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Brandes, Heinrich Wilhelm: Vorlesungen über die Naturlehre. Bd. 1. Leipzig, 1830.

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Vier und Zwanzigste Vorlesung.



Längentöne fester Körper.

An die Untersuchungen über die Töne der Orgelpfeifen, die
ich Ihnen, m. h. H., neulich zu erklären suchte, schließt sich die
Lehre von den Längentönen fester Körper an.

Nicht bloß in transversale Schwingungen läßt sich eine Saite
oder ein Stab versetzen, sondern er ist noch mehrerer Schwingungs-
Arten fähig, unter denen indeß nur die Längenschwingungen uns
hier etwas näher beschäftigen sollen. Nur um den ganzen Umfang
der Untersuchungen anzudeuten, die sich dem theoretischen Forscher
bei der Betrachtung der Vibrationen fester Körper darbieten, will
ich bemerken, daß nach Chladni's und Savart's Versuchen die
Stäbe auch noch eine drehende Schwingung anzunehmen und über-
dies sich in der Breite ebenso abwechselnd auszudehnen fähig sind,
wie in der Länge. Die Theorie sollte eigentlich angeben, wie die
vier Haupttöne, die diesen Vibrations-Arten entsprechen, einer
durch den andern bestimmt werden, und Poisson und Navier
haben sich bemüht, die diesen Gegenstand betreffenden theoretischen
Bestimmungen weiter zu verfolgen. Da wir indeß jetzt noch nur
die ersten Schritte zu einer solchen Bestimmung vor uns sehen, so
muß ich diesen schwierigen Gegenstand verlassen, und zu dem über-
gehen, was die Erfahrung von den Längentönen angiebt.

Wenn man eine Saite mit dem Violinbogen in diejenigen Vi-
brationen, welche man transversale nennt, die wir früher betrachtet
haben, versetzen will, so bemüht man sich, mit den verschiedenen
Puncten des Bogens immer einerlei Punct der Saite zu streichen;
aber man kann umgekehrt verfahren, mit einerlei Puncte des unter
einem spitzen Winkel gegen die Richtung der Saite geneigten Bo-
gens auf der Saite hin und her streichen, und dann erhält man,
bei gehöriger Behandlung, den Längenton der Saite. Noch leichter
und recht wohltönend erhält man Längentöne aus Glasstäben, in-
dem man eine ziemlich lange Glasröhre oder einen dünnen Glasstab
mit einem feuchten Lappen der Länge nach reibt, während dieser

Vier und Zwanzigſte Vorleſung.



Laͤngentoͤne feſter Koͤrper.

An die Unterſuchungen uͤber die Toͤne der Orgelpfeifen, die
ich Ihnen, m. h. H., neulich zu erklaͤren ſuchte, ſchließt ſich die
Lehre von den Laͤngentoͤnen feſter Koͤrper an.

Nicht bloß in transverſale Schwingungen laͤßt ſich eine Saite
oder ein Stab verſetzen, ſondern er iſt noch mehrerer Schwingungs-
Arten faͤhig, unter denen indeß nur die Laͤngenſchwingungen uns
hier etwas naͤher beſchaͤftigen ſollen. Nur um den ganzen Umfang
der Unterſuchungen anzudeuten, die ſich dem theoretiſchen Forſcher
bei der Betrachtung der Vibrationen feſter Koͤrper darbieten, will
ich bemerken, daß nach Chladni's und Savart's Verſuchen die
Staͤbe auch noch eine drehende Schwingung anzunehmen und uͤber-
dies ſich in der Breite ebenſo abwechſelnd auszudehnen faͤhig ſind,
wie in der Laͤnge. Die Theorie ſollte eigentlich angeben, wie die
vier Haupttoͤne, die dieſen Vibrations-Arten entſprechen, einer
durch den andern beſtimmt werden, und Poiſſon und Navier
haben ſich bemuͤht, die dieſen Gegenſtand betreffenden theoretiſchen
Beſtimmungen weiter zu verfolgen. Da wir indeß jetzt noch nur
die erſten Schritte zu einer ſolchen Beſtimmung vor uns ſehen, ſo
muß ich dieſen ſchwierigen Gegenſtand verlaſſen, und zu dem uͤber-
gehen, was die Erfahrung von den Laͤngentoͤnen angiebt.

