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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 77. Das Königsgericht.
kische Märzfeld übergegangen, so ist dagegen die Gerichtsbarkeit, die
einst das Volk in der Landesgemeinde ausübte, schlechtweg ver-
schwunden und erscheint als deren Ersatz vom Anbeginn der frän-
kischen Zeit das Königsgericht.

Das Königsgericht, in merowingischer Zeit mallus 1, stappulum
regis 2 genannt, tagt unter dem Vorsitz des Königs. Darum begegnen
dafür auch die Wendungen ante regem, ante regis praesentiam, ad
palatium. Gegen Ausgang der merowingischen Zeit führt an Stelle
des Königs der Hausmeier den Vorsitz. Notwendig ist dem Königs-
gerichte die Anwesenheit des Pfalzgrafen oder seines Vertreters 3. Im
übrigen fehlt ein ständiges Personal von Beisitzern oder Urteilfindern.
Als solche fungieren die kraft ihres Amtes oder aus Anlass eines Hof-
tages oder zufällig bei Hof anwesenden Grossen, insbesondere die Hof-
beamten. Urkunden und Formeln der merowingischen Zeit 4 nennen
Bischöfe, Herzoge und Patrizier, den Majordomus, Referendare, Sene-
schalke, Schatzmeister, comites, domestici und grafiones, ausserdem
allgemein optimates und fideles. Im karolingischen Königsgerichte
werden regelmässig nur comites und Vassallen als Beisitzer erwähnt,
gelegentlich aber auch Bischöfe 5, mitunter für den besonderen Fall
zugezogene Schöffen 6. Neben den namentlich angeführten Urteilern
bildete die übrige am Hof anwesende Menge 7, zur Zeit einer Heeres-
versammlung wohl auch die Masse des Heeres, den Umstand. Eine
rein persönliche Rechtsprechung, wie sie von manchen missverständlich
behauptet wird, hat der König nicht ausgeübt; eine solche widerstreitet
den Grundsätzen der fränkischen Gerichtsverfassung 8.


1 Arg. Lex Sal. 46, Lex Rib. 50, 1.
2 Lex Ribuaria 33, 1; 67, 5; 75. Vgl. Grimm, RA S. 804. Schroeder,
Z2 f. RG VII 24 f.
3 Siehe oben S. 109. 111.
4 Von den merowingischen Königen haben wir zwanzig Placita, NA XIII 157,
Pertz, Dipl. M. Nr. 34. 35. 36. 37. 41. 49. 59. 60. 64. 66. 68. 70. 73. 76. 77. 78.
79. 83. 94. Von den Hausmeiern sechs, nämlich Pertz, Dipl. A. Nr. 10. 16. 18.
21. 22. 23. Dazu kommen die Formeln Marculf I 25. 37. 38; Suppl. Marc. 2;
Form. Tur. 33.
5 Z. B. in Beyer, Mrh. UB I 32, Nr. 27, H. 130.
6 Waitz, VG IV 493, Anm. 4.
7 In den Urkunden reliqui quam plurimi. Regalis multitudo in Meichelbeck
Nr. 702. Bescholtene Personen sind ausgeschlossen. Cap. Francica (aus Ansegis)
c. 8, I 334.
8 Unbegründet ist die von Barchewitz entwickelte Ansicht, dass der mero-
wingische König bis auf Chlothar II. persönliche Gerichtsbarkeit (Kabinettsjustiz)
geübt habe und erst seit Chlothar II. zunächst Civilsachen, dann auch Kriminal-
sachen unter Beisitz der Grossen entschieden worden seien. Siehe dagegen Greg.

§ 77. Das Königsgericht.
kische Märzfeld übergegangen, so ist dagegen die Gerichtsbarkeit, die
einst das Volk in der Landesgemeinde ausübte, schlechtweg ver-
schwunden und erscheint als deren Ersatz vom Anbeginn der frän-
kischen Zeit das Königsgericht.

Das Königsgericht, in merowingischer Zeit mallus 1, stappulum
regis 2 genannt, tagt unter dem Vorsitz des Königs. Darum begegnen
dafür auch die Wendungen ante regem, ante regis praesentiam, ad
palatium. Gegen Ausgang der merowingischen Zeit führt an Stelle
des Königs der Hausmeier den Vorsitz. Notwendig ist dem Königs-
gerichte die Anwesenheit des Pfalzgrafen oder seines Vertreters 3. Im
übrigen fehlt ein ständiges Personal von Beisitzern oder Urteilfindern.
Als solche fungieren die kraft ihres Amtes oder aus Anlaſs eines Hof-
tages oder zufällig bei Hof anwesenden Groſsen, insbesondere die Hof-
beamten. Urkunden und Formeln der merowingischen Zeit 4 nennen
Bischöfe, Herzoge und Patrizier, den Majordomus, Referendare, Sene-
schalke, Schatzmeister, comites, domestici und grafiones, auſserdem
allgemein optimates und fideles. Im karolingischen Königsgerichte
werden regelmäſsig nur comites und Vassallen als Beisitzer erwähnt,
gelegentlich aber auch Bischöfe 5, mitunter für den besonderen Fall
zugezogene Schöffen 6. Neben den namentlich angeführten Urteilern
bildete die übrige am Hof anwesende Menge 7, zur Zeit einer Heeres-
versammlung wohl auch die Masse des Heeres, den Umstand. Eine
rein persönliche Rechtsprechung, wie sie von manchen miſsverständlich
behauptet wird, hat der König nicht ausgeübt; eine solche widerstreitet
den Grundsätzen der fränkischen Gerichtsverfassung 8.


