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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868.

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Die Statshoheit im Verhaltniß zum Land. Gebietshoheit.
309.

Einer beschränkten Gebietshoheit unterworfen sind:

a) der das Land bespülende Küstensaum (§ 212),
b) die Seehäfen,
c) die Meereseinbrüche,
d) kleinere zwischen zwei Vorsprüngen des Landes gelegene Buchten.

Die nahe Beziehung solcher Theile des Meeres zum Lande und zum Stat
rechtfertigt eine relative Ausdehnung der Gebietshoheit. Dieselben werden als Zu-
gehörigkeit des Landes betrachtet, dessen Macht und Schutz sich darüber erstreckt. Die
Sicherheit des States und seiner Rechtsordnung ist dabei so offenbar interessirt, daß
der gewohnte Maßstab der Kanonenschußweite bei Buchten nicht immer als genügend
erachtet wird. Indessen ist diese Ausdehnung doch nur da zuzugestehn, wo ihre
Gründe wirksam sind und nicht wo der Umfang der Bucht sich weiter erstreckt, und
lediglich als Theil des offenen Meeres erscheint, wie z. B. in der Hudsons-Bai,
und in dem Meerbusen von Mexico. Unbestritten ist die Seeherrschaft Eng-
lands zwischen der Insel Wight und der Englischen Küste, aber keineswegs gutzu-
heißen in dem ganzen Kanal oder in dem Meer zwischen England und Irland,
wenn gleich der englische Admiralitätshof die Lehre von den "Engen Meeren"
(Narrow Seas) oft mit Erfolg über Gebühr ausdehnte und große Stücke des
offenen Meeres als sogenannte "Königskammern" (King's chambers) in Be-
schlag zu nehmen versuchte. Ebenso kann die Herrschaft der Türkei über die Meer-
engen der Dardanellen und des Bosphorus nicht bezweifelt werden, wenn
gleich das neuere Völkerrecht für die freie Schiffahrt auch durch diese Meerengen
ins schwarze Meer sorgt.

310.

In Folge dieser beschränkten Gebietshoheit ist der Stat berechtigt,
alle zum Schutze seines Gebietes und seiner Rechtsordnung nöthigen Maß-
regeln auch über diese Theile des Meeres auszudehnen, policeiliche Anord-
nungen zu treffen bezüglich der Schiffahrt und der Fischerei, aber er ist
nicht berechtigt, im Frieden die Durchfahrt oder die Benutzung dieser Ge-
wässer für die Schiffahrt willkürlich zu untersagen oder mit Steuern zu
beschweren.

So kann der Uferstat im Interesse seines Zollsystems die fremden Schiffe
anweisen, nur an bestimmten Stellen zu landen und sich des Verkehrs mit den
Küstenbewohnern zu enthalten, im Interesse der Sicherheit die Annäherung von
bewaffneten Schiffen verhindern u. s. f. Selbst Verbote der fremden Fischerei
kommen hier noch vor und werden anerkannt. Die Regulirung der Fischerei in
diesen Gewässern ist ganz unbedenklich.

Die Statshoheit im Verhaltniß zum Land. Gebietshoheit.
309.

Einer beſchränkten Gebietshoheit unterworfen ſind:

a) der das Land beſpülende Küſtenſaum (§ 212),
b) die Seehäfen,
c) die Meereseinbrüche,
d) kleinere zwiſchen zwei Vorſprüngen des Landes gelegene Buchten.

Die nahe Beziehung ſolcher Theile des Meeres zum Lande und zum Stat
rechtfertigt eine relative Ausdehnung der Gebietshoheit. Dieſelben werden als Zu-
gehörigkeit des Landes betrachtet, deſſen Macht und Schutz ſich darüber erſtreckt. Die
Sicherheit des States und ſeiner Rechtsordnung iſt dabei ſo offenbar intereſſirt, daß
der gewohnte Maßſtab der Kanonenſchußweite bei Buchten nicht immer als genügend
erachtet wird. Indeſſen iſt dieſe Ausdehnung doch nur da zuzugeſtehn, wo ihre
Gründe wirkſam ſind und nicht wo der Umfang der Bucht ſich weiter erſtreckt, und
lediglich als Theil des offenen Meeres erſcheint, wie z. B. in der Hudſons-Bai,
und in dem Meerbuſen von Mexico. Unbeſtritten iſt die Seeherrſchaft Eng-
lands zwiſchen der Inſel Wight und der Engliſchen Küſte, aber keineswegs gutzu-
heißen in dem ganzen Kanal oder in dem Meer zwiſchen England und Irland,
wenn gleich der engliſche Admiralitätshof die Lehre von den „Engen Meeren
(Narrow Seas) oft mit Erfolg über Gebühr ausdehnte und große Stücke des
offenen Meeres als ſogenannte „Königskammern“ (King’s chambers) in Be-
ſchlag zu nehmen verſuchte. Ebenſo kann die Herrſchaft der Türkei über die Meer-
engen der Dardanellen und des Bosphorus nicht bezweifelt werden, wenn
gleich das neuere Völkerrecht für die freie Schiffahrt auch durch dieſe Meerengen
ins ſchwarze Meer ſorgt.

