Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brandes, Heinrich Wilhelm: Vorlesungen über die Naturlehre. Bd. 2. Leipzig, 1831.

Bild:
<< vorherige Seite

eingießen und das Gefäß bis an GH füllen, während das Auge
unverrückt in O bleibt, so scheint E über den Rand hervorzusteigen
und ein Punct F, der vorher vom Rande bedeckt war, wird sicht-
bar. Sucht man den Punct m auf, wo der von E zum Auge ge-
langende Strahl aus dem Wasser hervordringt, so findet man ihn
nicht mehr mit E und O in grader Linie; aber ein Gegenstand,
(die Spitze eines Cirkels zum Beispiel,) der die grade Linie mO
verfolgt, verdeckt dem Auge den Punct E, und eben das geschieht,
wenn dieser Gegenstand die grade Linie mE verfolgt, so daß wir
mit Sicherheit schließen können, der zum Auge gelangende Licht-
strahl setze von E bis m, so lange er im Wasser bleibt, seinen Weg
in grader Richtung fort, beim Hervortreten aus dem Wasser aber
gehe er in die veränderte Richtung mO über. Und diese Aenderung
der Richtung ist es, was wir Brechung des Lichtstrahles, Re-
fraction, nennen.

Diese Brechung findet immer statt, wenn der Lichtstrahl aus
einem durchsichtigen Körper in einen andern in einer schiefen Rich-
tung gegen die Trennungsfläche übergeht, oder wenigstens giebt es
nur wenige Körper, die ein so genau gleiches Verhältniß gegen das
Licht zeigen, daß der aus dem einen derselben austretende und
ohne Zwischenraum in den andern übergehende Strahl gänzlich un-
gebrochen bliebe. Ein senkrecht auf die Oberfläche fallender Licht-
strahl behält dagegen seine Richtung auch in dem andern Körper,
in welchen er eindringt. Die Brechung findet so statt, daß der
Lichtstrahl, wenn er in einen dichteren Körper übergeht, tiefer ein-
dringt, als es seiner vorigen Richtung angemessen ist, statt daß
beim Eindringen in einen minder dichten Körper der Strahl eine
geringere Neigung gegen die Oberfläche annimmt, als der grade
Fortgang des Strahles es fordern würde. Doch diese Bestimmun-
gen sind zu oberflächlich, und müssen um so mehr in strengeren
Ausdrücken angegeben werden, da sie einem so sehr bestimmten Ge-
setze unterworfen sind.

Bestimmung der Gesetze der Brechung.

Um diese Gesetze genau anzugeben, denken wir uns in dem
Puncte (Fig. 48.) A, wo der Lichtstrahl BA die Trennungsfläche
der beiden durchsichtigen Körper erreicht, die Senkrechte AC gegen

G 2

eingießen und das Gefaͤß bis an GH fuͤllen, waͤhrend das Auge
unverruͤckt in O bleibt, ſo ſcheint E uͤber den Rand hervorzuſteigen
und ein Punct F, der vorher vom Rande bedeckt war, wird ſicht-
bar. Sucht man den Punct m auf, wo der von E zum Auge ge-
langende Strahl aus dem Waſſer hervordringt, ſo findet man ihn
nicht mehr mit E und O in grader Linie; aber ein Gegenſtand,
(die Spitze eines Cirkels zum Beiſpiel,) der die grade Linie mO
verfolgt, verdeckt dem Auge den Punct E, und eben das geſchieht,
wenn dieſer Gegenſtand die grade Linie mE verfolgt, ſo daß wir
mit Sicherheit ſchließen koͤnnen, der zum Auge gelangende Licht-
ſtrahl ſetze von E bis m, ſo lange er im Waſſer bleibt, ſeinen Weg
in grader Richtung fort, beim Hervortreten aus dem Waſſer aber
gehe er in die veraͤnderte Richtung mO uͤber. Und dieſe Aenderung
der Richtung iſt es, was wir Brechung des Lichtſtrahles, Re-
fraction, nennen.

Dieſe Brechung findet immer ſtatt, wenn der Lichtſtrahl aus
einem durchſichtigen Koͤrper in einen andern in einer ſchiefen Rich-
tung gegen die Trennungsflaͤche uͤbergeht, oder wenigſtens giebt es
nur wenige Koͤrper, die ein ſo genau gleiches Verhaͤltniß gegen das
Licht zeigen, daß der aus dem einen derſelben austretende und
ohne Zwiſchenraum in den andern uͤbergehende Strahl gaͤnzlich un-
gebrochen bliebe. Ein ſenkrecht auf die Oberflaͤche fallender Licht-
ſtrahl behaͤlt dagegen ſeine Richtung auch in dem andern Koͤrper,
in welchen er eindringt. Die Brechung findet ſo ſtatt, daß der
Lichtſtrahl, wenn er in einen dichteren Koͤrper uͤbergeht, tiefer ein-
dringt, als es ſeiner vorigen Richtung angemeſſen iſt, ſtatt daß
beim Eindringen in einen minder dichten Koͤrper der Strahl eine
geringere Neigung gegen die Oberflaͤche annimmt, als der grade
Fortgang des Strahles es fordern wuͤrde. Doch dieſe Beſtimmun-
gen ſind zu oberflaͤchlich, und muͤſſen um ſo mehr in ſtrengeren
Ausdruͤcken angegeben werden, da ſie einem ſo ſehr beſtimmten Ge-
ſetze unterworfen ſind.

