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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 44. Die Lex Burgundionum.
zeigt die Lex doch bereits starke Einflüsse der römischen Kultur.
Ihre Rechtssätze haben vielfach ein verhältnismässig modernes Ge-
präge und entbehren jener frischen germanischen Ursprünglichkeit,
wie sie z. B. die um anderthalb Jahrhunderte jüngeren Gesetze der
Langobarden besitzen. Manche Bestimmungen sind dem römischen
Rechte entlehnt, so die Vorschriften über die Zahl der Testaments-
zeugen, über die Verjährungsfristen und die Anwendung der Inskriptio
bei Kriminalklagen 22. Die rechtliche Behandlung der Urkunde stammt
aus dem römischen Vulgarrechte. Mindestens zwei Stellen verraten
die Benutzung der römischen Interpretationslitteratur des fünften
Jahrhunderts 23.

Auffallend ist das Verhältnis, welches zwischen der burgundischen
und westgotischen Gesetzgebung obwaltet. Eine Reihe von Rechts-
sätzen der Gundobada und zwar von solchen, die ihr ursprünglich an-
gehörten, finden wir in verwandter Fassung in der Lex Wisigothorum
oder in Stellen der Lex Baiuwariorum, welche der westgotischen Ge-
setzgebung entlehnt sind 24, während andere sich im Wortlaut mit
Stellen der Lex Salica berühren, die vermutlich auf westgotischen
Einfluss zurückgehen 25. Es müssen zur Zeit, da Gundobad die be-
treffenden Gesetze erliess, Konstitutionen des Westgotenkönigs Eurich
vorgelegen haben, die der burgundische Gesetzgeber zum Vorbilde
nahm. Denn das Verhältnis der Parallelstellen lässt vermuten, dass

22 Siehe Savigny a O. II 5 ff.; Stobbe a. O. S 110.
23 Vgl. Gund. 24, 1 mit Interpretatio zu C. Th. III 8 c. 2. 3. Gund. 34, 3.
über die Ehescheidung geht auf Interpretatio zu C. Theod. III 16, 1 zurück. Gund.
40, 1 setzt die Kenntnis der Konstitution Konstantins, Cod. Theod. IV 10, 1 voraus,
der sie derogiert. Über Tit. 68 s. Anm 24 a. E.
24 Die Parallelstellen sind: G. 4, 6 = W. VIII 4, 1. G. 4, 8 = W. VIII 4, 9 (Ant.)
G. 23, 4 = W. VIII 5, 1. G. 27, 1. 2 = W. VIII 3, 7 (Ant.). G. 27, 3 = W. VIII
4, 24. 25 (Ant.) u. Lex Baiuw. X 19. 20. G. 27, 4. 5 = W. VIII 3, 10 (Ant.).
G. 39, 1. 2 = W. IX 1, 3; 1, 6. G. 6, 1. 3; 20, 2 = W. IX 1, 14. G. 25, 1;
27, 7; 103, 1 = Lex Baiuw. IX 12, vgl. W. VIII 3, 2, Lex Sal. 27, 6 u. oben S 301
Anm 44. Verwandt sind, wie Gaupp, German. Abhandl. S 40 f. ausgeführt hat,
G. 17, 1 und c. 277 der Pariser westgotischen Fragmente. Der Rechtssatz des
Tit. 68 (vgl. Lex Rom. Burg. 25), dass die Tötung des auf frischer That ertappten
Ehebrechers durch den Ehemann busslos sei, wenn dieser zugleich seine Frau
tötete, scheint zunächst auf die westgotische Vorlage von Lex Baiuw. VIII 1 und
Lex Wisig. III 4, 4 zurückzugehen. Er findet sich auch in Rothari 212 und dürfte
als eine irrtümliche Anwendung des römischen Rechtsgrundsatzes (Paulus rec. sent.
II 26; 1. 24 Dig. 48, 5) zu erklären sein. Vgl. Rosenthal, Rechtsfolgen des Ehe-
bruchs S 50 ff.
25 S. oben S 300. 301.
22*

