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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868.

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Recht der Neutralität.
und die Richter, welche dieselben bilden, erhalten ihre Ernennung und Instruction
jederzeit von der obersten Statsgewalt ihres Stats.

2. Die Einsetzung des Prisengerichts ist eine Handlung des Kriegs-
rechts
. Die neutralen Staten setzen demgemäß keine Prisengerichte ein und ge-
statten auch nicht, daß ein Kriegsstat auf ihrem Gebiete Prisengerichtsbarkeit übe.
Auch wenn etwa der Kriegsstat seine Gesanten oder Consuln in dem neutralen
State ermächtigen wollte, Prisengerichtsbarkeit zu üben, so ist der neutrale Stat
berechtigt, das zu hindern. Er duldet in seinem friedlichen Gebiete keine Kriegs-
anordnungen der Kriegsparteien.

844.

Das Prisengericht ist auch dann zuständig, wenn der Nehmer das
genommene Schiff in Folge von Seenoth nicht in einen Hafen des eigenen
Stats hat bringen können, sondern dasselbe in einem neutralen Hafen
gesichert hat.

Die Aufbringung des genommenen Schiffs in den Seehafen, wo das Prisen-
gericht sitzt, ist nicht eine unerläßliche Vorbedingung des prisengerichtlichen Ver-
fahrens, wenn gleich sie in der Regel als Einleitung dazu dient. In
manchen Fällen ist dieselbe nicht möglich, weil das genommene Schiff nicht mehr
seetüchtig ist und man genöthigt ist, für dasselbe in einem neutralen Hafen Schutz
zu suchen.

845.

Aus dem Asyl, welches der neutrale Stat dem feindlichen Nehmer
sammt seiner Prise gewährt, folgt nicht eine selbständige Gerichtsbarkeit
des neutralen Stats über die Rechtmäßigkeit der Prise. Aber der neu-
trale Stat ist nunmehr in der Lage, gegenüber von völkerrechtswidrigen
Wegnahmen den neutralen Eigenthümer besser schützen zu können.

1. Weil die Prisengerichtsbarkeit als eine Wirkung des Kriegsrechts
betrachtet wird, so kann nur ein Kriegsstat, und nie ein neutraler Stat sie
üben (vgl. zu 842. 843), also auch dann nicht, wenn sich das genommene Schiff
innerhalb der neutralen Eigengewässer befindet, also der ordentlichen Gerichtsbarkeit
des neutralen Stats unterworfen ist.

2. Aber eben aus dem letzten Grunde ist der neutrale Stat auch in der
Lage, dem aufgebrachten Schiffe seinen ordentlichen Rechtsschutz zuzuwenden,
insofern gegen dasselbe völkerrechtswidrig verfahren worden ist. Er ist nicht
verbunden
, seine Beihülfe dem fremden Prisengerichte zu gewähren. Würde
z. B. ein Kriegsstat noch die Kaperei gestatten, und ein von einem Kaper auf-

Recht der Neutralität.
und die Richter, welche dieſelben bilden, erhalten ihre Ernennung und Inſtruction
jederzeit von der oberſten Statsgewalt ihres Stats.

2. Die Einſetzung des Priſengerichts iſt eine Handlung des Kriegs-
rechts
. Die neutralen Staten ſetzen demgemäß keine Priſengerichte ein und ge-
ſtatten auch nicht, daß ein Kriegsſtat auf ihrem Gebiete Priſengerichtsbarkeit übe.
Auch wenn etwa der Kriegsſtat ſeine Geſanten oder Conſuln in dem neutralen
State ermächtigen wollte, Priſengerichtsbarkeit zu üben, ſo iſt der neutrale Stat
berechtigt, das zu hindern. Er duldet in ſeinem friedlichen Gebiete keine Kriegs-
anordnungen der Kriegsparteien.

844.

Das Priſengericht iſt auch dann zuſtändig, wenn der Nehmer das
genommene Schiff in Folge von Seenoth nicht in einen Hafen des eigenen
Stats hat bringen können, ſondern dasſelbe in einem neutralen Hafen
geſichert hat.

Die Aufbringung des genommenen Schiffs in den Seehafen, wo das Priſen-
gericht ſitzt, iſt nicht eine unerläßliche Vorbedingung des priſengerichtlichen Ver-
fahrens, wenn gleich ſie in der Regel als Einleitung dazu dient. In
manchen Fällen iſt dieſelbe nicht möglich, weil das genommene Schiff nicht mehr
ſeetüchtig iſt und man genöthigt iſt, für dasſelbe in einem neutralen Hafen Schutz
zu ſuchen.

