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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 142. Unzucht, Ehebruch und Blutschande.

Die Bestrafung der schuldigen Ehefrau ist Sache des Mannes34
und der Magen des Mannes oder der Frau. Er mag sie schimpflich
verstossen oder töten35. Bei den Burgundern wird die Frau, die den
Mann verlässt, im Schlamme erstickt36. Nach westgotischem Rechte
soll die Ehebrecherin von Amtswegen der Willkür des Mannes aus-
geliefert werden37; bei den Angelsachsen hat sie Vermögen, Nase
und Ohren verwirkt38.

Den Ehebrecher darf der Mann auf frischer That erschlagen39.
Wahrscheinlich dem römischen Vulgarrechte haben Westgoten und
Burgunder den Rechtssatz entlehnt, dass die Tötung des Ehebrechers
nur dann straflos ist, wenn der Ehemann gleichzeitig die Ehefrau
tötet40. Abgesehen von dem Falle der frischen That ist der Ehe-
brecher der Fehde und Rache ausgesetzt. Wird er auf eine gericht-
liche Klage hin überführt, so büsst er nach langobardischem Rechte
mit dem Leben41. Bei den Westgoten wird er verknechtet42. Die
meisten Rechte dagegen legen ihm eine Geldsühne auf. Entweder

eine Kebse hat, von ihr getrennt werden solle. Nach Knut II 50 ist es ein übler
Ehebruch, wenn ein Ehemann einer Ledigen, ein schlimmerer, wenn er dem Ehe-
weibe eines andern beiwohnt. Der Ehemann, der seine hörige Magd beschläft, soll
diese verlieren (Knut II 54). Das westgotische Recht (Lex Wisig. III 4, 9) be-
handelt den Ehebruch des Ehemannes mit einer Freien als einen Eingriff des be-
schlafenen Weibes in die Rechte der Ehefrau, der es verknechtet wird, ut in ipsius
potestate vindicta consistat. Nach den Capitula Remedii c. 7 wird der Ehemann,
der mit einer Ledigen Unzucht verübt, etwas schärfer bestraft als der ledige Mann.
34 Confessionale Pseudo-Egberti 33, Wasserschleben S. 313: si mulier aliqua
adulterium perpetraverit, poena eius sit in manibus viri sui.
35 Siehe oben I 75, Anm. 33, II 470. Bemerkenswert ist, dass Liu. 130 der
Ehebrecherin den Tod auch dann androht, wenn der Ehemann sie dazu angestiftet
hat. Das Recht der Tötung stand diesfalls vermutlich den Verwandten des Mannes
oder der Frau zu.
36 Siehe oben S. 475.
37 Lex Wisig. III 4, 3.
38 Knut II 53. Schmid, Ges. d. Ags. S. 563.
39 Roth. 212. Lex Rib. 77 (wenn er sich nicht binden lässt). Lex Baiuw.
VIII 1: in suo scelere iaceat sine vindicta. Vgl. Jydske Lov III 37: tha liggae
(han) a sinae eghnae waerki. Lex Fris. 5, 1. Alfred 42, 7. Wilda, Strafrecht
S. 823 ff.
40 Lex Wisig. III 4, 4, wo das Tötungsrecht auch dem Bräutigam eingeräumt
wird (in der Reccessuinthiana nur dem Ehemann). Lex Burg. 68. Lex Rom. Burg.
25. Vorbild waren Dig. 48, 5, 21. 24, § 4, indem das hier dem Vater eingeräumte
Tötungsrecht auf den Ehemann ausgedehnt wurde, wie es ihm gewissen Ehebrechern
gegenüber schon l. 25 l. c. zugesteht. Vgl. Rosenthal S. 50.
41 Roth. 213. Vgl. Liu. 130.
42 Lex Wisig. III 4, 1. 3. 12.
§ 142. Unzucht, Ehebruch und Blutschande.

Die Bestrafung der schuldigen Ehefrau ist Sache des Mannes34
und der Magen des Mannes oder der Frau. Er mag sie schimpflich
verstoſsen oder töten35. Bei den Burgundern wird die Frau, die den
Mann verläſst, im Schlamme erstickt36. Nach westgotischem Rechte
soll die Ehebrecherin von Amtswegen der Willkür des Mannes aus-
geliefert werden37; bei den Angelsachsen hat sie Vermögen, Nase
und Ohren verwirkt38.

Den Ehebrecher darf der Mann auf frischer That erschlagen39.
Wahrscheinlich dem römischen Vulgarrechte haben Westgoten und
Burgunder den Rechtssatz entlehnt, daſs die Tötung des Ehebrechers
nur dann straflos ist, wenn der Ehemann gleichzeitig die Ehefrau
tötet40. Abgesehen von dem Falle der frischen That ist der Ehe-
brecher der Fehde und Rache ausgesetzt. Wird er auf eine gericht-
liche Klage hin überführt, so büſst er nach langobardischem Rechte
mit dem Leben41. Bei den Westgoten wird er verknechtet42. Die
meisten Rechte dagegen legen ihm eine Geldsühne auf. Entweder