§ 44. Die Lex Burgundionum.
zeigt die Lex doch bereits starke Einflüsse der römischen Kultur.
Ihre Rechtssätze haben vielfach ein verhältnismäſsig modernes Ge-
präge und entbehren jener frischen germanischen Ursprünglichkeit,
wie sie z. B. die um anderthalb Jahrhunderte jüngeren Gesetze der
Langobarden besitzen. Manche Bestimmungen sind dem römischen
Rechte entlehnt, so die Vorschriften über die Zahl der Testaments-
zeugen, über die Verjährungsfristen und die Anwendung der Inskriptio
bei Kriminalklagen 22. Die rechtliche Behandlung der Urkunde stammt
aus dem römischen Vulgarrechte. Mindestens zwei Stellen verraten
die Benutzung der römischen Interpretationslitteratur des fünften
Jahrhunderts 23.

Auffallend ist das Verhältnis, welches zwischen der burgundischen
und westgotischen Gesetzgebung obwaltet. Eine Reihe von Rechts-
sätzen der Gundobada und zwar von solchen, die ihr ursprünglich an-
gehörten, finden wir in verwandter Fassung in der Lex Wisigothorum
oder in Stellen der Lex Baiuwariorum, welche der westgotischen Ge-
setzgebung entlehnt sind 24, während andere sich im Wortlaut mit
Stellen der Lex Salica berühren, die vermutlich auf westgotischen
Einfluſs zurückgehen 25. Es müssen zur Zeit, da Gundobad die be-
treffenden Gesetze erlieſs, Konstitutionen des Westgotenkönigs Eurich
vorgelegen haben, die der burgundische Gesetzgeber zum Vorbilde
nahm. Denn das Verhältnis der Parallelstellen läſst vermuten, daſs

