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Brandes, Heinrich Wilhelm: Vorlesungen über die Naturlehre. Bd. 2. Leipzig, 1831.

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ther zu sich heranzuziehen, widerspricht nicht der Erfahrung, daß
das Wasser höher in den gläsernen Haarröhrchen steht, als Aether;
denn wenn auch die Kraft, mit welcher die Glaswände den Aether
anziehen, 100 wäre, und die, womit sie das Wasser anziehen, nur
50, so kann das Wasser höher steigen, wenn die Wassertheilchen
gegen einander nur mit 48, die Aethertheilchen gegen einander mit
99 gezogen werden, indem die Differenz = 2 ist bei den kleinern
Zahlen, die das Wasser betreffen, und = 1 bei den größern, die
den Aether betreffen.

Eben solche Versuche lassen sich nun auch mit Flüssigkeiten,
die sich über andre flüssige Körper verbreiten, anstellen. Ein
Tropfen fettes Oel breitet sich über eine Wasserfläche aus, aber er
wird von ätherischem Oele zurückgetrieben, und einige Tropfen
Wolfsmilchsaft treiben wieder das ätherische Oel zurück. Harze in
Weingeist aufgelöst wirken ebenso wie Saft der Wolfsmilch. Link
führt noch mehr ähnliche Versuche an und zieht aus ihnen den
Schluß, daß dieses Bestreben, sich der Oberfläche zu bemächtigen,
bei den Körpern am stärksten sei, deren chemische Verwandtschaft
auch zu dem die Oberfläche bildenden Körper am größten ist. Es
ist nämlich aus chemischen Versuchen bekannt, daß das Wasser zur
Schwefelsäure und zum reinen Weingeist eine vorzüglich starke Ver-
wandtschaft hat, und beide zeigen sich auch vorzüglich wirksam, um
Oele und dgl. von der Oberfläche des Wassers zu vertreiben.

Bewegungen, die dieser ungleichen Adhäsion wegen
entstehen
.

Die Stärke dieser Flächen-Anziehung, die einigen Körpern
gegen andre Körper eigen ist, läßt sich auf mehr als eine Weise
sichtbar machen. Wenn man auf den trockenen und ganz reinen
Boden einer Glasschale einen Tropfen Weingeist bringt, so ver-
breitet er sich sogleich über einen bedeutenden Raum, statt daß ein
Wassertropfen dies in viel geringerem Maaße thut. -- Wenn man
Goldblättchen auf reinem Wasser schwimmen läßt, und nun einen
Tropfen Weingeist oder Aether zwischen sie auf die Oberfläche des
Wassers bringt, so ziehen die Goldblättchen sich vor dem die Ober-
fläche einnehmenden Tropfen Weingeist zurück; dagegen wenn man
vorher einen Tropfen einer Auflösung von Harz in Weingeist auf

ther zu ſich heranzuziehen, widerſpricht nicht der Erfahrung, daß
das Waſſer hoͤher in den glaͤſernen Haarroͤhrchen ſteht, als Aether;
denn wenn auch die Kraft, mit welcher die Glaswaͤnde den Aether
anziehen, 100 waͤre, und die, womit ſie das Waſſer anziehen, nur
50, ſo kann das Waſſer hoͤher ſteigen, wenn die Waſſertheilchen
gegen einander nur mit 48, die Aethertheilchen gegen einander mit
99 gezogen werden, indem die Differenz = 2 iſt bei den kleinern
Zahlen, die das Waſſer betreffen, und = 1 bei den groͤßern, die
den Aether betreffen.

Eben ſolche Verſuche laſſen ſich nun auch mit Fluͤſſigkeiten,
die ſich uͤber andre fluͤſſige Koͤrper verbreiten, anſtellen. Ein
Tropfen fettes Oel breitet ſich uͤber eine Waſſerflaͤche aus, aber er
wird von aͤtheriſchem Oele zuruͤckgetrieben, und einige Tropfen
Wolfsmilchſaft treiben wieder das aͤtheriſche Oel zuruͤck. Harze in
Weingeiſt aufgeloͤſt wirken ebenſo wie Saft der Wolfsmilch. Link
fuͤhrt noch mehr aͤhnliche Verſuche an und zieht aus ihnen den
Schluß, daß dieſes Beſtreben, ſich der Oberflaͤche zu bemaͤchtigen,
bei den Koͤrpern am ſtaͤrkſten ſei, deren chemiſche Verwandtſchaft
auch zu dem die Oberflaͤche bildenden Koͤrper am groͤßten iſt. Es
iſt naͤmlich aus chemiſchen Verſuchen bekannt, daß das Waſſer zur
Schwefelſaͤure und zum reinen Weingeiſt eine vorzuͤglich ſtarke Ver-
wandtſchaft hat, und beide zeigen ſich auch vorzuͤglich wirkſam, um
Oele und dgl. von der Oberflaͤche des Waſſers zu vertreiben.