eine Kebse hat, von ihr getrennt werden solle. Nach Knut II 50 ist es ein übler
Ehebruch, wenn ein Ehemann einer Ledigen, ein schlimmerer, wenn er dem Ehe-
weibe eines andern beiwohnt. Der Ehemann, der seine hörige Magd beschläft, soll
diese verlieren (Knut II 54). Das westgotische Recht (Lex Wisig. III 4, 9) be-
handelt den Ehebruch des Ehemannes mit einer Freien als einen Eingriff des be-
schlafenen Weibes in die Rechte der Ehefrau, der es verknechtet wird, ut in ipsius
potestate vindicta consistat. Nach den Capitula Remedii c. 7 wird der Ehemann,
der mit einer Ledigen Unzucht verübt, etwas schärfer bestraft als der ledige Mann.
34 Confessionale Pseudo-Egberti 33, Waſserschleben S. 313: si mulier aliqua
adulterium perpetraverit, poena eius sit in manibus viri sui.
35 Siehe oben I 75, Anm. 33, II 470. Bemerkenswert ist, daſs Liu. 130 der
Ehebrecherin den Tod auch dann androht, wenn der Ehemann sie dazu angestiftet
hat. Das Recht der Tötung stand diesfalls vermutlich den Verwandten des Mannes
oder der Frau zu.
36 Siehe oben S. 475.
37 Lex Wisig. III 4, 3.
38 Knut II 53. Schmid, Ges. d. Ags. S. 563.
39 Roth. 212. Lex Rib. 77 (wenn er sich nicht binden läſst). Lex Baiuw.
VIII 1: in suo scelere iaceat sine vindicta. Vgl. Jydske Lov III 37: tha liggæ
(han) a sinæ eghnæ wærki. Lex Fris. 5, 1. Alfred 42, 7. Wilda, Strafrecht
S. 823 ff.
40 Lex Wisig. III 4, 4, wo das Tötungsrecht auch dem Bräutigam eingeräumt
wird (in der Reccessuinthiana nur dem Ehemann). Lex Burg. 68. Lex Rom. Burg.
25. Vorbild waren Dig. 48, 5, 21. 24, § 4, indem das hier dem Vater eingeräumte
Tötungsrecht auf den Ehemann ausgedehnt wurde, wie es ihm gewissen Ehebrechern
gegenüber schon l. 25 l. c. zugesteht. Vgl. Rosenthal S. 50.
41 Roth. 213. Vgl. Liu. 130.
42 Lex Wisig. III 4, 1. 3. 12.
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[663/0681] § 142. Unzucht, Ehebruch und Blutschande. Die Bestrafung der schuldigen Ehefrau ist Sache des Mannes 34 und der Magen des Mannes oder der Frau. Er mag sie schimpflich verstoſsen oder töten 35. Bei den Burgundern wird die Frau, die den Mann verläſst, im Schlamme erstickt 36. Nach westgotischem Rechte soll die Ehebrecherin von Amtswegen der Willkür des Mannes aus- geliefert werden 37; bei den Angelsachsen hat sie Vermögen, Nase und Ohren verwirkt 38. Den Ehebrecher darf der Mann auf frischer That erschlagen 39. Wahrscheinlich dem römischen Vulgarrechte haben Westgoten und Burgunder den Rechtssatz entlehnt, daſs die Tötung des Ehebrechers nur dann straflos ist, wenn der Ehemann gleichzeitig die Ehefrau tötet 40. Abgesehen von dem Falle der frischen That ist der Ehe- brecher der Fehde und Rache ausgesetzt. Wird er auf eine gericht- liche Klage hin überführt, so büſst er nach langobardischem Rechte mit dem Leben 41. Bei den Westgoten wird er verknechtet 42. Die meisten Rechte dagegen legen ihm eine Geldsühne auf. Entweder 33 34 Confessionale Pseudo-Egberti 33, Waſserschleben S. 313: si mulier aliqua adulterium perpetraverit, poena eius sit in manibus viri sui. 35 Siehe oben I 75, Anm. 33, II 470. Bemerkenswert ist, daſs Liu. 130 der Ehebrecherin den Tod auch dann androht, wenn der Ehemann sie dazu angestiftet hat. Das Recht der Tötung stand diesfalls vermutlich den Verwandten des Mannes oder der Frau zu. 36 Siehe oben S. 475. 37 Lex Wisig. III 4, 3. 38 Knut II 53. Schmid, Ges. d. Ags. S. 563. 39 Roth. 212. Lex Rib. 77 (wenn er sich nicht binden läſst). Lex Baiuw. VIII 1: in suo scelere iaceat sine vindicta. Vgl. Jydske Lov III 37: tha liggæ (han) a sinæ eghnæ wærki. Lex Fris. 5, 1. Alfred 42, 7. Wilda, Strafrecht S. 823 ff. 40 Lex Wisig. III 4, 4, wo das Tötungsrecht auch dem Bräutigam eingeräumt wird (in der Reccessuinthiana nur dem Ehemann). Lex Burg. 68. Lex Rom. Burg. 25. Vorbild waren Dig. 48, 5, 21. 24, § 4, indem das hier dem Vater eingeräumte Tötungsrecht auf den Ehemann ausgedehnt wurde, wie es ihm gewissen Ehebrechern gegenüber schon l. 25 l. c. zugesteht. Vgl. Rosenthal S. 50. 41 Roth. 213. Vgl. Liu. 130. 42 Lex Wisig. III 4, 1. 3. 12. 33 eine Kebse hat, von ihr getrennt werden solle. Nach Knut II 50 ist es ein übler Ehebruch, wenn ein Ehemann einer Ledigen, ein schlimmerer, wenn er dem Ehe- weibe eines andern beiwohnt. Der Ehemann, der seine hörige Magd beschläft, soll diese verlieren (Knut II 54). Das westgotische Recht (Lex Wisig. III 4, 9) be- handelt den Ehebruch des Ehemannes mit einer Freien als einen Eingriff des be- schlafenen Weibes in die Rechte der Ehefrau, der es verknechtet wird, ut in ipsius potestate vindicta consistat. Nach den Capitula Remedii c. 7 wird der Ehemann, der mit einer Ledigen Unzucht verübt, etwas schärfer bestraft als der ledige Mann.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 663. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/681>, abgerufen am 27.04.2024.