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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 119. Der Rechtsgang um Liegenschaften.
an den Eigentümer herauszugeben 100; vielmehr kann dieser nur von
dem Veräusserer Schadloshaltung verlangen. Verweigert der Ver-
äusserer dem Besitzer die firmatio, so muss jener diesem nicht nur
den Kaufpreis zurückerstatten, sondern ihm auch eine Sache liefern,
gleichartig und gleichwertig derjenigen, die der Besitzer an den
Kläger herauszugeben hat. Der Verkäufer einer fremden Sache, die
dem Eigentümer nicht wider Willen abhanden gekommen war, stand
sonach vor der Wahl, entweder sofort den Bruch der Gewährschaft
zu wagen oder die Verurteilung wegen inlicita venditio zu erwarten.
Wie das unrechtmässige Verkaufen wurde auch das unrechtmässige Ver-
schenken der Sache behandelt 101.

§ 119. Der Rechtsgang um Liegenschaften.

Walter, RG II 351 ff. v. Bethmann-Hollweg, Civilprocess IV 26. 53 ff. 236.
387 f. 488 ff. V 100. 131 f. Heusler, Die Gewere 1872, S. 28 ff. 71 ff. Der-
selbe
, Institutionen I 384. Schröder, RG S. 352. v. Amira, Recht S. 160.
J. Merkel, Das Firmare des bairischen Volksrechtes, Z. f. RG II 109 ff.
H. Brunner, Zur Rechtsgeschichte der Urkunde I 266. 275. 292. Kannen-
giesser
, Die prozesshindernde Einrede, ein Beitrag zur Lehre von der nominatio
auctoris 1878. Behrend, Anevang und Erbengewere 1885. -- Pertile, Storia
del diritto ital. IV 248 ff. Laughlin in den Essays in Anglo-Saxon Law S. 227 ff.
-- Eine monographische Darstellung des Liegenschaftsprozesses der fränkischen
Zeit gedenkt Rudolf Hübner zu liefern.

Verhältnismässig spät und spärlich tauchen in den deutschen
Quellen vereinzelte Rechtssätze über den Rechtsgang um Liegen-

100 Lex Baiuw. XVI, 11: Si haec defuerint in supradictis rebus, nullatenus
potest firmare. Si autem firmaverit, non potest ab eo, cui firmavit, nisi ipse voluerit,
retrahere, si campio quaesitoris vicerit. Siegt der Kämpe des Klägers,
so ist damit bewiesen, dass die Sache Eigentum des Klägers und also der Verkauf
und die firmatio rechtswidrig war. Nichtsdestoweniger verbleibt das Streitobjekt
dem Käufer. Da im Falle der firmatio das Gottesurteil des gerichtlichen Zweikampfs
entscheidet, kann der angerufene Gewährsmann die firmatio in gutem Vertrauen auf
den Ausgang des bevorstehenden Ordals nur dann vornehmen, wenn einer der ge-
nannten Erwerbsgründe vorliegt.
101 Über das bairische Firmationsverfahren siehe Siegel, Gerichtsverfahren
S. 259 ff. Merkel, Z. f. RG II 109 ff. London, Anefangsklage S. 416. All-
gemein wird die firmatio missverständlich auf den Anefang bezogen. Allein die
Wendung in Lex Baiuw. XVI 12: eo quod valde reprehensibilis est res alterius
dare, quia aliquotiens exinde scandala nascuntur, wäre absurd, wenn es sich um
Sachen handelte, die der Verkäufer gestohlen hatte. Um gestohlene Sachen ging
der Baier mit manus immissio, hantalod vor, eine Handlung, welche bei Gewährs-
zug den Schub der Sache auf den Gewährsmann verlangte.

§ 119. Der Rechtsgang um Liegenschaften.
an den Eigentümer herauszugeben 100; vielmehr kann dieser nur von
dem Veräuſserer Schadloshaltung verlangen. Verweigert der Ver-
äuſserer dem Besitzer die firmatio, so muſs jener diesem nicht nur
den Kaufpreis zurückerstatten, sondern ihm auch eine Sache liefern,
gleichartig und gleichwertig derjenigen, die der Besitzer an den
Kläger herauszugeben hat. Der Verkäufer einer fremden Sache, die
dem Eigentümer nicht wider Willen abhanden gekommen war, stand
sonach vor der Wahl, entweder sofort den Bruch der Gewährschaft
zu wagen oder die Verurteilung wegen inlicita venditio zu erwarten.
Wie das unrechtmäſsige Verkaufen wurde auch das unrechtmäſsige Ver-
schenken der Sache behandelt 101.

§ 119. Der Rechtsgang um Liegenschaften.

Walter, RG II 351 ff. v. Bethmann-Hollweg, Civilproceſs IV 26. 53 ff. 236.
387 f. 488 ff. V 100. 131 f. Heusler, Die Gewere 1872, S. 28 ff. 71 ff. Der-
selbe
, Institutionen I 384. Schröder, RG S. 352. v. Amira, Recht S. 160.
J. Merkel, Das Firmare des bairischen Volksrechtes, Z. f. RG II 109 ff.
H. Brunner, Zur Rechtsgeschichte der Urkunde I 266. 275. 292. Kannen-
gieſser
, Die prozeſshindernde Einrede, ein Beitrag zur Lehre von der nominatio
auctoris 1878. Behrend, Anevang und Erbengewere 1885. — Pertile, Storia
del diritto ital. IV 248 ff. Laughlin in den Essays in Anglo-Saxon Law S. 227 ff.
— Eine monographische Darstellung des Liegenschaftsprozesses der fränkischen
Zeit gedenkt Rudolf Hübner zu liefern.

