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Bücher, Karl: Die Entstehung der Volkswirtschaft. Sechs Vorträge. Tübingen, 1893.

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So ist das Handwerk wirtschaftlich und sozial in die
zweite Stelle gerückt; aber es ist damit noch lange nicht
vernichtet, und es wird auch gewiß ebensowenig verschwinden,
wie Lohnwerk und Hausfleiß verschwunden sind. Was es der
Gesellschaft in einer Zeit allgemeiner Feudalisierung gewon-
nen hat, eine widerstandsfähige Klasse vom Boden unabhäng-
iger Leute, deren Existenz auf persönlicher Tüchtigkeit und
einem kleinen beweglichen Besitztum beruhte, eine Heimstätte
bürgerlicher Zucht und Ehrbarkeit, das wird und muß ihr er-
halten bleiben, wenn auch wahrscheinlich die künftigen Träger
dieser Tugenden ihr Dasein auf anderer Basis fristen werden.

Es ist in letzter Zeit mit seltsamer Dringlichkeit der
Ruf nach Beseitigung der älteren industriellen Betriebs-
systeme erhoben worden 1). Das Handwerk, die Hausin-
dustrie, überhaupt alle Kleinbetriebsformen, sagt man, lähmten
die nationale Produktivkraft; sie seien "rückständige, über-
wundene, rohe, um nicht zu sagen sozial hemmende Pro-
duktionsmethoden", die im eigensten Interesse derjenigen,
welche sie ausüben, durch eine "vernünftige und zweck-
mäßige Gliederung und Regelung der menschlichen Thätig-
keiten im Großen" ersetzt werden müßten, wenn nicht auch
ferner die thatsächliche Nationalproduktion hinter der tech-
nisch möglichen weit zurückbleiben solle.

Diese kurzsichtige wirtschaftspolitische Studierstuben-

1) So von H. Losch, Nationale Produktion und nationale Be-
rufsgliederung, Leipzig 1892 und bezüglich der Hausindustrie von
W. Sombart in Braun's Archiv f. soz. Gesetzg. und Statistik IV,
S. 144 ff. und im "Handwörterbuch der Staatswissenschaften" IV, S. 435.

So iſt das Handwerk wirtſchaftlich und ſozial in die
zweite Stelle gerückt; aber es iſt damit noch lange nicht
vernichtet, und es wird auch gewiß ebenſowenig verſchwinden,
wie Lohnwerk und Hausfleiß verſchwunden ſind. Was es der
Geſellſchaft in einer Zeit allgemeiner Feudaliſierung gewon-
nen hat, eine widerſtandsfähige Klaſſe vom Boden unabhäng-
iger Leute, deren Exiſtenz auf perſönlicher Tüchtigkeit und
einem kleinen beweglichen Beſitztum beruhte, eine Heimſtätte
bürgerlicher Zucht und Ehrbarkeit, das wird und muß ihr er-
halten bleiben, wenn auch wahrſcheinlich die künftigen Träger
dieſer Tugenden ihr Daſein auf anderer Baſis friſten werden.

Es iſt in letzter Zeit mit ſeltſamer Dringlichkeit der
Ruf nach Beſeitigung der älteren induſtriellen Betriebs-
ſyſteme erhoben worden 1). Das Handwerk, die Hausin-
duſtrie, überhaupt alle Kleinbetriebsformen, ſagt man, lähmten
die nationale Produktivkraft; ſie ſeien „rückſtändige, über-
wundene, rohe, um nicht zu ſagen ſozial hemmende Pro-
duktionsmethoden“, die im eigenſten Intereſſe derjenigen,
welche ſie ausüben, durch eine „vernünftige und zweck-
mäßige Gliederung und Regelung der menſchlichen Thätig-
keiten im Großen“ erſetzt werden müßten, wenn nicht auch
ferner die thatſächliche Nationalproduktion hinter der tech-
niſch möglichen weit zurückbleiben ſolle.

Dieſe kurzſichtige wirtſchaftspolitiſche Studierſtuben-

1) So von H. Loſch, Nationale Produktion und nationale Be-
rufsgliederung, Leipzig 1892 und bezüglich der Hausinduſtrie von
W. Sombart in Braun’s Archiv f. ſoz. Geſetzg. und Statiſtik IV,
S. 144 ff. und im „Handwörterbuch der Staatswiſſenſchaften“ IV, S. 435.
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[117/0139] So iſt das Handwerk wirtſchaftlich und ſozial in die zweite Stelle gerückt; aber es iſt damit noch lange nicht vernichtet, und es wird auch gewiß ebenſowenig verſchwinden, wie Lohnwerk und Hausfleiß verſchwunden ſind. Was es der Geſellſchaft in einer Zeit allgemeiner Feudaliſierung gewon- nen hat, eine widerſtandsfähige Klaſſe vom Boden unabhäng- iger Leute, deren Exiſtenz auf perſönlicher Tüchtigkeit und einem kleinen beweglichen Beſitztum beruhte, eine Heimſtätte bürgerlicher Zucht und Ehrbarkeit, das wird und muß ihr er- halten bleiben, wenn auch wahrſcheinlich die künftigen Träger dieſer Tugenden ihr Daſein auf anderer Baſis friſten werden. Es iſt in letzter Zeit mit ſeltſamer Dringlichkeit der Ruf nach Beſeitigung der älteren induſtriellen Betriebs- ſyſteme erhoben worden 1). Das Handwerk, die Hausin- duſtrie, überhaupt alle Kleinbetriebsformen, ſagt man, lähmten die nationale Produktivkraft; ſie ſeien „rückſtändige, über- wundene, rohe, um nicht zu ſagen ſozial hemmende Pro- duktionsmethoden“, die im eigenſten Intereſſe derjenigen, welche ſie ausüben, durch eine „vernünftige und zweck- mäßige Gliederung und Regelung der menſchlichen Thätig- keiten im Großen“ erſetzt werden müßten, wenn nicht auch ferner die thatſächliche Nationalproduktion hinter der tech- niſch möglichen weit zurückbleiben ſolle. Dieſe kurzſichtige wirtſchaftspolitiſche Studierſtuben- 1) So von H. Loſch, Nationale Produktion und nationale Be- rufsgliederung, Leipzig 1892 und bezüglich der Hausinduſtrie von W. Sombart in Braun’s Archiv f. ſoz. Geſetzg. und Statiſtik IV, S. 144 ff. und im „Handwörterbuch der Staatswiſſenſchaften“ IV, S. 435.

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Zitationshilfe: Bücher, Karl: Die Entstehung der Volkswirtschaft. Sechs Vorträge. Tübingen, 1893, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buecher_volkswirtschaft_1893/139>, abgerufen am 26.04.2024.