Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

Bild:
<< vorherige Seite

§ 85. Die königlichen Missi.
Beamtentum dar 7. Werden höhere Hofbeamte, wie z. B. Referen-
dare oder Pfalzgrafen, vom König in Geschäften abgesendet, die nicht
zu ihrer Kompetenz gehören, sondern eine besondere Vollmacht vor-
aussetzen, so sind sie sachlich als Missi aufzufassen, wenn auch diese
Bezeichnung in den Quellen vermieden wird 8.

Die altdeutsche Übersetzung eines Kapitularienfragments über-
setzt missus mit bodo 9. Demgemäss kann man den missus regis
Königsboten 10 nennen; nur muss man sich vor Augen halten, dass er
im Rechtssinne nicht ein blosser Bote, sondern ein Bevollmächtigter
ist. Will man das Moment der Vollmacht zum Ausdruck bringen,
welches in dem Wort Bote an sich nicht enthalten ist, so spricht man
besser von königlichen Machtboten oder Gewaltboten 11. Im Gegen-
satz zu den ordentlichen Missi, welche uns in der karolingischen Zeit
begegnen, kann man die merowingischen Machtboten des Königs, deren
Vollmacht nur für den Einzelfall bestimmt war, als missi ad hoc oder
ausserordentliche Missi bezeichnen.

Der königliche Missus hat dreifaches Wergeld, solange er in
seinem Wirkungskreise thätig ist, ein Vorrecht, welches auch die
stammesherzoglichen Missi geniessen 12. Missi, die der König als Ge-
sandte verwendete, wurden, um ihre Unverletzbarkeit zu sichern, in
merowingischer Zeit mit Stäben ausgerüstet, die nach 'fränkischer',
offenbar heidnischer Sitte geweiht worden waren 13.


7 Der Antrustio ist als missus thätig in Septem Causae VIII 7. In der For-
mel Marculf I 20 erscheint der missus de palatio regis, der eine Erbteilung vor-
nimmt, unter der Bezeichnung suntellites. Das Wort steht wohl für syncellites
gleich concellita, Du Cange VI 469; II 408. Syncellita, sicellita wird als gisello
glossiert, Diefenbach, Glossar. latino-germ. S. 536, Graff, Sprachsch. VI 178.
Vgl. sincellites für concellita in form. Aug. Coll. C. 21, Zeumer S. 374.
8 Siehe oben S. 112. 114.
9 Cap. I 381, 12. Auf kesures bodo für den Landpfleger im Heliand ver-
weist Schröder, RG S. 133, Anm. 36.
10 So nennt sie Waitz, dem Ficker und Schröder folgen. Siegel ge-
braucht Fronboten.
11 Missi potentes bei Wartmann II 394, Anhang Nr. 17.
12 Septem Causae VIII 6. 7. Lex Chamav. c. 8. Lex Alam. 29. Lex Fris.
17, 3. Cap. Saxon. c. 7, I 72.
13 Greg. Tur. Hist. Franc. VII 32: Post haec misit iterum Gundovaldus duos
legatos ad regem cum virgis consecratis iuxta ritum Francorum, ut scilicet non
contingerentur ab ullo, sed exposita legatione cum responso reverterentur, was
freilich nicht verhindert, dass Guntchram die Gesandten des Prätendenten, dessen
aktives Gesandtschaftsrecht er nicht anerkennen kann, durchprügeln lässt. Die
Weihe des Stabes erfolgte vermutlich in der Weise, dass jeder, der sich an dem
Träger des Stabes vergreifen würde, im voraus verflucht wurde.

§ 85. Die königlichen Missi.
Beamtentum dar 7. Werden höhere Hofbeamte, wie z. B. Referen-
dare oder Pfalzgrafen, vom König in Geschäften abgesendet, die nicht
zu ihrer Kompetenz gehören, sondern eine besondere Vollmacht vor-
aussetzen, so sind sie sachlich als Missi aufzufassen, wenn auch diese
Bezeichnung in den Quellen vermieden wird 8.

Die altdeutsche Übersetzung eines Kapitularienfragments über-
setzt missus mit bodo 9. Demgemäſs kann man den missus regis
Königsboten 10 nennen; nur muſs man sich vor Augen halten, daſs er
im Rechtssinne nicht ein bloſser Bote, sondern ein Bevollmächtigter
ist. Will man das Moment der Vollmacht zum Ausdruck bringen,
welches in dem Wort Bote an sich nicht enthalten ist, so spricht man
besser von königlichen Machtboten oder Gewaltboten 11. Im Gegen-
satz zu den ordentlichen Missi, welche uns in der karolingischen Zeit
begegnen, kann man die merowingischen Machtboten des Königs, deren
Vollmacht nur für den Einzelfall bestimmt war, als missi ad hoc oder
auſserordentliche Missi bezeichnen.

Der königliche Missus hat dreifaches Wergeld, solange er in
seinem Wirkungskreise thätig ist, ein Vorrecht, welches auch die
stammesherzoglichen Missi genieſsen 12. Missi, die der König als Ge-
sandte verwendete, wurden, um ihre Unverletzbarkeit zu sichern, in
merowingischer Zeit mit Stäben ausgerüstet, die nach ‘fränkischer’,
offenbar heidnischer Sitte geweiht worden waren 13.


