Entscheidung
nicht auszer Acht zu lassen. Es war ein kolossaler politischer
Fehlgriff als Kaiser Otto III. die Hauptstadt des deutschen
Reichs nach Rom verlegen wollte und es ist kein glücklicher
Gedanke, Ostindien von Calcutta aus zu verwalten. Obwohl
gegen die Wahl Berlins zur preuszischen Hauptstadt vieles
einzuwenden ist, so paszt der Ort doch weit besser als Königs-
berg zu dieser Aufgabe. Die — freilich nur vorübergehende
— Wahl von Florenz zur Hauptstadt des Königreichs Italien
hatte auch aus klimatischen Gründen den Vorzug vor dem
rauheren Turin oder dem weicheren Neapel verdient, indem
das Klima von Florenz eine glückliche Mitte hält, welche
jenem Gleichgewicht des Volksgeistes, der sich selber beherr-
schen soll, vorzugsweise günstig ist.



Zweites Capitel.
II. Bodengestalt und Naturerscheinungen.

Seit Carl Ritter pflegen die Geographen sorgfältigere
Rücksicht auf den Zusammenhang zu nehmen zwischen der
Bodengestalt und der Culturentwicklung der Menschen, welche
ein Land bewohnen. Die Einwirkung des Landes auf die

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[259/0277] Zweites Capitel. II. Bodengestalt und Naturerscheinungen. Natur bleibt doch im Grunde dieselbe in allen Zonen, und eben deszhalb ist ein relativer Kampf derselben auch mit den schädlichen Einflüssen einzelner Klimate nicht unmöglich. Energische und gut ausgestattete Individuen lassen sich das Klima wenig anfechten. In Einer Hinsicht ist die politische Vorsicht voraus wichtig. Sowohl die Natur des Landes, als der Kern eines Volkes ist geschichtlich gegeben. Da läszt sich nicht viel ändern. Aber wenn die Frage entsteht, wo der Hauptsitz eines States, die Hauptstadt zu gründen oder wohin zu verlegen sei, dann sind auch die klimatischen Rücksichten bei ihrer Entscheidung nicht auszer Acht zu lassen. Es war ein kolossaler politischer Fehlgriff als Kaiser Otto III. die Hauptstadt des deutschen Reichs nach Rom verlegen wollte und es ist kein glücklicher Gedanke, Ostindien von Calcutta aus zu verwalten. Obwohl gegen die Wahl Berlins zur preuszischen Hauptstadt vieles einzuwenden ist, so paszt der Ort doch weit besser als Königs- berg zu dieser Aufgabe. Die — freilich nur vorübergehende — Wahl von Florenz zur Hauptstadt des Königreichs Italien hatte auch aus klimatischen Gründen den Vorzug vor dem rauheren Turin oder dem weicheren Neapel verdient, indem das Klima von Florenz eine glückliche Mitte hält, welche jenem Gleichgewicht des Volksgeistes, der sich selber beherr- schen soll, vorzugsweise günstig ist. Zweites Capitel. II. Bodengestalt und Naturerscheinungen. Seit Carl Ritter pflegen die Geographen sorgfältigere Rücksicht auf den Zusammenhang zu nehmen zwischen der Bodengestalt und der Culturentwicklung der Menschen, welche ein Land bewohnen. Die Einwirkung des Landes auf die

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 259. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/277>, abgerufen am 26.04.2024.