1 Arg. Lex Sal. 46, Lex Rib. 50, 1.
2 Lex Ribuaria 33, 1; 67, 5; 75. Vgl. Grimm, RA S. 804. Schroeder,
Z2 f. RG VII 24 f.
3 Siehe oben S. 109. 111.
4 Von den merowingischen Königen haben wir zwanzig Placita, NA XIII 157,
Pertz, Dipl. M. Nr. 34. 35. 36. 37. 41. 49. 59. 60. 64. 66. 68. 70. 73. 76. 77. 78.
79. 83. 94. Von den Hausmeiern sechs, nämlich Pertz, Dipl. A. Nr. 10. 16. 18.
21. 22. 23. Dazu kommen die Formeln Marculf I 25. 37. 38; Suppl. Marc. 2;
Form. Tur. 33.
5 Z. B. in Beyer, Mrh. UB I 32, Nr. 27, H. 130.
6 Waitz, VG IV 493, Anm. 4.
7 In den Urkunden reliqui quam plurimi. Regalis multitudo in Meichelbeck
Nr. 702. Bescholtene Personen sind ausgeschlossen. Cap. Francica (aus Ansegis)
c. 8, I 334.
8 Unbegründet ist die von Barchewitz entwickelte Ansicht, daſs der mero-
wingische König bis auf Chlothar II. persönliche Gerichtsbarkeit (Kabinettsjustiz)
geübt habe und erst seit Chlothar II. zunächst Civilsachen, dann auch Kriminal-
sachen unter Beisitz der Groſsen entschieden worden seien. Siehe dagegen Greg.
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[134/0152] § 77. Das Königsgericht. kische Märzfeld übergegangen, so ist dagegen die Gerichtsbarkeit, die einst das Volk in der Landesgemeinde ausübte, schlechtweg ver- schwunden und erscheint als deren Ersatz vom Anbeginn der frän- kischen Zeit das Königsgericht. Das Königsgericht, in merowingischer Zeit mallus 1, stappulum regis 2 genannt, tagt unter dem Vorsitz des Königs. Darum begegnen dafür auch die Wendungen ante regem, ante regis praesentiam, ad palatium. Gegen Ausgang der merowingischen Zeit führt an Stelle des Königs der Hausmeier den Vorsitz. Notwendig ist dem Königs- gerichte die Anwesenheit des Pfalzgrafen oder seines Vertreters 3. Im übrigen fehlt ein ständiges Personal von Beisitzern oder Urteilfindern. Als solche fungieren die kraft ihres Amtes oder aus Anlaſs eines Hof- tages oder zufällig bei Hof anwesenden Groſsen, insbesondere die Hof- beamten. Urkunden und Formeln der merowingischen Zeit 4 nennen Bischöfe, Herzoge und Patrizier, den Majordomus, Referendare, Sene- schalke, Schatzmeister, comites, domestici und grafiones, auſserdem allgemein optimates und fideles. Im karolingischen Königsgerichte werden regelmäſsig nur comites und Vassallen als Beisitzer erwähnt, gelegentlich aber auch Bischöfe 5, mitunter für den besonderen Fall zugezogene Schöffen 6. Neben den namentlich angeführten Urteilern bildete die übrige am Hof anwesende Menge 7, zur Zeit einer Heeres- versammlung wohl auch die Masse des Heeres, den Umstand. Eine rein persönliche Rechtsprechung, wie sie von manchen miſsverständlich behauptet wird, hat der König nicht ausgeübt; eine solche widerstreitet den Grundsätzen der fränkischen Gerichtsverfassung 8. 1 Arg. Lex Sal. 46, Lex Rib. 50, 1. 2 Lex Ribuaria 33, 1; 67, 5; 75. Vgl. Grimm, RA S. 804. Schroeder, Z2 f. RG VII 24 f. 3 Siehe oben S. 109. 111. 4 Von den merowingischen Königen haben wir zwanzig Placita, NA XIII 157, Pertz, Dipl. M. Nr. 34. 35. 36. 37. 41. 49. 59. 60. 64. 66. 68. 70. 73. 76. 77. 78. 79. 83. 94. Von den Hausmeiern sechs, nämlich Pertz, Dipl. A. Nr. 10. 16. 18. 21. 22. 23. Dazu kommen die Formeln Marculf I 25. 37. 38; Suppl. Marc. 2; Form. Tur. 33. 5 Z. B. in Beyer, Mrh. UB I 32, Nr. 27, H. 130. 6 Waitz, VG IV 493, Anm. 4. 7 In den Urkunden reliqui quam plurimi. Regalis multitudo in Meichelbeck Nr. 702. Bescholtene Personen sind ausgeschlossen. Cap. Francica (aus Ansegis) c. 8, I 334. 8 Unbegründet ist die von Barchewitz entwickelte Ansicht, daſs der mero- wingische König bis auf Chlothar II. persönliche Gerichtsbarkeit (Kabinettsjustiz) geübt habe und erst seit Chlothar II. zunächst Civilsachen, dann auch Kriminal- sachen unter Beisitz der Groſsen entschieden worden seien. Siehe dagegen Greg.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 134. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/152>, abgerufen am 26.04.2024.