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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 105. Der Zeugeneid.
führer. Die Meineidsbusse der Zeugen ist mindestens nach salischem
und friesischem Rechte eine andere als die der Helfer 46. Verschieden
sind die Eigenschaften, die bei dem Helfer und die bei dem Zeugen
vorausgesetzt werden. Soweit eine Verpflichtung zu Eideshilfe und
Zeugnis besteht, beruht sie bei dem Helfer auf Blutsverwandtschaft
oder Schwurbrüderschaft, bei dem gezogenen Zeugen auf der Zeugen-
ziehung.

Der Zeugeneid war wie der Parteieid mit Helfern ein einseitiges
Beweismittel. Die producierten Zeugen konnten das eidliche Zeugnis
verweigern 47; aber wenn sie schwuren, vermochten sie nicht etwa zu
Gunsten des Gegners eidlich auszusagen, sondern nur das dem Beweis-
führer durch Urteil festgestellte Beweisthema zu erhärten.

Nordische Rechte kennen ein Beweisverfahren, welches Zeugen
und Eidhelfer kombiniert 48. Von den deutschen Volksrechten bietet
nur das bairische ein Analogon dar in einem Zeugeneide mit Eidhelfern,
nämlich in einem Eide, den ein Zeuge mit einem Helfer oder mit
mehreren Helfern schwört 49. Allem Anscheine nach handelt es sich
dabei um einen Zeugenbeweis, bei dem von mehreren Zeugen nur
einer den Zeugeneid schwur, während ihm die übrigen Eideshilfe
leisteten 50.


46 Lex Sal. 48 hat eine Zeugenbusse von 15 Solidi. Über die Eidhelfer siehe
oben S. 389, Anm. 80. Nach Lex Rib. 50 beträgt sie 15 Solidi, ebensoviel wie bei
dem Eidhelfer. Bei den Langobarden zahlt der falsche Zeuge das Wergeld oder
er wird verknechtet. Liu. 63. Bei den Burgundern büsst er 300 Solidi. Lex
Burg. 45. Concil. Epaonense v. J. 517, c. 13, LL Conc. S. 22 betrachtet falsches
Zeugnis als todeswürdiges Verbrechen. Die bairische Zeugenbusse ist 12 Solidi,
Lex Baiuw. 17, 2. Bei den Friesen verwirkt der Zeuge wie der Eidhelfer das
Wergeldsimplum, ausserdem aber die Lösungssumme der Hand (ein zweites Wer-
geldsimplum). Lex Fris. 10. In den nordischen Rechten finden wir die Drei-
markbusse. Wilda, Strafrecht S. 981. Als nach fränkischem Rechte der Ver-
lust der Hand allgemeine Meineidstrafe wurde, traf diese auch den meineidigen
Zeugen. Cap. Haristall. v. J. 779, c. 10, I 49.
47 Registrum Farfense Nr. 22, II 35, v. J. 749: sed dum ipsum sacramentum
venissent ad faciendum dixerunt .. quia non iuramus pro casalibus istis. A. O.
Nr. 103, II 93, v. J. 777: ecce evangelia posita, iurate nobis. Primo omnium A.
presbiter dixit: quia nullatenus iuro, quod publica non fuisset ipsa aecclesia et illi
alii similiter dixerunt, quia si sic iuramus periuramus.
48 K. Maurer, Kr. Ü. V 234 f.
49 So jüngere Texte der Lex Baiuw., Textus tertius bei Merkel XVI 6. Mo-
num. Boica XXVIII a 23, Nr. 25, v. J. 785--797, H. 138: voluit iurare Into castal-
dius cum sacramentalibus suis, cum Amm et Snellin et Altrate et cum ceteris, ut ..
fuissent videntes et firmantes.
50 Siehe unten § 108. Das ribuarische Volksrecht kennt einen Eid, welchen
der cancellarius zur Erhärtung einer angefochtenen Urkunde mit Eidhelfern schwört.