7 Der Antrustio ist als missus thätig in Septem Causae VIII 7. In der For-
mel Marculf I 20 erscheint der missus de palatio regis, der eine Erbteilung vor-
nimmt, unter der Bezeichnung suntellites. Das Wort steht wohl für syncellites
gleich concellita, Du Cange VI 469; II 408. Syncellita, sicellita wird als gisello
glossiert, Diefenbach, Glossar. latino-germ. S. 536, Graff, Sprachsch. VI 178.
Vgl. sincellites für concellita in form. Aug. Coll. C. 21, Zeumer S. 374.
8 Siehe oben S. 112. 114.
9 Cap. I 381, 12. Auf kêsures bodo für den Landpfleger im Heliand ver-
weist Schröder, RG S. 133, Anm. 36.
10 So nennt sie Waitz, dem Ficker und Schröder folgen. Siegel ge-
braucht Fronboten.
11 Missi potentes bei Wartmann II 394, Anhang Nr. 17.
12 Septem Causae VIII 6. 7. Lex Chamav. c. 8. Lex Alam. 29. Lex Fris.
17, 3. Cap. Saxon. c. 7, I 72.
13 Greg. Tur. Hist. Franc. VII 32: Post haec misit iterum Gundovaldus duos
legatos ad regem cum virgis consecratis iuxta ritum Francorum, ut scilicet non
contingerentur ab ullo, sed exposita legatione cum responso reverterentur, was
freilich nicht verhindert, daſs Guntchram die Gesandten des Prätendenten, dessen
aktives Gesandtschaftsrecht er nicht anerkennen kann, durchprügeln läſst. Die
Weihe des Stabes erfolgte vermutlich in der Weise, daſs jeder, der sich an dem
Träger des Stabes vergreifen würde, im voraus verflucht wurde.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0208" n="190"/><fw place="top" type="header">§ 85. Die königlichen Missi.</fw><lb/>
Beamtentum dar <note place="foot" n="7">Der Antrustio ist als missus thätig in Septem Causae VIII 7. In der For-<lb/>
mel Marculf I 20 erscheint der missus de palatio regis, der eine Erbteilung vor-<lb/>
nimmt, unter der Bezeichnung suntellites. Das Wort steht wohl für syncellites<lb/>
gleich concellita, <hi rendition="#g">Du Cange</hi> VI 469; II 408. Syncellita, sicellita wird als gisello<lb/>
glossiert, <hi rendition="#g">Diefenbach</hi>, Glossar. latino-germ. S. 536, <hi rendition="#g">Graff</hi>, Sprachsch. VI 178.<lb/>
Vgl. sincellites für concellita in form. Aug. Coll. C. 21, Zeumer S. 374.</note>. Werden höhere Hofbeamte, wie z. B. Referen-<lb/>
dare oder Pfalzgrafen, vom König in Geschäften abgesendet, die nicht<lb/>
zu ihrer Kompetenz gehören, sondern eine besondere Vollmacht vor-<lb/>
aussetzen, so sind sie sachlich als Missi aufzufassen, wenn auch diese<lb/>
Bezeichnung in den Quellen vermieden wird <note place="foot" n="8">Siehe oben S. 112. 114.</note>.</p><lb/>
            <p>Die altdeutsche Übersetzung eines Kapitularienfragments über-<lb/>
setzt missus mit bodo <note place="foot" n="9">Cap. I 381, 12. Auf kêsures bodo für den Landpfleger im Heliand ver-<lb/>
weist <hi rendition="#g">Schröder</hi>, RG S. 133, Anm. 36.</note>. Demgemä&#x017F;s kann man den missus regis<lb/>
Königsboten <note place="foot" n="10">So nennt sie <hi rendition="#g">Waitz</hi>, dem <hi rendition="#g">Ficker</hi> und <hi rendition="#g">Schröder</hi> folgen. <hi rendition="#g">Siegel</hi> ge-<lb/>
braucht Fronboten.</note> nennen; nur mu&#x017F;s man sich vor Augen halten, da&#x017F;s er<lb/>
im Rechtssinne nicht ein blo&#x017F;ser Bote, sondern ein Bevollmächtigter<lb/>
ist. Will man das Moment der Vollmacht zum Ausdruck bringen,<lb/>
welches in dem Wort Bote an sich nicht enthalten ist, so spricht man<lb/>
besser von königlichen Machtboten oder Gewaltboten <note place="foot" n="11">Missi potentes bei Wartmann II 394, Anhang Nr. 17.</note>. Im Gegen-<lb/>
satz zu den ordentlichen Missi, welche uns in der karolingischen Zeit<lb/>
begegnen, kann man die merowingischen Machtboten des Königs, deren<lb/>
Vollmacht nur für den Einzelfall bestimmt war, als missi ad hoc oder<lb/>
au&#x017F;serordentliche Missi bezeichnen.</p><lb/>
            <p>Der königliche Missus hat dreifaches Wergeld, solange er in<lb/>
seinem Wirkungskreise thätig ist, ein Vorrecht, welches auch die<lb/>
stammesherzoglichen Missi genie&#x017F;sen <note place="foot" n="12">Septem Causae VIII 6. 7. Lex Chamav. c. 8. Lex Alam. 29. Lex Fris.<lb/>
