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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 24. Das fränkische Reich.
Stämme des Kontinents unter ihrer Herrschaft zu vereinigen und
ihnen das Christentum sowie die selbständig verarbeiteten Überreste
der antiken Kultur zu vermitteln. Deutsches Blut und deutsches
Recht in die Reichsgebiete romanischer Zunge tragend haben sie diese
mit neuen Lebensbedingungen erfüllt und so ein Staatswesen geschaffen,
welches in der gleichmässigen Zusammensetzung aus germanischen und
romanischen Bevölkerungsmassen sein hervorragendes Merkmal, in der
gegenseitigen Berührung, Durchdringung und Abstossung derselben
den wesentlichen Inhalt seiner Geschichte hat.

Die Reichsgründung ging von dem salischen Zweige der Franken
aus. Nach der Besetzung Toxandriens 1, des Landes südlich und west-
lich der unteren Maas, dehnten die Salier, die unter römischer Ober-
hoheit und in der Schule des römischen Kriegsdienstes ihre hervor-
ragende politische und militärische Begabung auszubilden verstanden,
ihre Wohnsitze nach Süden aus, dem Lauf der Schelde folgend, welche
sie vermutlich schon zu Anfang des fünften Jahrhunderts überschritten.
Unter ihrem Könige Chlogio eroberten sie das römische Cambrai und
erwarben sie um die Mitte des fünften Jahrhunderts das Land bis zur
Somme. Die Ausbreitung des Stammes ging bis um diese Zeit Hand
in Hand mit der fortschreitenden Besiedlung der besetzten Gebiete.
Das Bedürfnis neuer Wohnsitze hatte ihn vorwärts gedrängt.

Dagegen gingen die Eroberungen, durch welche König Chlodovech
(481--511) die eigentliche Gründung der fränkischen Monarchie voll-
zog, nicht mehr aus dem Wandertrieb des Volkes sondern aus der
Initiative des Königtums hervor 2. Chlodovech war seinem Vater
Childerich, der als Föderat den Römern in Gallien Kriegsdienste ge-
leistet hatte, in das salische Teilkönigtum gefolgt, das in Tournay
seinen Sitz hatte. Mit seinem Geschlechtsvetter König Ragnachar ver-
bündet besiegte Chlodovech 486 den römischen Machthaber Syagrius,
der als Sohn des letzten römischen Statthalters Egidius nach der
Erhebung Odovakers ein Stück von Gallien in selbständiger Herrschaft
behauptet hatte. Die Frucht des Sieges war zunächst die Erwerbung
des Gebietes bis zur Seine; etwas später wurde auch das Land zwi-
schen Seine und Loire unterworfen. Im Jahre 496 unterlagen die
Alamannen den fränkischen Waffen, unterwarfen sich und mussten,
wie es scheint, ihre nördlichen und westlichen Gaue vollständig ab-

1 S. oben S 43.
2 Sohm, Reichs- und Gerichtsverfassung S 35: "Die sämtlichen übrigen ger-
manischen Reiche sind durch ein eroberndes Volk, das fränkische Reich ist durch
einen erobernden König gegründet worden."

§ 24. Das fränkische Reich.
Stämme des Kontinents unter ihrer Herrschaft zu vereinigen und
ihnen das Christentum sowie die selbständig verarbeiteten Überreste
der antiken Kultur zu vermitteln. Deutsches Blut und deutsches
Recht in die Reichsgebiete romanischer Zunge tragend haben sie diese
mit neuen Lebensbedingungen erfüllt und so ein Staatswesen geschaffen,
welches in der gleichmäſsigen Zusammensetzung aus germanischen und
romanischen Bevölkerungsmassen sein hervorragendes Merkmal, in der
gegenseitigen Berührung, Durchdringung und Abstoſsung derselben
den wesentlichen Inhalt seiner Geschichte hat.

Die Reichsgründung ging von dem salischen Zweige der Franken
aus. Nach der Besetzung Toxandriens 1, des Landes südlich und west-
lich der unteren Maas, dehnten die Salier, die unter römischer Ober-
hoheit und in der Schule des römischen Kriegsdienstes ihre hervor-
ragende politische und militärische Begabung auszubilden verstanden,
ihre Wohnsitze nach Süden aus, dem Lauf der Schelde folgend, welche
sie vermutlich schon zu Anfang des fünften Jahrhunderts überschritten.
Unter ihrem Könige Chlogio eroberten sie das römische Cambrai und
erwarben sie um die Mitte des fünften Jahrhunderts das Land bis zur
Somme. Die Ausbreitung des Stammes ging bis um diese Zeit Hand
in Hand mit der fortschreitenden Besiedlung der besetzten Gebiete.
Das Bedürfnis neuer Wohnsitze hatte ihn vorwärts gedrängt.

