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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 41. Pactus und Lex Alamannorum.
gang gefunden haben4). Man darf daraus schliessen, dass sich bei
seiner Abfassung fränkischer Einfluss geltend machte und seine Ent-
stehung noch in die Zeit hinaufreicht, ehe die innige Verbindung
Alamanniens mit dem Frankenreiche durch das aufstrebende Stammes-
herzogtum gelockert zu werden begann. Andrerseits hatte das Christen-
tum bei den Alamannen bereits feste Wurzel gefasst, denn der Pactus
kennt die Freilassung in ecclesia5). Unter den deutschen Wörtern,
welche die uns vorliegenden Bruchstücke enthalten, stehen manche
auf der altgermanischen, andere auf der althochdeutschen Lautstufe6).
Der königlichen und der herzoglichen Gewalt wird in den über-
lieferten Fragmenten nicht gedacht. Die Rechtssätze des Pactus sind
älter als die der Lex Alamannorum. Seine Entstehungszeit kann
mit Wahrscheinlichkeit in die erste Hälfte des siebenten, frühestens
in den Ausgang des sechsten Jahrhunderts gesetzt werden.

Eine umfassendere und besser geordnete Satzung erhielt der
schwäbische Stamm durch die Lex Alamannorum, die uns in ungefähr
fünfzig Handschriften erhalten ist. Ihre Entstehungsgeschichte ist kon-
trovers. Merkel hat in seiner Ausgabe drei angeblich verschiedene
Redaktionen der Lex abgedruckt, eine Lex. Alam. Hlothariana7), die
er in drei Bücher einteilt, eine Lex Alam. Lantfridana und eine Lex
Alam. Karolina. Von der Lex Alam. Hloth. weist er Buch I (Kapitel
1--75) der Gesetzgebung König Chlothars II. (613--622), Buch II
(Kapital 76--97) der Zeit Dagoberts, Buch III (Kapitel 98--104) der
Zeit zwischen Dagobert und Lantfrid I. zu. Eine zweite Redaktion
der Lex soll Herzog Lantfrid, der Sohn Godofrids, zwischen 724 und 730
vorgenommen haben. Die Lex Alam. Karolina soll in karolingischer
Zeit entstanden sein. Die nähere Untersuchung der überlieferten
Textformen ergiebt jedoch, dass Merkels drei Rezensionen sich nicht
halten lassen, dass die Lex uns nur in einer einzigen Redaktion vor-
liegt und dass die von Merkel betonten Verschiedenheiten der von
ihm konstruierten drei Texte zum Teil auf einer unrichtigen Verteilung

4) Litus, baro, minoflidus wie in Cap. zur Lex Sal. I 9, texaca, medii electi
für die vom Kläger ernannten Eideshelfer wie im Pactus Child. et Chloth. 2. 5. 8,
während die Lex Alam. dafür nominati sagt (vgl. Walter, RG § 657 Anm 11).
Siehe Lehmann a. O. S 471. Auch battutus in Hlo. 101 und die Eidformel, quod
ei amplius non redebet in Pactus I 2 sind fränkisch.
5) II 48: si litus fuerit in ecclesia (a)ut in heris generationis dimissus ...
6) Schröder a. O. verweist u. a. einerseits auf stelzia, stotarius, andererseits
auf drappo, minofledus, minoflidus, letus, litus neben lesa, lisa.
7) Wo nichts anderes bemerkt ist, wird die Lex Alam. im Folgenden nach der
Kapitelzählung in Merkels Hlothariana zitiert.

§ 41. Pactus und Lex Alamannorum.
gang gefunden haben4). Man darf daraus schlieſsen, daſs sich bei
seiner Abfassung fränkischer Einfluſs geltend machte und seine Ent-
stehung noch in die Zeit hinaufreicht, ehe die innige Verbindung
Alamanniens mit dem Frankenreiche durch das aufstrebende Stammes-
herzogtum gelockert zu werden begann. Andrerseits hatte das Christen-
tum bei den Alamannen bereits feste Wurzel gefaſst, denn der Pactus
kennt die Freilassung in ecclesia5). Unter den deutschen Wörtern,
welche die uns vorliegenden Bruchstücke enthalten, stehen manche
auf der altgermanischen, andere auf der althochdeutschen Lautstufe6).
Der königlichen und der herzoglichen Gewalt wird in den über-
lieferten Fragmenten nicht gedacht. Die Rechtssätze des Pactus sind
älter als die der Lex Alamannorum. Seine Entstehungszeit kann
mit Wahrscheinlichkeit in die erste Hälfte des siebenten, frühestens
in den Ausgang des sechsten Jahrhunderts gesetzt werden.

