Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868.

Bild:
<< vorherige Seite

Einleitung.
haben die Rechte der neutralen Schiffahrt in Kriegszeiten gekräftigt und
Grundsätze zuerst vertheidigt, welche endlich auf dem Pariser Congreß von
1856 allgemein gebilligt worden sind. Noch bestehen freilich über den
Begriff der unerlaubten Contrebande manche Zweifel, welche den Handel
unsicher machen; aber auch in Kriegszeiten und selbst wenn der Verdacht
der Contrebande sich erhebt, ist doch das früher rücksichtslos geübte Durch-
suchungsrecht der feindlichen Kriegsschiffe gegenüber den neutralen Handels-
schiffen, sorgfältiger begränzt worden. So lange freilich noch die Kriegs-
partei allein die Prisengerichte bestellt, welche darüber erkennen, ob ein
weggenommenes neutrales Schiff Contrebande geführt habe oder die recht-
mäßige Blokade in unerlaubter Weise habe brechen wollen, so lange sind
die Garantien für eine unparteiische Rechtspflege noch gering. Zwar sind
die Prisengerichte in neuerer Zeit etwas unbefangener geworden als früher,
sie vermuthen nicht mehr wie ehedem so leichtsinnig oder leidenschaftlich
für die Schuld des eingebrachten Schiffes, sie sind geneigter worden, auch
die Vertheidigung zu hören und zu würdigen, die Freisprechungen sind
weniger selten geworden. Aber der Grundcharakter eines ausschließlich von
der Partei gesetzten und besetzten Gerichtshofs wird heute noch festgehalten
und deshalb können die Neutralen diese Handhabung der Rechtspflege noch
nicht mit Vertrauen betrachten.

Indessen den Rechten der Neutralen entsprechen auch Pflichten. In-
dem die Neutralen verlangen, daß sie von den Folgen und Wirkungen des
Kriegs möglichst wenig betroffen werden und daß die Kriegsgewalt der Feinde
vor ihrer friedlichen Haltung rücksichtsvoll vorbei gehe, so dürfen sie auch
ihrerseits nicht an der Kriegführung sich betheiligen. Die neutralen Staten
dürfen nicht kriegen helfen, wenn sie in ihrer friedlichen Neutralität geach-
tet bleiben wollen. Wer den Feind im Kriege und zum Kriege unterstützt,
der hört auf, neutral zu sein, denn neutral sein heißt auf keiner der
beiden Seiten Theilnehmer am Kriege sein
.

Auf die Ausbildung der Rechte und der Pflichten der Neutralen
hat einen großen Einfluß die Neutralitätsacte gehabt, welche zuerst in Nord-
amerika auf den Betrieb Hamiltons und im Einverständniß mit dem
Ersten Präsidenten Washington im Jahre 1794 erlassen und im Jahr
1818 revidirt worden ist. Sie ist von der Englischen Parlamentsacte
von 1819 nach- und fortgebildet worden. Der letzte Bürgerkrieg in den
Vereinigten Staten hat freilich den Glauben an die Wirksamkeit dieser
Neutralitätsgesetze einiger Maßen geschwächt. Die Vereinigten Staten be-

Einleitung.
haben die Rechte der neutralen Schiffahrt in Kriegszeiten gekräftigt und
Grundſätze zuerſt vertheidigt, welche endlich auf dem Pariſer Congreß von
1856 allgemein gebilligt worden ſind. Noch beſtehen freilich über den
Begriff der unerlaubten Contrebande manche Zweifel, welche den Handel
unſicher machen; aber auch in Kriegszeiten und ſelbſt wenn der Verdacht
der Contrebande ſich erhebt, iſt doch das früher rückſichtslos geübte Durch-
ſuchungsrecht der feindlichen Kriegsſchiffe gegenüber den neutralen Handels-
ſchiffen, ſorgfältiger begränzt worden. So lange freilich noch die Kriegs-
partei allein die Priſengerichte beſtellt, welche darüber erkennen, ob ein
weggenommenes neutrales Schiff Contrebande geführt habe oder die recht-
mäßige Blokade in unerlaubter Weiſe habe brechen wollen, ſo lange ſind
die Garantien für eine unparteiiſche Rechtspflege noch gering. Zwar ſind
die Priſengerichte in neuerer Zeit etwas unbefangener geworden als früher,
ſie vermuthen nicht mehr wie ehedem ſo leichtſinnig oder leidenſchaftlich
für die Schuld des eingebrachten Schiffes, ſie ſind geneigter worden, auch
die Vertheidigung zu hören und zu würdigen, die Freiſprechungen ſind
weniger ſelten geworden. Aber der Grundcharakter eines ausſchließlich von
der Partei geſetzten und beſetzten Gerichtshofs wird heute noch feſtgehalten
und deshalb können die Neutralen dieſe Handhabung der Rechtspflege noch
nicht mit Vertrauen betrachten.

