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Boltzmann, Ludwig: Vorlesungen über Gastheorie. Bd. 2. Leipzig, 1898.

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[Gleich. 290] § 87. Annahme üb. d. Anfangszustände.

Ein anderer specieller Fall, dessen Behandlung ohne prin-
cipielle Schwierigkeiten ist, wäre der, dass die Moleküle be-
liebige starre Körper sind, die entweder die Gestalt von
Rotationskörpern haben oder nicht. Ich fürchte aber ohnehin
schon zu viel Zeit auf weitschweifige Berechnung specieller
Fälle aufgewendet zu haben und ziehe es daher vor, alle
weiteren speciellen Aufgaben für Doctordissertationen aufzu-
sparen.

§ 87. Charakterisirung unserer Annahme über die
Anfangszustände
.

Wenn ein Gas von starren Wänden umschlossen ist und
anfangs ein Theil desselben eine sichtbare Bewegung gegen-
über der übrigen Gasmasse hatte, so kommt derselbe bald in
Folge der inneren Reibung zur Ruhe. Wenn zwei Gasarten
anfangs unvermischt waren, aber frei mit einander in Be-
rührung stehen, so mischen sie sich, auch wenn sich die
leichtere anfangs oben befand; allgemein wenn ein Gas oder
ein System mehrerer Gasarten anfangs irgend einen unwahr-
scheinlichen Zustand hatte, so tritt mit der Zeit immer der
unter den gegebenen äusseren Bedingungen wahrscheinlichste
Zustand ein und bleibt in aller beobachtbaren Folgezeit er-
halten. Zum Beweise, dass dies eine nothwendige Consequenz
der kinetischen Gastheorie ist, diente uns die in diesem Ab-
schnitte definirte und discutirte Grösse H. Wir wiesen nach,
dass dieselbe in Folge der Durcheinanderbewegung der Gas-
moleküle stets abnimmt. Die Einseitigkeit des Vorganges,
welche hierin liegt, ist offenbar nicht in den für die Moleküle
geltenden Bewegungsgleichungen begründet. Denn diese ändern
sich nicht, wenn die Zeit ihr Vorzeichen wechselt. Diese Ein-
seitigkeit liegt vielmehr einzig und allein in den Anfangs-
bedingungen.

Dies ist aber nicht etwa so zu verstehen, als ob man für
jeden Versuch wieder speciell annehmen müsste, dass die An-
fangsbedingungen gerade bestimmte und nicht die entgegen-
gesetzten, ebenso gut möglichen sind; sondern es genügt
eine einheitliche Grundannahme über die anfängliche Be-
schaffenheit des mechanischen Weltbildes, aus welcher dann

[Gleich. 290] § 87. Annahme üb. d. Anfangszustände.

Ein anderer specieller Fall, dessen Behandlung ohne prin-
cipielle Schwierigkeiten ist, wäre der, dass die Moleküle be-
liebige starre Körper sind, die entweder die Gestalt von
Rotationskörpern haben oder nicht. Ich fürchte aber ohnehin
schon zu viel Zeit auf weitschweifige Berechnung specieller
Fälle aufgewendet zu haben und ziehe es daher vor, alle
weiteren speciellen Aufgaben für Doctordissertationen aufzu-
sparen.

§ 87. Charakterisirung unserer Annahme über die
Anfangszustände
.