Eine umfassendere und besser geordnete Satzung erhielt der
schwäbische Stamm durch die Lex Alamannorum, die uns in ungefähr
fünfzig Handschriften erhalten ist. Ihre Entstehungsgeschichte ist kon-
trovers. Merkel hat in seiner Ausgabe drei angeblich verschiedene
Redaktionen der Lex abgedruckt, eine Lex. Alam. Hlothariana7), die
er in drei Bücher einteilt, eine Lex Alam. Lantfridana und eine Lex
Alam. Karolina. Von der Lex Alam. Hloth. weist er Buch I (Kapitel
1—75) der Gesetzgebung König Chlothars II. (613—622), Buch II
(Kapital 76—97) der Zeit Dagoberts, Buch III (Kapitel 98—104) der
Zeit zwischen Dagobert und Lantfrid I. zu. Eine zweite Redaktion
der Lex soll Herzog Lantfrid, der Sohn Godofrids, zwischen 724 und 730
vorgenommen haben. Die Lex Alam. Karolina soll in karolingischer
Zeit entstanden sein. Die nähere Untersuchung der überlieferten
Textformen ergiebt jedoch, daſs Merkels drei Rezensionen sich nicht
halten lassen, daſs die Lex uns nur in einer einzigen Redaktion vor-
liegt und daſs die von Merkel betonten Verschiedenheiten der von
ihm konstruierten drei Texte zum Teil auf einer unrichtigen Verteilung

4) Litus, baro, minoflidus wie in Cap. zur Lex Sal. I 9, texaca, medii electi
für die vom Kläger ernannten Eideshelfer wie im Pactus Child. et Chloth. 2. 5. 8,
während die Lex Alam. dafür nominati sagt (vgl. Walter, RG § 657 Anm 11).
Siehe Lehmann a. O. S 471. Auch battutus in Hlo. 101 und die Eidformel, quod
ei amplius non redebet in Pactus I 2 sind fränkisch.
5) II 48: si litus fuerit in ecclesia (a)ut in heris generationis dimissus …
6) Schröder a. O. verweist u. a. einerseits auf stelzia, stotarius, andererseits
auf drappo, minofledus, minoflidus, letus, litus neben lesa, lisa.
7) Wo nichts anderes bemerkt ist, wird die Lex Alam. im Folgenden nach der
Kapitelzählung in Merkels Hlothariana zitiert.
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[309/0327] § 41. Pactus und Lex Alamannorum. gang gefunden haben 4). Man darf daraus schlieſsen, daſs sich bei seiner Abfassung fränkischer Einfluſs geltend machte und seine Ent- stehung noch in die Zeit hinaufreicht, ehe die innige Verbindung Alamanniens mit dem Frankenreiche durch das aufstrebende Stammes- herzogtum gelockert zu werden begann. Andrerseits hatte das Christen- tum bei den Alamannen bereits feste Wurzel gefaſst, denn der Pactus kennt die Freilassung in ecclesia 5). Unter den deutschen Wörtern, welche die uns vorliegenden Bruchstücke enthalten, stehen manche auf der altgermanischen, andere auf der althochdeutschen Lautstufe 6). Der königlichen und der herzoglichen Gewalt wird in den über- lieferten Fragmenten nicht gedacht. Die Rechtssätze des Pactus sind älter als die der Lex Alamannorum. Seine Entstehungszeit kann mit Wahrscheinlichkeit in die erste Hälfte des siebenten, frühestens in den Ausgang des sechsten Jahrhunderts gesetzt werden. Eine umfassendere und besser geordnete Satzung erhielt der schwäbische Stamm durch die Lex Alamannorum, die uns in ungefähr fünfzig Handschriften erhalten ist. Ihre Entstehungsgeschichte ist kon- trovers. Merkel hat in seiner Ausgabe drei angeblich verschiedene Redaktionen der Lex abgedruckt, eine Lex. Alam. Hlothariana 7), die er in drei Bücher einteilt, eine Lex Alam. Lantfridana und eine Lex Alam. Karolina. Von der Lex Alam. Hloth. weist er Buch I (Kapitel 1—75) der Gesetzgebung König Chlothars II. (613—622), Buch II (Kapital 76—97) der Zeit Dagoberts, Buch III (Kapitel 98—104) der Zeit zwischen Dagobert und Lantfrid I. zu. Eine zweite Redaktion der Lex soll Herzog Lantfrid, der Sohn Godofrids, zwischen 724 und 730 vorgenommen haben. Die Lex Alam. Karolina soll in karolingischer Zeit entstanden sein. Die nähere Untersuchung der überlieferten Textformen ergiebt jedoch, daſs Merkels drei Rezensionen sich nicht halten lassen, daſs die Lex uns nur in einer einzigen Redaktion vor- liegt und daſs die von Merkel betonten Verschiedenheiten der von ihm konstruierten drei Texte zum Teil auf einer unrichtigen Verteilung 4) Litus, baro, minoflidus wie in Cap. zur Lex Sal. I 9, texaca, medii electi für die vom Kläger ernannten Eideshelfer wie im Pactus Child. et Chloth. 2. 5. 8, während die Lex Alam. dafür nominati sagt (vgl. Walter, RG § 657 Anm 11). Siehe Lehmann a. O. S 471. Auch battutus in Hlo. 101 und die Eidformel, quod ei amplius non redebet in Pactus I 2 sind fränkisch. 5) II 48: si litus fuerit in ecclesia (a)ut in heris generationis dimissus … 6) Schröder a. O. verweist u. a. einerseits auf stelzia, stotarius, andererseits auf drappo, minofledus, minoflidus, letus, litus neben lesa, lisa. 7) Wo nichts anderes bemerkt ist, wird die Lex Alam. im Folgenden nach der Kapitelzählung in Merkels Hlothariana zitiert.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 309. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/327>, abgerufen am 26.04.2024.