Dagegen gingen die Eroberungen, durch welche König Chlodovech
(481—511) die eigentliche Gründung der fränkischen Monarchie voll-
zog, nicht mehr aus dem Wandertrieb des Volkes sondern aus der
Initiative des Königtums hervor 2. Chlodovech war seinem Vater
Childerich, der als Föderat den Römern in Gallien Kriegsdienste ge-
leistet hatte, in das salische Teilkönigtum gefolgt, das in Tournay
seinen Sitz hatte. Mit seinem Geschlechtsvetter König Ragnachar ver-
bündet besiegte Chlodovech 486 den römischen Machthaber Syagrius,
der als Sohn des letzten römischen Statthalters Egidius nach der
Erhebung Odovakers ein Stück von Gallien in selbständiger Herrschaft
behauptet hatte. Die Frucht des Sieges war zunächst die Erwerbung
des Gebietes bis zur Seine; etwas später wurde auch das Land zwi-
schen Seine und Loire unterworfen. Im Jahre 496 unterlagen die
Alamannen den fränkischen Waffen, unterwarfen sich und muſsten,
wie es scheint, ihre nördlichen und westlichen Gaue vollständig ab-

1 S. oben S 43.
2 Sohm, Reichs- und Gerichtsverfassung S 35: „Die sämtlichen übrigen ger-
manischen Reiche sind durch ein eroberndes Volk, das fränkische Reich ist durch
einen erobernden König gegründet worden.“
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[188/0206] § 24. Das fränkische Reich. Stämme des Kontinents unter ihrer Herrschaft zu vereinigen und ihnen das Christentum sowie die selbständig verarbeiteten Überreste der antiken Kultur zu vermitteln. Deutsches Blut und deutsches Recht in die Reichsgebiete romanischer Zunge tragend haben sie diese mit neuen Lebensbedingungen erfüllt und so ein Staatswesen geschaffen, welches in der gleichmäſsigen Zusammensetzung aus germanischen und romanischen Bevölkerungsmassen sein hervorragendes Merkmal, in der gegenseitigen Berührung, Durchdringung und Abstoſsung derselben den wesentlichen Inhalt seiner Geschichte hat. Die Reichsgründung ging von dem salischen Zweige der Franken aus. Nach der Besetzung Toxandriens 1, des Landes südlich und west- lich der unteren Maas, dehnten die Salier, die unter römischer Ober- hoheit und in der Schule des römischen Kriegsdienstes ihre hervor- ragende politische und militärische Begabung auszubilden verstanden, ihre Wohnsitze nach Süden aus, dem Lauf der Schelde folgend, welche sie vermutlich schon zu Anfang des fünften Jahrhunderts überschritten. Unter ihrem Könige Chlogio eroberten sie das römische Cambrai und erwarben sie um die Mitte des fünften Jahrhunderts das Land bis zur Somme. Die Ausbreitung des Stammes ging bis um diese Zeit Hand in Hand mit der fortschreitenden Besiedlung der besetzten Gebiete. Das Bedürfnis neuer Wohnsitze hatte ihn vorwärts gedrängt. Dagegen gingen die Eroberungen, durch welche König Chlodovech (481—511) die eigentliche Gründung der fränkischen Monarchie voll- zog, nicht mehr aus dem Wandertrieb des Volkes sondern aus der Initiative des Königtums hervor 2. Chlodovech war seinem Vater Childerich, der als Föderat den Römern in Gallien Kriegsdienste ge- leistet hatte, in das salische Teilkönigtum gefolgt, das in Tournay seinen Sitz hatte. Mit seinem Geschlechtsvetter König Ragnachar ver- bündet besiegte Chlodovech 486 den römischen Machthaber Syagrius, der als Sohn des letzten römischen Statthalters Egidius nach der Erhebung Odovakers ein Stück von Gallien in selbständiger Herrschaft behauptet hatte. Die Frucht des Sieges war zunächst die Erwerbung des Gebietes bis zur Seine; etwas später wurde auch das Land zwi- schen Seine und Loire unterworfen. Im Jahre 496 unterlagen die Alamannen den fränkischen Waffen, unterwarfen sich und muſsten, wie es scheint, ihre nördlichen und westlichen Gaue vollständig ab- 1 S. oben S 43. 2 Sohm, Reichs- und Gerichtsverfassung S 35: „Die sämtlichen übrigen ger- manischen Reiche sind durch ein eroberndes Volk, das fränkische Reich ist durch einen erobernden König gegründet worden.“

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 188. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/206>, abgerufen am 26.04.2024.