845.

Aus dem Aſyl, welches der neutrale Stat dem feindlichen Nehmer
ſammt ſeiner Priſe gewährt, folgt nicht eine ſelbſtändige Gerichtsbarkeit
des neutralen Stats über die Rechtmäßigkeit der Priſe. Aber der neu-
trale Stat iſt nunmehr in der Lage, gegenüber von völkerrechtswidrigen
Wegnahmen den neutralen Eigenthümer beſſer ſchützen zu können.

1. Weil die Priſengerichtsbarkeit als eine Wirkung des Kriegsrechts
betrachtet wird, ſo kann nur ein Kriegsſtat, und nie ein neutraler Stat ſie
üben (vgl. zu 842. 843), alſo auch dann nicht, wenn ſich das genommene Schiff
innerhalb der neutralen Eigengewäſſer befindet, alſo der ordentlichen Gerichtsbarkeit
des neutralen Stats unterworfen iſt.

2. Aber eben aus dem letzten Grunde iſt der neutrale Stat auch in der
Lage, dem aufgebrachten Schiffe ſeinen ordentlichen Rechtsſchutz zuzuwenden,
inſofern gegen dasſelbe völkerrechtswidrig verfahren worden iſt. Er iſt nicht
verbunden
, ſeine Beihülfe dem fremden Priſengerichte zu gewähren. Würde
z. B. ein Kriegsſtat noch die Kaperei geſtatten, und ein von einem Kaper auf-

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[457/0479] Recht der Neutralität. und die Richter, welche dieſelben bilden, erhalten ihre Ernennung und Inſtruction jederzeit von der oberſten Statsgewalt ihres Stats. 2. Die Einſetzung des Priſengerichts iſt eine Handlung des Kriegs- rechts. Die neutralen Staten ſetzen demgemäß keine Priſengerichte ein und ge- ſtatten auch nicht, daß ein Kriegsſtat auf ihrem Gebiete Priſengerichtsbarkeit übe. Auch wenn etwa der Kriegsſtat ſeine Geſanten oder Conſuln in dem neutralen State ermächtigen wollte, Priſengerichtsbarkeit zu üben, ſo iſt der neutrale Stat berechtigt, das zu hindern. Er duldet in ſeinem friedlichen Gebiete keine Kriegs- anordnungen der Kriegsparteien. 844. Das Priſengericht iſt auch dann zuſtändig, wenn der Nehmer das genommene Schiff in Folge von Seenoth nicht in einen Hafen des eigenen Stats hat bringen können, ſondern dasſelbe in einem neutralen Hafen geſichert hat. Die Aufbringung des genommenen Schiffs in den Seehafen, wo das Priſen- gericht ſitzt, iſt nicht eine unerläßliche Vorbedingung des priſengerichtlichen Ver- fahrens, wenn gleich ſie in der Regel als Einleitung dazu dient. In manchen Fällen iſt dieſelbe nicht möglich, weil das genommene Schiff nicht mehr ſeetüchtig iſt und man genöthigt iſt, für dasſelbe in einem neutralen Hafen Schutz zu ſuchen. 845. Aus dem Aſyl, welches der neutrale Stat dem feindlichen Nehmer ſammt ſeiner Priſe gewährt, folgt nicht eine ſelbſtändige Gerichtsbarkeit des neutralen Stats über die Rechtmäßigkeit der Priſe. Aber der neu- trale Stat iſt nunmehr in der Lage, gegenüber von völkerrechtswidrigen Wegnahmen den neutralen Eigenthümer beſſer ſchützen zu können. 1. Weil die Priſengerichtsbarkeit als eine Wirkung des Kriegsrechts betrachtet wird, ſo kann nur ein Kriegsſtat, und nie ein neutraler Stat ſie üben (vgl. zu 842. 843), alſo auch dann nicht, wenn ſich das genommene Schiff innerhalb der neutralen Eigengewäſſer befindet, alſo der ordentlichen Gerichtsbarkeit des neutralen Stats unterworfen iſt. 2. Aber eben aus dem letzten Grunde iſt der neutrale Stat auch in der Lage, dem aufgebrachten Schiffe ſeinen ordentlichen Rechtsſchutz zuzuwenden, inſofern gegen dasſelbe völkerrechtswidrig verfahren worden iſt. Er iſt nicht verbunden, ſeine Beihülfe dem fremden Priſengerichte zu gewähren. Würde z. B. ein Kriegsſtat noch die Kaperei geſtatten, und ein von einem Kaper auf-

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 457. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/479>, abgerufen am 26.04.2024.