Wenn man eine Saite mit dem Violinbogen in diejenigen Vi-
brationen, welche man transverſale nennt, die wir fruͤher betrachtet
haben, verſetzen will, ſo bemuͤht man ſich, mit den verſchiedenen
Puncten des Bogens immer einerlei Punct der Saite zu ſtreichen;
aber man kann umgekehrt verfahren, mit einerlei Puncte des unter
einem ſpitzen Winkel gegen die Richtung der Saite geneigten Bo-
gens auf der Saite hin und her ſtreichen, und dann erhaͤlt man,
bei gehoͤriger Behandlung, den Laͤngenton der Saite. Noch leichter
und recht wohltoͤnend erhaͤlt man Laͤngentoͤne aus Glasſtaͤben, in-
dem man eine ziemlich lange Glasroͤhre oder einen duͤnnen Glasſtab
mit einem feuchten Lappen der Laͤnge nach reibt, waͤhrend dieſer

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[343/0365] Vier und Zwanzigſte Vorleſung. Laͤngentoͤne feſter Koͤrper. An die Unterſuchungen uͤber die Toͤne der Orgelpfeifen, die ich Ihnen, m. h. H., neulich zu erklaͤren ſuchte, ſchließt ſich die Lehre von den Laͤngentoͤnen feſter Koͤrper an. Nicht bloß in transverſale Schwingungen laͤßt ſich eine Saite oder ein Stab verſetzen, ſondern er iſt noch mehrerer Schwingungs- Arten faͤhig, unter denen indeß nur die Laͤngenſchwingungen uns hier etwas naͤher beſchaͤftigen ſollen. Nur um den ganzen Umfang der Unterſuchungen anzudeuten, die ſich dem theoretiſchen Forſcher bei der Betrachtung der Vibrationen feſter Koͤrper darbieten, will ich bemerken, daß nach Chladni's und Savart's Verſuchen die Staͤbe auch noch eine drehende Schwingung anzunehmen und uͤber- dies ſich in der Breite ebenſo abwechſelnd auszudehnen faͤhig ſind, wie in der Laͤnge. Die Theorie ſollte eigentlich angeben, wie die vier Haupttoͤne, die dieſen Vibrations-Arten entſprechen, einer durch den andern beſtimmt werden, und Poiſſon und Navier haben ſich bemuͤht, die dieſen Gegenſtand betreffenden theoretiſchen Beſtimmungen weiter zu verfolgen. Da wir indeß jetzt noch nur die erſten Schritte zu einer ſolchen Beſtimmung vor uns ſehen, ſo muß ich dieſen ſchwierigen Gegenſtand verlaſſen, und zu dem uͤber- gehen, was die Erfahrung von den Laͤngentoͤnen angiebt. Wenn man eine Saite mit dem Violinbogen in diejenigen Vi- brationen, welche man transverſale nennt, die wir fruͤher betrachtet haben, verſetzen will, ſo bemuͤht man ſich, mit den verſchiedenen Puncten des Bogens immer einerlei Punct der Saite zu ſtreichen; aber man kann umgekehrt verfahren, mit einerlei Puncte des unter einem ſpitzen Winkel gegen die Richtung der Saite geneigten Bo- gens auf der Saite hin und her ſtreichen, und dann erhaͤlt man, bei gehoͤriger Behandlung, den Laͤngenton der Saite. Noch leichter und recht wohltoͤnend erhaͤlt man Laͤngentoͤne aus Glasſtaͤben, in- dem man eine ziemlich lange Glasroͤhre oder einen duͤnnen Glasſtab mit einem feuchten Lappen der Laͤnge nach reibt, waͤhrend dieſer

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Zitationshilfe: Brandes, Heinrich Wilhelm: Vorlesungen über die Naturlehre. Bd. 1. Leipzig, 1830, S. 343. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brandes_naturlehre01_1830/365>, abgerufen am 26.04.2024.