§ 105. Der Zeugeneid.
führer. Die Meineidsbuſse der Zeugen ist mindestens nach salischem
und friesischem Rechte eine andere als die der Helfer 46. Verschieden
sind die Eigenschaften, die bei dem Helfer und die bei dem Zeugen
vorausgesetzt werden. Soweit eine Verpflichtung zu Eideshilfe und
Zeugnis besteht, beruht sie bei dem Helfer auf Blutsverwandtschaft
oder Schwurbrüderschaft, bei dem gezogenen Zeugen auf der Zeugen-
ziehung.

Der Zeugeneid war wie der Parteieid mit Helfern ein einseitiges
Beweismittel. Die producierten Zeugen konnten das eidliche Zeugnis
verweigern 47; aber wenn sie schwuren, vermochten sie nicht etwa zu
Gunsten des Gegners eidlich auszusagen, sondern nur das dem Beweis-
führer durch Urteil festgestellte Beweisthema zu erhärten.

Nordische Rechte kennen ein Beweisverfahren, welches Zeugen
und Eidhelfer kombiniert 48. Von den deutschen Volksrechten bietet
nur das bairische ein Analogon dar in einem Zeugeneide mit Eidhelfern,
nämlich in einem Eide, den ein Zeuge mit einem Helfer oder mit
mehreren Helfern schwört 49. Allem Anscheine nach handelt es sich
dabei um einen Zeugenbeweis, bei dem von mehreren Zeugen nur
einer den Zeugeneid schwur, während ihm die übrigen Eideshilfe
leisteten 50.