Beſtimmung der Geſetze der Brechung.

Um dieſe Geſetze genau anzugeben, denken wir uns in dem
Puncte (Fig. 48.) A, wo der Lichtſtrahl BA die Trennungsflaͤche
der beiden durchſichtigen Koͤrper erreicht, die Senkrechte AC gegen

G 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0113" n="99"/>
eingießen und das Gefa&#x0364;ß bis an <hi rendition="#aq"><hi rendition="#b">GH</hi></hi> fu&#x0364;llen, wa&#x0364;hrend das                         Auge<lb/>
unverru&#x0364;ckt in <hi rendition="#aq"><hi rendition="#b">O</hi></hi> bleibt, &#x017F;o &#x017F;cheint <hi rendition="#aq"><hi rendition="#b">E</hi></hi> u&#x0364;ber den Rand hervorzu&#x017F;teigen<lb/>
und ein Punct <hi rendition="#aq"><hi rendition="#b">F,</hi></hi> der vorher vom Rande bedeckt war, wird &#x017F;icht-<lb/>
bar.                         Sucht man den Punct <hi rendition="#aq"><hi rendition="#b">m</hi></hi> auf, wo der von <hi rendition="#aq"><hi rendition="#b">E</hi></hi> zum Auge ge-<lb/>
langende Strahl aus dem Wa&#x017F;&#x017F;er                         hervordringt, &#x017F;o findet man ihn<lb/>
nicht mehr mit <hi rendition="#aq"><hi rendition="#b">E</hi></hi> und <hi rendition="#aq"><hi rendition="#b">O</hi></hi> in grader Linie; aber ein Gegen&#x017F;tand,<lb/>
(die Spitze eines                         Cirkels zum Bei&#x017F;piel,) der die grade Linie <hi rendition="#aq"><hi rendition="#b">mO</hi></hi><lb/>
verfolgt, verdeckt dem Auge den Punct <hi rendition="#aq"><hi rendition="#b">E,</hi></hi> und eben das ge&#x017F;chieht,<lb/>
wenn die&#x017F;er                         Gegen&#x017F;tand die grade Linie <hi rendition="#aq"><hi rendition="#b">mE</hi></hi> verfolgt, &#x017F;o daß wir<lb/>
mit Sicherheit                         &#x017F;chließen ko&#x0364;nnen, der zum Auge gelangende                         Licht-<lb/>
&#x017F;trahl &#x017F;etze von <hi rendition="#aq"><hi rendition="#b">E</hi></hi> bis <hi rendition="#aq"><hi rendition="#b">m,</hi></hi> &#x017F;o lange er im Wa&#x017F;&#x017F;er bleibt,                         &#x017F;einen Weg<lb/>
in grader Richtung fort, beim Hervortreten aus dem                         Wa&#x017F;&#x017F;er aber<lb/>
gehe er in die vera&#x0364;nderte                         Richtung <hi rendition="#aq"><hi rendition="#b">mO</hi></hi> u&#x0364;ber. Und die&#x017F;e Aenderung<lb/>
der Richtung                         i&#x017F;t es, was wir <hi rendition="#g">Brechung</hi> des                         Licht&#x017F;trahles, <hi rendition="#g">Re</hi>-<lb/><hi rendition="#g">fraction</hi>, nennen.</p><lb/>
          <p>Die&#x017F;e Brechung findet immer &#x017F;tatt, wenn der                         Licht&#x017F;trahl aus<lb/>
einem durch&#x017F;ichtigen                         Ko&#x0364;rper in einen andern in einer &#x017F;chiefen                         Rich-<lb/>
tung gegen die Trennungsfla&#x0364;che u&#x0364;bergeht,                         oder wenig&#x017F;tens giebt es<lb/>
nur wenige Ko&#x0364;rper, die                         ein &#x017F;o genau gleiches Verha&#x0364;ltniß gegen das<lb/>
Licht                         zeigen, daß der aus dem einen der&#x017F;elben austretende und<lb/>
ohne                         Zwi&#x017F;chenraum in den andern u&#x0364;bergehende Strahl                         ga&#x0364;nzlich un-<lb/>
gebrochen bliebe. Ein &#x017F;enkrecht auf                         die Oberfla&#x0364;che fallender Licht-<lb/>
&#x017F;trahl                         beha&#x0364;lt dagegen &#x017F;eine Richtung auch in dem andern                         Ko&#x0364;rper,<lb/>
in welchen er eindringt. Die Brechung findet                         &#x017F;o &#x017F;tatt, daß der<lb/>
Licht&#x017F;trahl, wenn er                         in einen dichteren Ko&#x0364;rper u&#x0364;bergeht, tiefer                         ein-<lb/>
dringt, als es &#x017F;einer vorigen Richtung                         angeme&#x017F;&#x017F;en i&#x017F;t, &#x017F;tatt                         daß<lb/>
beim Eindringen in einen minder dichten Ko&#x0364;rper der                         Strahl eine<lb/>