17, 3. Cap. Saxon. c. 7, I 72.</note>. Missi, die der König als Ge-<lb/>
sandte verwendete, wurden, um ihre Unverletzbarkeit zu sichern, in<lb/>
merowingischer Zeit mit Stäben ausgerüstet, die nach &#x2018;fränkischer&#x2019;,<lb/>
offenbar heidnischer Sitte geweiht worden waren <note place="foot" n="13">Greg. Tur. Hist. Franc. VII 32: Post haec misit iterum Gundovaldus duos<lb/>
legatos ad regem cum virgis consecratis iuxta ritum Francorum, ut scilicet non<lb/>
contingerentur ab ullo, sed exposita legatione cum responso reverterentur, was<lb/>
freilich nicht verhindert, da&#x017F;s Guntchram die Gesandten des Prätendenten, dessen<lb/>
aktives Gesandtschaftsrecht er nicht anerkennen kann, durchprügeln lä&#x017F;st. Die<lb/>
Weihe des Stabes erfolgte vermutlich in der Weise, da&#x017F;s jeder, der sich an dem<lb/>
Träger des Stabes vergreifen würde, im voraus verflucht wurde.</note>.</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[190/0208] § 85. Die königlichen Missi. Beamtentum dar 7. Werden höhere Hofbeamte, wie z. B. Referen- dare oder Pfalzgrafen, vom König in Geschäften abgesendet, die nicht zu ihrer Kompetenz gehören, sondern eine besondere Vollmacht vor- aussetzen, so sind sie sachlich als Missi aufzufassen, wenn auch diese Bezeichnung in den Quellen vermieden wird 8. Die altdeutsche Übersetzung eines Kapitularienfragments über- setzt missus mit bodo 9. Demgemäſs kann man den missus regis Königsboten 10 nennen; nur muſs man sich vor Augen halten, daſs er im Rechtssinne nicht ein bloſser Bote, sondern ein Bevollmächtigter ist. Will man das Moment der Vollmacht zum Ausdruck bringen, welches in dem Wort Bote an sich nicht enthalten ist, so spricht man besser von königlichen Machtboten oder Gewaltboten 11. Im Gegen- satz zu den ordentlichen Missi, welche uns in der karolingischen Zeit begegnen, kann man die merowingischen Machtboten des Königs, deren Vollmacht nur für den Einzelfall bestimmt war, als missi ad hoc oder auſserordentliche Missi bezeichnen. Der königliche Missus hat dreifaches Wergeld, solange er in seinem Wirkungskreise thätig ist, ein Vorrecht, welches auch die stammesherzoglichen Missi genieſsen 12. Missi, die der König als Ge- sandte verwendete, wurden, um ihre Unverletzbarkeit zu sichern, in merowingischer Zeit mit Stäben ausgerüstet, die nach ‘fränkischer’, offenbar heidnischer Sitte geweiht worden waren 13. 7 Der Antrustio ist als missus thätig in Septem Causae VIII 7. In der For- mel Marculf I 20 erscheint der missus de palatio regis, der eine Erbteilung vor- nimmt, unter der Bezeichnung suntellites. Das Wort steht wohl für syncellites gleich concellita, Du Cange VI 469; II 408. Syncellita, sicellita wird als gisello glossiert, Diefenbach, Glossar. latino-germ. S. 536, Graff, Sprachsch. VI 178. Vgl. sincellites für concellita in form. Aug. Coll. C. 21, Zeumer S. 374. 8 Siehe oben S. 112. 114. 9 Cap. I 381, 12. Auf kêsures bodo für den Landpfleger im Heliand ver- weist Schröder, RG S. 133, Anm. 36. 10 So nennt sie Waitz, dem Ficker und Schröder folgen. Siegel ge- braucht Fronboten. 11 Missi potentes bei Wartmann II 394, Anhang Nr. 17. 12 Septem Causae VIII 6. 7. Lex Chamav. c. 8. Lex Alam. 29. Lex Fris. 17, 3. Cap. Saxon. c. 7, I 72. 13 Greg. Tur. Hist. Franc. VII 32: Post haec misit iterum Gundovaldus duos legatos ad regem cum virgis consecratis iuxta ritum Francorum, ut scilicet non contingerentur ab ullo, sed exposita legatione cum responso reverterentur, was freilich nicht verhindert, daſs Guntchram die Gesandten des Prätendenten, dessen aktives Gesandtschaftsrecht er nicht anerkennen kann, durchprügeln läſst. Die Weihe des Stabes erfolgte vermutlich in der Weise, daſs jeder, der sich an dem Träger des Stabes vergreifen würde, im voraus verflucht wurde.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/208
Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 190. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/208>, abgerufen am 26.04.2024.