Wenn ein Gas von starren Wänden umschlossen ist und
anfangs ein Theil desselben eine sichtbare Bewegung gegen-
über der übrigen Gasmasse hatte, so kommt derselbe bald in
Folge der inneren Reibung zur Ruhe. Wenn zwei Gasarten
anfangs unvermischt waren, aber frei mit einander in Be-
rührung stehen, so mischen sie sich, auch wenn sich die
leichtere anfangs oben befand; allgemein wenn ein Gas oder
ein System mehrerer Gasarten anfangs irgend einen unwahr-
scheinlichen Zustand hatte, so tritt mit der Zeit immer der
unter den gegebenen äusseren Bedingungen wahrscheinlichste
Zustand ein und bleibt in aller beobachtbaren Folgezeit er-
halten. Zum Beweise, dass dies eine nothwendige Consequenz
der kinetischen Gastheorie ist, diente uns die in diesem Ab-
schnitte definirte und discutirte Grösse H. Wir wiesen nach,
dass dieselbe in Folge der Durcheinanderbewegung der Gas-
moleküle stets abnimmt. Die Einseitigkeit des Vorganges,
welche hierin liegt, ist offenbar nicht in den für die Moleküle
geltenden Bewegungsgleichungen begründet. Denn diese ändern
sich nicht, wenn die Zeit ihr Vorzeichen wechselt. Diese Ein-
seitigkeit liegt vielmehr einzig und allein in den Anfangs-
bedingungen.

Dies ist aber nicht etwa so zu verstehen, als ob man für
jeden Versuch wieder speciell annehmen müsste, dass die An-
fangsbedingungen gerade bestimmte und nicht die entgegen-
gesetzten, ebenso gut möglichen sind; sondern es genügt
eine einheitliche Grundannahme über die anfängliche Be-
schaffenheit des mechanischen Weltbildes, aus welcher dann

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[251/0269] [Gleich. 290] § 87. Annahme üb. d. Anfangszustände. Ein anderer specieller Fall, dessen Behandlung ohne prin- cipielle Schwierigkeiten ist, wäre der, dass die Moleküle be- liebige starre Körper sind, die entweder die Gestalt von Rotationskörpern haben oder nicht. Ich fürchte aber ohnehin schon zu viel Zeit auf weitschweifige Berechnung specieller Fälle aufgewendet zu haben und ziehe es daher vor, alle weiteren speciellen Aufgaben für Doctordissertationen aufzu- sparen. § 87. Charakterisirung unserer Annahme über die Anfangszustände. Wenn ein Gas von starren Wänden umschlossen ist und anfangs ein Theil desselben eine sichtbare Bewegung gegen- über der übrigen Gasmasse hatte, so kommt derselbe bald in Folge der inneren Reibung zur Ruhe. Wenn zwei Gasarten anfangs unvermischt waren, aber frei mit einander in Be- rührung stehen, so mischen sie sich, auch wenn sich die leichtere anfangs oben befand; allgemein wenn ein Gas oder ein System mehrerer Gasarten anfangs irgend einen unwahr- scheinlichen Zustand hatte, so tritt mit der Zeit immer der unter den gegebenen äusseren Bedingungen wahrscheinlichste Zustand ein und bleibt in aller beobachtbaren Folgezeit er- halten. Zum Beweise, dass dies eine nothwendige Consequenz der kinetischen Gastheorie ist, diente uns die in diesem Ab- schnitte definirte und discutirte Grösse H. Wir wiesen nach, dass dieselbe in Folge der Durcheinanderbewegung der Gas- moleküle stets abnimmt. Die Einseitigkeit des Vorganges, welche hierin liegt, ist offenbar nicht in den für die Moleküle geltenden Bewegungsgleichungen begründet. Denn diese ändern sich nicht, wenn die Zeit ihr Vorzeichen wechselt. Diese Ein- seitigkeit liegt vielmehr einzig und allein in den Anfangs- bedingungen. Dies ist aber nicht etwa so zu verstehen, als ob man für jeden Versuch wieder speciell annehmen müsste, dass die An- fangsbedingungen gerade bestimmte und nicht die entgegen- gesetzten, ebenso gut möglichen sind; sondern es genügt eine einheitliche Grundannahme über die anfängliche Be- schaffenheit des mechanischen Weltbildes, aus welcher dann

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Zitationshilfe: Boltzmann, Ludwig: Vorlesungen über Gastheorie. Bd. 2. Leipzig, 1898, S. 251. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boltzmann_gastheorie02_1898/269>, abgerufen am 26.04.2024.