geringere Neigung gegen die Oberfla&#x0364;che annimmt,                         als der grade<lb/>
Fortgang des Strahles es fordern wu&#x0364;rde. Doch                         die&#x017F;e Be&#x017F;timmun-<lb/>
gen &#x017F;ind zu                         oberfla&#x0364;chlich, und mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en um                         &#x017F;o mehr in &#x017F;trengeren<lb/>
Ausdru&#x0364;cken                         angegeben werden, da &#x017F;ie einem &#x017F;o &#x017F;ehr                         be&#x017F;timmten Ge-<lb/>
&#x017F;etze unterworfen                         &#x017F;ind.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head><hi rendition="#g">Be&#x017F;timmung der Ge&#x017F;etze der                             Brechung</hi>.</head><lb/>
          <p>Um die&#x017F;e Ge&#x017F;etze genau anzugeben, denken wir uns in                         dem<lb/>
Puncte (<hi rendition="#aq"><hi rendition="#b">Fig. 48.</hi></hi>) <hi rendition="#aq"><hi rendition="#b">A,</hi></hi> wo der Licht&#x017F;trahl <hi rendition="#aq"><hi rendition="#b">BA</hi></hi> die Trennungsfla&#x0364;che<lb/>
der beiden                         durch&#x017F;ichtigen Ko&#x0364;rper erreicht, die Senkrechte <hi rendition="#aq"><hi rendition="#b">AC</hi></hi> gegen<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">G 2</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[99/0113] eingießen und das Gefaͤß bis an GH fuͤllen, waͤhrend das Auge unverruͤckt in O bleibt, ſo ſcheint E uͤber den Rand hervorzuſteigen und ein Punct F, der vorher vom Rande bedeckt war, wird ſicht- bar. Sucht man den Punct m auf, wo der von E zum Auge ge- langende Strahl aus dem Waſſer hervordringt, ſo findet man ihn nicht mehr mit E und O in grader Linie; aber ein Gegenſtand, (die Spitze eines Cirkels zum Beiſpiel,) der die grade Linie mO verfolgt, verdeckt dem Auge den Punct E, und eben das geſchieht, wenn dieſer Gegenſtand die grade Linie mE verfolgt, ſo daß wir mit Sicherheit ſchließen koͤnnen, der zum Auge gelangende Licht- ſtrahl ſetze von E bis m, ſo lange er im Waſſer bleibt, ſeinen Weg in grader Richtung fort, beim Hervortreten aus dem Waſſer aber gehe er in die veraͤnderte Richtung mO uͤber. Und dieſe Aenderung der Richtung iſt es, was wir Brechung des Lichtſtrahles, Re- fraction, nennen. Dieſe Brechung findet immer ſtatt, wenn der Lichtſtrahl aus einem durchſichtigen Koͤrper in einen andern in einer ſchiefen Rich- tung gegen die Trennungsflaͤche uͤbergeht, oder wenigſtens giebt es nur wenige Koͤrper, die ein ſo genau gleiches Verhaͤltniß gegen das Licht zeigen, daß der aus dem einen derſelben austretende und ohne Zwiſchenraum in den andern uͤbergehende Strahl gaͤnzlich un- gebrochen bliebe. Ein ſenkrecht auf die Oberflaͤche fallender Licht- ſtrahl behaͤlt dagegen ſeine Richtung auch in dem andern Koͤrper, in welchen er eindringt. Die Brechung findet ſo ſtatt, daß der Lichtſtrahl, wenn er in einen dichteren Koͤrper uͤbergeht, tiefer ein- dringt, als es ſeiner vorigen Richtung angemeſſen iſt, ſtatt daß beim Eindringen in einen minder dichten Koͤrper der Strahl eine geringere Neigung gegen die Oberflaͤche annimmt, als der grade Fortgang des Strahles es fordern wuͤrde. Doch dieſe Beſtimmun- gen ſind zu oberflaͤchlich, und muͤſſen um ſo mehr in ſtrengeren Ausdruͤcken angegeben werden, da ſie einem ſo ſehr beſtimmten Ge- ſetze unterworfen ſind. Beſtimmung der Geſetze der Brechung. Um dieſe Geſetze genau anzugeben, denken wir uns in dem Puncte (Fig. 48.) A, wo der Lichtſtrahl BA die Trennungsflaͤche der beiden durchſichtigen Koͤrper erreicht, die Senkrechte AC gegen G 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brandes_naturlehre02_1831
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brandes_naturlehre02_1831/113
Zitationshilfe: Brandes, Heinrich Wilhelm: Vorlesungen über die Naturlehre. Bd. 2. Leipzig, 1831, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brandes_naturlehre02_1831/113>, abgerufen am 26.04.2024.