22 Siehe Savigny a O. II 5 ff.; Stobbe a. O. S 110.
23 Vgl. Gund. 24, 1 mit Interpretatio zu C. Th. III 8 c. 2. 3. Gund. 34, 3.
über die Ehescheidung geht auf Interpretatio zu C. Theod. III 16, 1 zurück. Gund.
40, 1 setzt die Kenntnis der Konstitution Konstantins, Cod. Theod. IV 10, 1 voraus,
der sie derogiert. Über Tit. 68 s. Anm 24 a. E.
24 Die Parallelstellen sind: G. 4, 6 = W. VIII 4, 1. G. 4, 8 = W. VIII 4, 9 (Ant.)
G. 23, 4 = W. VIII 5, 1. G. 27, 1. 2 = W. VIII 3, 7 (Ant.). G. 27, 3 = W. VIII
4, 24. 25 (Ant.) u. Lex Baiuw. X 19. 20. G. 27, 4. 5 = W. VIII 3, 10 (Ant.).
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27, 7; 103, 1 = Lex Baiuw. IX 12, vgl. W. VIII 3, 2, Lex Sal. 27, 6 u. oben S 301
Anm 44. Verwandt sind, wie Gaupp, German. Abhandl. S 40 f. ausgeführt hat,
G. 17, 1 und c. 277 der Pariser westgotischen Fragmente. Der Rechtssatz des
Tit. 68 (vgl. Lex Rom. Burg. 25), daſs die Tötung des auf frischer That ertappten
Ehebrechers durch den Ehemann buſslos sei, wenn dieser zugleich seine Frau
tötete, scheint zunächst auf die westgotische Vorlage von Lex Baiuw. VIII 1 und
Lex Wisig. III 4, 4 zurückzugehen. Er findet sich auch in Rothari 212 und dürfte
als eine irrtümliche Anwendung des römischen Rechtsgrundsatzes (Paulus rec. sent.
II 26; 1. 24 Dig. 48, 5) zu erklären sein. Vgl. Rosenthal, Rechtsfolgen des Ehe-
bruchs S 50 ff.
25 S. oben S 300. 301.
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[339/0357] § 44. Die Lex Burgundionum. zeigt die Lex doch bereits starke Einflüsse der römischen Kultur. Ihre Rechtssätze haben vielfach ein verhältnismäſsig modernes Ge- präge und entbehren jener frischen germanischen Ursprünglichkeit, wie sie z. B. die um anderthalb Jahrhunderte jüngeren Gesetze der Langobarden besitzen. Manche Bestimmungen sind dem römischen Rechte entlehnt, so die Vorschriften über die Zahl der Testaments- zeugen, über die Verjährungsfristen und die Anwendung der Inskriptio bei Kriminalklagen 22. Die rechtliche Behandlung der Urkunde stammt aus dem römischen Vulgarrechte. Mindestens zwei Stellen verraten die Benutzung der römischen Interpretationslitteratur des fünften Jahrhunderts 23. Auffallend ist das Verhältnis, welches zwischen der burgundischen und westgotischen Gesetzgebung obwaltet. Eine Reihe von Rechts- sätzen der Gundobada und zwar von solchen, die ihr ursprünglich an- gehörten, finden wir in verwandter Fassung in der Lex Wisigothorum oder in Stellen der Lex Baiuwariorum, welche der westgotischen Ge- setzgebung entlehnt sind 24, während andere sich im Wortlaut mit Stellen der Lex Salica berühren, die vermutlich auf westgotischen Einfluſs zurückgehen 25. Es müssen zur Zeit, da Gundobad die be- treffenden Gesetze erlieſs, Konstitutionen des Westgotenkönigs Eurich vorgelegen haben, die der burgundische Gesetzgeber zum Vorbilde nahm. Denn das Verhältnis der Parallelstellen läſst vermuten, daſs 22 Siehe Savigny a O. II 5 ff.; Stobbe a. O. S 110. 23 Vgl. Gund. 24, 1 mit Interpretatio zu C. Th. III 8 c. 2. 3. Gund. 34, 3. über die Ehescheidung geht auf Interpretatio zu C. Theod. III 16, 1 zurück. Gund. 40, 1 setzt die Kenntnis der Konstitution Konstantins, Cod. Theod. IV 10, 1 voraus, der sie derogiert. Über Tit. 68 s. Anm 24 a. E. 24 Die Parallelstellen sind: G. 4, 6 = W. VIII 4, 1. G. 4, 8 = W. VIII 4, 9 (Ant.) G. 23, 4 = W. VIII 5, 1. G. 27, 1. 2 = W. VIII 3, 7 (Ant.). G. 27, 3 = W. VIII 4, 24. 25 (Ant.) u. Lex Baiuw. X 19. 20. G. 27, 4. 5 = W. VIII 3, 10 (Ant.). G. 39, 1. 2 = W. IX 1, 3; 1, 6. G. 6, 1. 3; 20, 2 = W. IX 1, 14. G. 25, 1; 27, 7; 103, 1 = Lex Baiuw. IX 12, vgl. W. VIII 3, 2, Lex Sal. 27, 6 u. oben S 301 Anm 44. Verwandt sind, wie Gaupp, German. Abhandl. S 40 f. ausgeführt hat, G. 17, 1 und c. 277 der Pariser westgotischen Fragmente. Der Rechtssatz des Tit. 68 (vgl. Lex Rom. Burg. 25), daſs die Tötung des auf frischer That ertappten Ehebrechers durch den Ehemann buſslos sei, wenn dieser zugleich seine Frau tötete, scheint zunächst auf die westgotische Vorlage von Lex Baiuw. VIII 1 und Lex Wisig. III 4, 4 zurückzugehen. Er findet sich auch in Rothari 212 und dürfte als eine irrtümliche Anwendung des römischen Rechtsgrundsatzes (Paulus rec. sent. II 26; 1. 24 Dig. 48, 5) zu erklären sein. Vgl. Rosenthal, Rechtsfolgen des Ehe- bruchs S 50 ff. 25 S. oben S 300. 301. 22*

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 339. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/357>, abgerufen am 26.04.2024.