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Bräker, Ulrich: Lebensgeschichte und natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Tockenburg. Herausgegeben von H. H. Füßli. Zürich, 1789.

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und halb. Allein, es focht mich eben wenig an: Ich
gieng leichtsinnig meinen kindischen Gang, und ließ
meine armen Eltern inzwischen über hundert unaus-
führbaren Projekten sich den Kopf zerbrechen. Unter
diesen war auch der einer Wanderung ins Gelobte
Land, zu meinem größten Verdrusse -- zu Wasser
worden. Endlich entschloß sich mein Vater, alle
seine Habe seinen Gläubigern auf Gnad und Ungnad
zu übergeben. Er berief sie also eines Tags zusam-
men, und entdeckte ihnen mit Wehmuth, aber red-
lich, seine ganze Lage, und bat sie: In Gottes
Namen Haus und Hof, Vieh, Schiff und Geschirr
zu ihren Handen zu nehmen, und seinetwegen ihn,
nebst Weib und Kindern, bis aufs Hemd auszuzie-
hen; er wolle ihnen noch dafür danken, wenn sie
nur einmal ihn der unerträglichen Last entledigen.
Die meisten aus ihnen (und selbst diejenigen welche
ihm mit Treiben am unerbittlichsten zugesetzt hatten)
erstaunten über diesen Vortrag. Sie untersuchten
Soll und Haben; und das Facit war, daß sie die
Sachen bey weitem nicht so schlimm fanden, als sie
sich's vorgestellt; so daß sie ihn alle wie aus Einem
Munde baten: Er soll doch nicht so kläglich thun,
guten Muths seyn, sich tapfer wehren, und seine
Wirthschaft nur so emsig treiben wie bisher; sie wol-
len gern Geduld mit ihm tragen, und ihm noch aus
allen Kräften berathen und beholfen seyn: Er habe
eine Stube voll braver Kinder; die werden ja alle
Tag' grösser, und können ihm an die Hand gehn;
was er mit diesen armen Schaafen draussen in der

und halb. Allein, es focht mich eben wenig an: Ich
gieng leichtſinnig meinen kindiſchen Gang, und ließ
meine armen Eltern inzwiſchen uͤber hundert unaus-
fuͤhrbaren Projekten ſich den Kopf zerbrechen. Unter
dieſen war auch der einer Wanderung ins Gelobte
Land, zu meinem groͤßten Verdruſſe — zu Waſſer
worden. Endlich entſchloß ſich mein Vater, alle
ſeine Habe ſeinen Glaͤubigern auf Gnad und Ungnad
zu uͤbergeben. Er berief ſie alſo eines Tags zuſam-
men, und entdeckte ihnen mit Wehmuth, aber red-
lich, ſeine ganze Lage, und bat ſie: In Gottes
Namen Haus und Hof, Vieh, Schiff und Geſchirr
zu ihren Handen zu nehmen, und ſeinetwegen ihn,
nebſt Weib und Kindern, bis aufs Hemd auszuzie-
hen; er wolle ihnen noch dafuͤr danken, wenn ſie
nur einmal ihn der unertraͤglichen Laſt entledigen.
Die meiſten aus ihnen (und ſelbſt diejenigen welche
ihm mit Treiben am unerbittlichſten zugeſetzt hatten)
erſtaunten uͤber dieſen Vortrag. Sie unterſuchten
Soll und Haben; und das Facit war, daß ſie die
Sachen bey weitem nicht ſo ſchlimm fanden, als ſie
ſich’s vorgeſtellt; ſo daß ſie ihn alle wie aus Einem
Munde baten: Er ſoll doch nicht ſo klaͤglich thun,
guten Muths ſeyn, ſich tapfer wehren, und ſeine
Wirthſchaft nur ſo emſig treiben wie bisher; ſie wol-
len gern Geduld mit ihm tragen, und ihm noch aus
allen Kraͤften berathen und beholfen ſeyn: Er habe
eine Stube voll braver Kinder; die werden ja alle
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[51/0067] und halb. Allein, es focht mich eben wenig an: Ich gieng leichtſinnig meinen kindiſchen Gang, und ließ meine armen Eltern inzwiſchen uͤber hundert unaus- fuͤhrbaren Projekten ſich den Kopf zerbrechen. Unter dieſen war auch der einer Wanderung ins Gelobte Land, zu meinem groͤßten Verdruſſe — zu Waſſer worden. Endlich entſchloß ſich mein Vater, alle ſeine Habe ſeinen Glaͤubigern auf Gnad und Ungnad zu uͤbergeben. Er berief ſie alſo eines Tags zuſam- men, und entdeckte ihnen mit Wehmuth, aber red- lich, ſeine ganze Lage, und bat ſie: In Gottes Namen Haus und Hof, Vieh, Schiff und Geſchirr zu ihren Handen zu nehmen, und ſeinetwegen ihn, nebſt Weib und Kindern, bis aufs Hemd auszuzie- hen; er wolle ihnen noch dafuͤr danken, wenn ſie nur einmal ihn der unertraͤglichen Laſt entledigen. Die meiſten aus ihnen (und ſelbſt diejenigen welche ihm mit Treiben am unerbittlichſten zugeſetzt hatten) erſtaunten uͤber dieſen Vortrag. Sie unterſuchten Soll und Haben; und das Facit war, daß ſie die Sachen bey weitem nicht ſo ſchlimm fanden, als ſie ſich’s vorgeſtellt; ſo daß ſie ihn alle wie aus Einem Munde baten: Er ſoll doch nicht ſo klaͤglich thun, guten Muths ſeyn, ſich tapfer wehren, und ſeine Wirthſchaft nur ſo emſig treiben wie bisher; ſie wol- len gern Geduld mit ihm tragen, und ihm noch aus allen Kraͤften berathen und beholfen ſeyn: Er habe eine Stube voll braver Kinder; die werden ja alle Tag’ groͤſſer, und koͤnnen ihm an die Hand gehn; was er mit dieſen armen Schaafen drauſſen in der

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Zitationshilfe: Bräker, Ulrich: Lebensgeschichte und natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Tockenburg. Herausgegeben von H. H. Füßli. Zürich, 1789, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/braeker_lebensgeschichte_1789/67>, abgerufen am 27.04.2024.