Indeſſen den Rechten der Neutralen entſprechen auch Pflichten. In-
dem die Neutralen verlangen, daß ſie von den Folgen und Wirkungen des
Kriegs möglichſt wenig betroffen werden und daß die Kriegsgewalt der Feinde
vor ihrer friedlichen Haltung rückſichtsvoll vorbei gehe, ſo dürfen ſie auch
ihrerſeits nicht an der Kriegführung ſich betheiligen. Die neutralen Staten
dürfen nicht kriegen helfen, wenn ſie in ihrer friedlichen Neutralität geach-
tet bleiben wollen. Wer den Feind im Kriege und zum Kriege unterſtützt,
der hört auf, neutral zu ſein, denn neutral ſein heißt auf keiner der
beiden Seiten Theilnehmer am Kriege ſein
.

Auf die Ausbildung der Rechte und der Pflichten der Neutralen
hat einen großen Einfluß die Neutralitätsacte gehabt, welche zuerſt in Nord-
amerika auf den Betrieb Hamiltons und im Einverſtändniß mit dem
Erſten Präſidenten Washington im Jahre 1794 erlaſſen und im Jahr
1818 revidirt worden iſt. Sie iſt von der Engliſchen Parlamentsacte
von 1819 nach- und fortgebildet worden. Der letzte Bürgerkrieg in den
Vereinigten Staten hat freilich den Glauben an die Wirkſamkeit dieſer
Neutralitätsgeſetze einiger Maßen geſchwächt. Die Vereinigten Staten be-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0067" n="45"/><fw place="top" type="header">Einleitung.</fw><lb/>
haben die Rechte der neutralen Schiffahrt in Kriegszeiten gekräftigt und<lb/>
Grund&#x017F;ätze zuer&#x017F;t vertheidigt, welche endlich auf dem Pari&#x017F;er Congreß von<lb/>
1856 allgemein gebilligt worden &#x017F;ind. Noch be&#x017F;tehen freilich über den<lb/>
Begriff der unerlaubten <hi rendition="#g">Contrebande</hi> manche Zweifel, welche den Handel<lb/>
un&#x017F;icher machen; aber auch in Kriegszeiten und &#x017F;elb&#x017F;t wenn der Verdacht<lb/>
der Contrebande &#x017F;ich erhebt, i&#x017F;t doch das früher rück&#x017F;ichtslos geübte Durch-<lb/>
&#x017F;uchungsrecht der feindlichen Kriegs&#x017F;chiffe gegenüber den neutralen Handels-<lb/>
&#x017F;chiffen, &#x017F;orgfältiger begränzt worden. So lange freilich noch die Kriegs-<lb/>
partei allein die <hi rendition="#g">Pri&#x017F;engerichte</hi> be&#x017F;tellt, welche darüber erkennen, ob ein<lb/>
weggenommenes neutrales Schiff Contrebande geführt habe oder die recht-<lb/>
mäßige Blokade in unerlaubter Wei&#x017F;e habe brechen wollen, &#x017F;o lange &#x017F;ind<lb/>
die Garantien für eine unparteii&#x017F;che Rechtspflege noch gering. Zwar &#x017F;ind<lb/>
die Pri&#x017F;engerichte in neuerer Zeit etwas unbefangener geworden als früher,<lb/>
&#x017F;ie vermuthen nicht mehr wie ehedem &#x017F;o leicht&#x017F;innig oder leiden&#x017F;chaftlich<lb/>
für die Schuld des eingebrachten Schiffes, &#x017F;ie &#x017F;ind geneigter worden, auch<lb/>
die Vertheidigung zu hören und zu würdigen, die Frei&#x017F;prechungen &#x017F;ind<lb/>
weniger &#x017F;elten geworden. Aber der Grundcharakter eines aus&#x017F;chließlich von<lb/>
der Partei ge&#x017F;etzten und be&#x017F;etzten Gerichtshofs wird heute noch fe&#x017F;tgehalten<lb/>
und deshalb können die Neutralen die&#x017F;e Handhabung der Rechtspflege noch<lb/>
nicht mit Vertrauen betrachten.</p><lb/>
          <p>Inde&#x017F;&#x017F;en den Rechten der Neutralen ent&#x017F;prechen auch Pflichten. In-<lb/>
dem die Neutralen verlangen, daß &#x017F;ie von den Folgen und Wirkungen des<lb/>
Kriegs möglich&#x017F;t wenig betroffen werden und daß die Kriegsgewalt der Feinde<lb/>
vor ihrer friedlichen Haltung rück&#x017F;ichtsvoll vorbei gehe, &#x017F;o dürfen &#x017F;ie auch<lb/>
ihrer&#x017F;eits nicht an der Kriegführung &#x017F;ich betheiligen. Die neutralen Staten<lb/>
dürfen nicht kriegen helfen, wenn &#x017F;ie in ihrer friedlichen Neutralität geach-<lb/>
tet bleiben wollen. Wer den Feind im Kriege und zum Kriege unter&#x017F;tützt,<lb/>