46 Lex Sal. 48 hat eine Zeugenbuſse von 15 Solidi. Über die Eidhelfer siehe
oben S. 389, Anm. 80. Nach Lex Rib. 50 beträgt sie 15 Solidi, ebensoviel wie bei
dem Eidhelfer. Bei den Langobarden zahlt der falsche Zeuge das Wergeld oder
er wird verknechtet. Liu. 63. Bei den Burgundern büſst er 300 Solidi. Lex
Burg. 45. Concil. Epaonense v. J. 517, c. 13, LL Conc. S. 22 betrachtet falsches
Zeugnis als todeswürdiges Verbrechen. Die bairische Zeugenbuſse ist 12 Solidi,
Lex Baiuw. 17, 2. Bei den Friesen verwirkt der Zeuge wie der Eidhelfer das
Wergeldsimplum, auſserdem aber die Lösungssumme der Hand (ein zweites Wer-
geldsimplum). Lex Fris. 10. In den nordischen Rechten finden wir die Drei-
markbuſse. Wilda, Strafrecht S. 981. Als nach fränkischem Rechte der Ver-
lust der Hand allgemeine Meineidstrafe wurde, traf diese auch den meineidigen
Zeugen. Cap. Haristall. v. J. 779, c. 10, I 49.
47 Registrum Farfense Nr. 22, II 35, v. J. 749: sed dum ipsum sacramentum
venissent ad faciendum dixerunt .. quia non iuramus pro casalibus istis. A. O.
Nr. 103, II 93, v. J. 777: ecce evangelia posita, iurate nobis. Primo omnium A.
presbiter dixit: quia nullatenus iuro, quod publica non fuisset ipsa aecclesia et illi
alii similiter dixerunt, quia si sic iuramus periuramus.
48 K. Maurer, Kr. Ü. V 234 f.
49 So jüngere Texte der Lex Baiuw., Textus tertius bei Merkel XVI 6. Mo-
num. Boica XXVIII a 23, Nr. 25, v. J. 785—797, H. 138: voluit iurare Into castal-
dius cum sacramentalibus suis, cum Amm et Snellin et Altrate et cum ceteris, ut ..
fuissent videntes et firmantes.
50 Siehe unten § 108. Das ribuarische Volksrecht kennt einen Eid, welchen
der cancellarius zur Erhärtung einer angefochtenen Urkunde mit Eidhelfern schwört.
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[398/0416] § 105. Der Zeugeneid. führer. Die Meineidsbuſse der Zeugen ist mindestens nach salischem und friesischem Rechte eine andere als die der Helfer 46. Verschieden sind die Eigenschaften, die bei dem Helfer und die bei dem Zeugen vorausgesetzt werden. Soweit eine Verpflichtung zu Eideshilfe und Zeugnis besteht, beruht sie bei dem Helfer auf Blutsverwandtschaft oder Schwurbrüderschaft, bei dem gezogenen Zeugen auf der Zeugen- ziehung. Der Zeugeneid war wie der Parteieid mit Helfern ein einseitiges Beweismittel. Die producierten Zeugen konnten das eidliche Zeugnis verweigern 47; aber wenn sie schwuren, vermochten sie nicht etwa zu Gunsten des Gegners eidlich auszusagen, sondern nur das dem Beweis- führer durch Urteil festgestellte Beweisthema zu erhärten. Nordische Rechte kennen ein Beweisverfahren, welches Zeugen und Eidhelfer kombiniert 48. Von den deutschen Volksrechten bietet nur das bairische ein Analogon dar in einem Zeugeneide mit Eidhelfern, nämlich in einem Eide, den ein Zeuge mit einem Helfer oder mit mehreren Helfern schwört 49. Allem Anscheine nach handelt es sich dabei um einen Zeugenbeweis, bei dem von mehreren Zeugen nur einer den Zeugeneid schwur, während ihm die übrigen Eideshilfe leisteten 50. 46 Lex Sal. 48 hat eine Zeugenbuſse von 15 Solidi. Über die Eidhelfer siehe oben S. 389, Anm. 80. Nach Lex Rib. 50 beträgt sie 15 Solidi, ebensoviel wie bei dem Eidhelfer. Bei den Langobarden zahlt der falsche Zeuge das Wergeld oder er wird verknechtet. Liu. 63. Bei den Burgundern büſst er 300 Solidi. Lex Burg. 45. Concil. Epaonense v. J. 517, c. 13, LL Conc. S. 22 betrachtet falsches Zeugnis als todeswürdiges Verbrechen. Die bairische Zeugenbuſse ist 12 Solidi, Lex Baiuw. 17, 2. Bei den Friesen verwirkt der Zeuge wie der Eidhelfer das Wergeldsimplum, auſserdem aber die Lösungssumme der Hand (ein zweites Wer- geldsimplum). Lex Fris. 10. In den nordischen Rechten finden wir die Drei- markbuſse. Wilda, Strafrecht S. 981. Als nach fränkischem Rechte der Ver- lust der Hand allgemeine Meineidstrafe wurde, traf diese auch den meineidigen Zeugen. Cap. Haristall. v. J. 779, c. 10, I 49. 47 Registrum Farfense Nr. 22, II 35, v. J. 749: sed dum ipsum sacramentum venissent ad faciendum dixerunt .. quia non iuramus pro casalibus istis. A. O. Nr. 103, II 93, v. J. 777: ecce evangelia posita, iurate nobis. Primo omnium A. presbiter dixit: quia nullatenus iuro, quod publica non fuisset ipsa aecclesia et illi alii similiter dixerunt, quia si sic iuramus periuramus. 48 K. Maurer, Kr. Ü. V 234 f. 49 So jüngere Texte der Lex Baiuw., Textus tertius bei Merkel XVI 6. Mo- num. Boica XXVIII a 23, Nr. 25, v. J. 785—797, H. 138: voluit iurare Into castal- dius cum sacramentalibus suis, cum Amm et Snellin et Altrate et cum ceteris, ut .. fuissent videntes et firmantes. 50 Siehe unten § 108. Das ribuarische Volksrecht kennt einen Eid, welchen der cancellarius zur Erhärtung einer angefochtenen Urkunde mit Eidhelfern schwört.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 398. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/416>, abgerufen am 26.04.2024.