310.

In Folge dieſer beſchränkten Gebietshoheit iſt der Stat berechtigt,
alle zum Schutze ſeines Gebietes und ſeiner Rechtsordnung nöthigen Maß-
regeln auch über dieſe Theile des Meeres auszudehnen, policeiliche Anord-
nungen zu treffen bezüglich der Schiffahrt und der Fiſcherei, aber er iſt
nicht berechtigt, im Frieden die Durchfahrt oder die Benutzung dieſer Ge-
wäſſer für die Schiffahrt willkürlich zu unterſagen oder mit Steuern zu
beſchweren.

So kann der Uferſtat im Intereſſe ſeines Zollſyſtems die fremden Schiffe
anweiſen, nur an beſtimmten Stellen zu landen und ſich des Verkehrs mit den
Küſtenbewohnern zu enthalten, im Intereſſe der Sicherheit die Annäherung von
bewaffneten Schiffen verhindern u. ſ. f. Selbſt Verbote der fremden Fiſcherei
kommen hier noch vor und werden anerkannt. Die Regulirung der Fiſcherei in
dieſen Gewäſſern iſt ganz unbedenklich.

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[181/0203] Die Statshoheit im Verhaltniß zum Land. Gebietshoheit. 309. Einer beſchränkten Gebietshoheit unterworfen ſind: a) der das Land beſpülende Küſtenſaum (§ 212), b) die Seehäfen, c) die Meereseinbrüche, d) kleinere zwiſchen zwei Vorſprüngen des Landes gelegene Buchten. Die nahe Beziehung ſolcher Theile des Meeres zum Lande und zum Stat rechtfertigt eine relative Ausdehnung der Gebietshoheit. Dieſelben werden als Zu- gehörigkeit des Landes betrachtet, deſſen Macht und Schutz ſich darüber erſtreckt. Die Sicherheit des States und ſeiner Rechtsordnung iſt dabei ſo offenbar intereſſirt, daß der gewohnte Maßſtab der Kanonenſchußweite bei Buchten nicht immer als genügend erachtet wird. Indeſſen iſt dieſe Ausdehnung doch nur da zuzugeſtehn, wo ihre Gründe wirkſam ſind und nicht wo der Umfang der Bucht ſich weiter erſtreckt, und lediglich als Theil des offenen Meeres erſcheint, wie z. B. in der Hudſons-Bai, und in dem Meerbuſen von Mexico. Unbeſtritten iſt die Seeherrſchaft Eng- lands zwiſchen der Inſel Wight und der Engliſchen Küſte, aber keineswegs gutzu- heißen in dem ganzen Kanal oder in dem Meer zwiſchen England und Irland, wenn gleich der engliſche Admiralitätshof die Lehre von den „Engen Meeren“ (Narrow Seas) oft mit Erfolg über Gebühr ausdehnte und große Stücke des offenen Meeres als ſogenannte „Königskammern“ (King’s chambers) in Be- ſchlag zu nehmen verſuchte. Ebenſo kann die Herrſchaft der Türkei über die Meer- engen der Dardanellen und des Bosphorus nicht bezweifelt werden, wenn gleich das neuere Völkerrecht für die freie Schiffahrt auch durch dieſe Meerengen ins ſchwarze Meer ſorgt. 310. In Folge dieſer beſchränkten Gebietshoheit iſt der Stat berechtigt, alle zum Schutze ſeines Gebietes und ſeiner Rechtsordnung nöthigen Maß- regeln auch über dieſe Theile des Meeres auszudehnen, policeiliche Anord- nungen zu treffen bezüglich der Schiffahrt und der Fiſcherei, aber er iſt nicht berechtigt, im Frieden die Durchfahrt oder die Benutzung dieſer Ge- wäſſer für die Schiffahrt willkürlich zu unterſagen oder mit Steuern zu beſchweren. So kann der Uferſtat im Intereſſe ſeines Zollſyſtems die fremden Schiffe anweiſen, nur an beſtimmten Stellen zu landen und ſich des Verkehrs mit den Küſtenbewohnern zu enthalten, im Intereſſe der Sicherheit die Annäherung von bewaffneten Schiffen verhindern u. ſ. f. Selbſt Verbote der fremden Fiſcherei kommen hier noch vor und werden anerkannt. Die Regulirung der Fiſcherei in dieſen Gewäſſern iſt ganz unbedenklich.

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 181. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/203>, abgerufen am 26.04.2024.