Verhältnismäſsig spät und spärlich tauchen in den deutschen
Quellen vereinzelte Rechtssätze über den Rechtsgang um Liegen-

100 Lex Baiuw. XVI, 11: Si haec defuerint in supradictis rebus, nullatenus
potest firmare. Si autem firmaverit, non potest ab eo, cui firmavit, nisi ipse voluerit,
retrahere, si campio quaesitoris vicerit. Siegt der Kämpe des Klägers,
so ist damit bewiesen, daſs die Sache Eigentum des Klägers und also der Verkauf
und die firmatio rechtswidrig war. Nichtsdestoweniger verbleibt das Streitobjekt
dem Käufer. Da im Falle der firmatio das Gottesurteil des gerichtlichen Zweikampfs
entscheidet, kann der angerufene Gewährsmann die firmatio in gutem Vertrauen auf
den Ausgang des bevorstehenden Ordals nur dann vornehmen, wenn einer der ge-
nannten Erwerbsgründe vorliegt.
101 Über das bairische Firmationsverfahren siehe Siegel, Gerichtsverfahren
S. 259 ff. Merkel, Z. f. RG II 109 ff. London, Anefangsklage S. 416. All-
gemein wird die firmatio miſsverständlich auf den Anefang bezogen. Allein die
Wendung in Lex Baiuw. XVI 12: eo quod valde reprehensibilis est res alterius
dare, quia aliquotiens exinde scandala nascuntur, wäre absurd, wenn es sich um
Sachen handelte, die der Verkäufer gestohlen hatte. Um gestohlene Sachen ging
der Baier mit manus immissio, hantalôd vor, eine Handlung, welche bei Gewährs-
zug den Schub der Sache auf den Gewährsmann verlangte.
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[511/0529] § 119. Der Rechtsgang um Liegenschaften. an den Eigentümer herauszugeben 100; vielmehr kann dieser nur von dem Veräuſserer Schadloshaltung verlangen. Verweigert der Ver- äuſserer dem Besitzer die firmatio, so muſs jener diesem nicht nur den Kaufpreis zurückerstatten, sondern ihm auch eine Sache liefern, gleichartig und gleichwertig derjenigen, die der Besitzer an den Kläger herauszugeben hat. Der Verkäufer einer fremden Sache, die dem Eigentümer nicht wider Willen abhanden gekommen war, stand sonach vor der Wahl, entweder sofort den Bruch der Gewährschaft zu wagen oder die Verurteilung wegen inlicita venditio zu erwarten. Wie das unrechtmäſsige Verkaufen wurde auch das unrechtmäſsige Ver- schenken der Sache behandelt 101. § 119. Der Rechtsgang um Liegenschaften. Walter, RG II 351 ff. v. Bethmann-Hollweg, Civilproceſs IV 26. 53 ff. 236. 387 f. 488 ff. V 100. 131 f. Heusler, Die Gewere 1872, S. 28 ff. 71 ff. Der- selbe, Institutionen I 384. Schröder, RG S. 352. v. Amira, Recht S. 160. J. Merkel, Das Firmare des bairischen Volksrechtes, Z. f. RG II 109 ff. H. Brunner, Zur Rechtsgeschichte der Urkunde I 266. 275. 292. Kannen- gieſser, Die prozeſshindernde Einrede, ein Beitrag zur Lehre von der nominatio auctoris 1878. Behrend, Anevang und Erbengewere 1885. — Pertile, Storia del diritto ital. IV 248 ff. Laughlin in den Essays in Anglo-Saxon Law S. 227 ff. — Eine monographische Darstellung des Liegenschaftsprozesses der fränkischen Zeit gedenkt Rudolf Hübner zu liefern. Verhältnismäſsig spät und spärlich tauchen in den deutschen Quellen vereinzelte Rechtssätze über den Rechtsgang um Liegen- 100 Lex Baiuw. XVI, 11: Si haec defuerint in supradictis rebus, nullatenus potest firmare. Si autem firmaverit, non potest ab eo, cui firmavit, nisi ipse voluerit, retrahere, si campio quaesitoris vicerit. Siegt der Kämpe des Klägers, so ist damit bewiesen, daſs die Sache Eigentum des Klägers und also der Verkauf und die firmatio rechtswidrig war. Nichtsdestoweniger verbleibt das Streitobjekt dem Käufer. Da im Falle der firmatio das Gottesurteil des gerichtlichen Zweikampfs entscheidet, kann der angerufene Gewährsmann die firmatio in gutem Vertrauen auf den Ausgang des bevorstehenden Ordals nur dann vornehmen, wenn einer der ge- nannten Erwerbsgründe vorliegt. 101 Über das bairische Firmationsverfahren siehe Siegel, Gerichtsverfahren S. 259 ff. Merkel, Z. f. RG II 109 ff. London, Anefangsklage S. 416. All- gemein wird die firmatio miſsverständlich auf den Anefang bezogen. Allein die Wendung in Lex Baiuw. XVI 12: eo quod valde reprehensibilis est res alterius dare, quia aliquotiens exinde scandala nascuntur, wäre absurd, wenn es sich um Sachen handelte, die der Verkäufer gestohlen hatte. Um gestohlene Sachen ging der Baier mit manus immissio, hantalôd vor, eine Handlung, welche bei Gewährs- zug den Schub der Sache auf den Gewährsmann verlangte.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 511. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/529>, abgerufen am 26.04.2024.