Bewegungen, die dieſer ungleichen Adhaͤſion wegen
entſtehen
.

Die Staͤrke dieſer Flaͤchen-Anziehung, die einigen Koͤrpern
gegen andre Koͤrper eigen iſt, laͤßt ſich auf mehr als eine Weiſe
ſichtbar machen. Wenn man auf den trockenen und ganz reinen
Boden einer Glasſchale einen Tropfen Weingeiſt bringt, ſo ver-
breitet er ſich ſogleich uͤber einen bedeutenden Raum, ſtatt daß ein
Waſſertropfen dies in viel geringerem Maaße thut. — Wenn man
Goldblaͤttchen auf reinem Waſſer ſchwimmen laͤßt, und nun einen
Tropfen Weingeiſt oder Aether zwiſchen ſie auf die Oberflaͤche des
Waſſers bringt, ſo ziehen die Goldblaͤttchen ſich vor dem die Ober-
flaͤche einnehmenden Tropfen Weingeiſt zuruͤck; dagegen wenn man
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[24/0038] ther zu ſich heranzuziehen, widerſpricht nicht der Erfahrung, daß das Waſſer hoͤher in den glaͤſernen Haarroͤhrchen ſteht, als Aether; denn wenn auch die Kraft, mit welcher die Glaswaͤnde den Aether anziehen, 100 waͤre, und die, womit ſie das Waſſer anziehen, nur 50, ſo kann das Waſſer hoͤher ſteigen, wenn die Waſſertheilchen gegen einander nur mit 48, die Aethertheilchen gegen einander mit 99 gezogen werden, indem die Differenz = 2 iſt bei den kleinern Zahlen, die das Waſſer betreffen, und = 1 bei den groͤßern, die den Aether betreffen. Eben ſolche Verſuche laſſen ſich nun auch mit Fluͤſſigkeiten, die ſich uͤber andre fluͤſſige Koͤrper verbreiten, anſtellen. Ein Tropfen fettes Oel breitet ſich uͤber eine Waſſerflaͤche aus, aber er wird von aͤtheriſchem Oele zuruͤckgetrieben, und einige Tropfen Wolfsmilchſaft treiben wieder das aͤtheriſche Oel zuruͤck. Harze in Weingeiſt aufgeloͤſt wirken ebenſo wie Saft der Wolfsmilch. Link fuͤhrt noch mehr aͤhnliche Verſuche an und zieht aus ihnen den Schluß, daß dieſes Beſtreben, ſich der Oberflaͤche zu bemaͤchtigen, bei den Koͤrpern am ſtaͤrkſten ſei, deren chemiſche Verwandtſchaft auch zu dem die Oberflaͤche bildenden Koͤrper am groͤßten iſt. Es iſt naͤmlich aus chemiſchen Verſuchen bekannt, daß das Waſſer zur Schwefelſaͤure und zum reinen Weingeiſt eine vorzuͤglich ſtarke Ver- wandtſchaft hat, und beide zeigen ſich auch vorzuͤglich wirkſam, um Oele und dgl. von der Oberflaͤche des Waſſers zu vertreiben. Bewegungen, die dieſer ungleichen Adhaͤſion wegen entſtehen. Die Staͤrke dieſer Flaͤchen-Anziehung, die einigen Koͤrpern gegen andre Koͤrper eigen iſt, laͤßt ſich auf mehr als eine Weiſe ſichtbar machen. Wenn man auf den trockenen und ganz reinen Boden einer Glasſchale einen Tropfen Weingeiſt bringt, ſo ver- breitet er ſich ſogleich uͤber einen bedeutenden Raum, ſtatt daß ein Waſſertropfen dies in viel geringerem Maaße thut. — Wenn man Goldblaͤttchen auf reinem Waſſer ſchwimmen laͤßt, und nun einen Tropfen Weingeiſt oder Aether zwiſchen ſie auf die Oberflaͤche des Waſſers bringt, ſo ziehen die Goldblaͤttchen ſich vor dem die Ober- flaͤche einnehmenden Tropfen Weingeiſt zuruͤck; dagegen wenn man vorher einen Tropfen einer Aufloͤſung von Harz in Weingeiſt auf

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Zitationshilfe: Brandes, Heinrich Wilhelm: Vorlesungen über die Naturlehre. Bd. 2. Leipzig, 1831, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brandes_naturlehre02_1831/38>, abgerufen am 26.04.2024.