der hört auf, neutral zu &#x017F;ein, denn neutral &#x017F;ein heißt auf <hi rendition="#g">keiner der<lb/>
beiden Seiten Theilnehmer am Kriege &#x017F;ein</hi>.</p><lb/>
          <p>Auf die Ausbildung der Rechte und der Pflichten der Neutralen<lb/>
hat einen großen Einfluß die Neutralitätsacte gehabt, welche zuer&#x017F;t in Nord-<lb/>
amerika auf den Betrieb <hi rendition="#g">Hamiltons</hi> und im Einver&#x017F;tändniß mit dem<lb/>
Er&#x017F;ten Prä&#x017F;identen <hi rendition="#g">Washington</hi> im Jahre 1794 erla&#x017F;&#x017F;en und im Jahr<lb/>
1818 revidirt worden i&#x017F;t. Sie i&#x017F;t von der Engli&#x017F;chen Parlamentsacte<lb/>
von 1819 nach- und fortgebildet worden. Der letzte Bürgerkrieg in den<lb/>
Vereinigten Staten hat freilich den Glauben an die Wirk&#x017F;amkeit die&#x017F;er<lb/>
Neutralitätsge&#x017F;etze einiger Maßen ge&#x017F;chwächt. Die Vereinigten Staten be-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[45/0067] Einleitung. haben die Rechte der neutralen Schiffahrt in Kriegszeiten gekräftigt und Grundſätze zuerſt vertheidigt, welche endlich auf dem Pariſer Congreß von 1856 allgemein gebilligt worden ſind. Noch beſtehen freilich über den Begriff der unerlaubten Contrebande manche Zweifel, welche den Handel unſicher machen; aber auch in Kriegszeiten und ſelbſt wenn der Verdacht der Contrebande ſich erhebt, iſt doch das früher rückſichtslos geübte Durch- ſuchungsrecht der feindlichen Kriegsſchiffe gegenüber den neutralen Handels- ſchiffen, ſorgfältiger begränzt worden. So lange freilich noch die Kriegs- partei allein die Priſengerichte beſtellt, welche darüber erkennen, ob ein weggenommenes neutrales Schiff Contrebande geführt habe oder die recht- mäßige Blokade in unerlaubter Weiſe habe brechen wollen, ſo lange ſind die Garantien für eine unparteiiſche Rechtspflege noch gering. Zwar ſind die Priſengerichte in neuerer Zeit etwas unbefangener geworden als früher, ſie vermuthen nicht mehr wie ehedem ſo leichtſinnig oder leidenſchaftlich für die Schuld des eingebrachten Schiffes, ſie ſind geneigter worden, auch die Vertheidigung zu hören und zu würdigen, die Freiſprechungen ſind weniger ſelten geworden. Aber der Grundcharakter eines ausſchließlich von der Partei geſetzten und beſetzten Gerichtshofs wird heute noch feſtgehalten und deshalb können die Neutralen dieſe Handhabung der Rechtspflege noch nicht mit Vertrauen betrachten. Indeſſen den Rechten der Neutralen entſprechen auch Pflichten. In- dem die Neutralen verlangen, daß ſie von den Folgen und Wirkungen des Kriegs möglichſt wenig betroffen werden und daß die Kriegsgewalt der Feinde vor ihrer friedlichen Haltung rückſichtsvoll vorbei gehe, ſo dürfen ſie auch ihrerſeits nicht an der Kriegführung ſich betheiligen. Die neutralen Staten dürfen nicht kriegen helfen, wenn ſie in ihrer friedlichen Neutralität geach- tet bleiben wollen. Wer den Feind im Kriege und zum Kriege unterſtützt, der hört auf, neutral zu ſein, denn neutral ſein heißt auf keiner der beiden Seiten Theilnehmer am Kriege ſein. Auf die Ausbildung der Rechte und der Pflichten der Neutralen hat einen großen Einfluß die Neutralitätsacte gehabt, welche zuerſt in Nord- amerika auf den Betrieb Hamiltons und im Einverſtändniß mit dem Erſten Präſidenten Washington im Jahre 1794 erlaſſen und im Jahr 1818 revidirt worden iſt. Sie iſt von der Engliſchen Parlamentsacte von 1819 nach- und fortgebildet worden. Der letzte Bürgerkrieg in den Vereinigten Staten hat freilich den Glauben an die Wirkſamkeit dieſer Neutralitätsgeſetze einiger Maßen geſchwächt. Die Vereinigten Staten be-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/67
Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/67>, abgerufen am 26.04.2024.