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Bücher, Karl: Die Entstehung der Volkswirtschaft. Sechs Vorträge. Tübingen, 1893.

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wird, um die Zuführung unverdorbenen Blutes, das aus
den unteren Schichten des Berufslebens in die höheren auf-
steigt, als eine Hauptbedingung gesunden sozialen Stoff-
wechsels erscheinen zu lassen. Gerade darin haben wir ja
immer das große Problem dieses Jahrhunderts erblickt,
daß ein allmähliches soziales Aufsteigen ermöglicht werde,
daß eine fortgesetzte Regeneration der höheren Berufsklassen
stattfinde, und in dem Kastenwesen, das eine notwendige
Konsequenz der Vererbungstheorie sein würde, haben wir
immer den Anfang, nicht das Ende der Kulturentwicklung
gesehen.

Wir wollen uns in dieser Auffassung nicht irre machen
lassen. Die Lösung des eben erwähnten Problems ist für
die modernen Kulturvölker eine Existenzfrage. Denn wenn
die Geschichte etwas eindringlich gelehrt hat, so ist es das:
Ein Volk, das aus der frischen Quelle ursprünglicher Körper-
und Geisteskraft, die in den untern Klassen strömt, sich
nicht mehr zu erneuern vermag, von dem gilt, was B. G.
Niebuhr einst mit Bezug auf England und Holland sagte:
das Mark ist ihm ausgenommen, es ist unrettbar dem
Verfall geweiht.


wird, um die Zuführung unverdorbenen Blutes, das aus
den unteren Schichten des Berufslebens in die höheren auf-
ſteigt, als eine Hauptbedingung geſunden ſozialen Stoff-
wechſels erſcheinen zu laſſen. Gerade darin haben wir ja
immer das große Problem dieſes Jahrhunderts erblickt,
daß ein allmähliches ſoziales Aufſteigen ermöglicht werde,
daß eine fortgeſetzte Regeneration der höheren Berufsklaſſen
ſtattfinde, und in dem Kaſtenweſen, das eine notwendige
Konſequenz der Vererbungstheorie ſein würde, haben wir
immer den Anfang, nicht das Ende der Kulturentwicklung
geſehen.

Wir wollen uns in dieſer Auffaſſung nicht irre machen
laſſen. Die Löſung des eben erwähnten Problems iſt für
die modernen Kulturvölker eine Exiſtenzfrage. Denn wenn
die Geſchichte etwas eindringlich gelehrt hat, ſo iſt es das:
Ein Volk, das aus der friſchen Quelle urſprünglicher Körper-
und Geiſteskraft, die in den untern Klaſſen ſtrömt, ſich
nicht mehr zu erneuern vermag, von dem gilt, was B. G.
Niebuhr einſt mit Bezug auf England und Holland ſagte:
das Mark iſt ihm ausgenommen, es iſt unrettbar dem
Verfall geweiht.


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[168/0190] wird, um die Zuführung unverdorbenen Blutes, das aus den unteren Schichten des Berufslebens in die höheren auf- ſteigt, als eine Hauptbedingung geſunden ſozialen Stoff- wechſels erſcheinen zu laſſen. Gerade darin haben wir ja immer das große Problem dieſes Jahrhunderts erblickt, daß ein allmähliches ſoziales Aufſteigen ermöglicht werde, daß eine fortgeſetzte Regeneration der höheren Berufsklaſſen ſtattfinde, und in dem Kaſtenweſen, das eine notwendige Konſequenz der Vererbungstheorie ſein würde, haben wir immer den Anfang, nicht das Ende der Kulturentwicklung geſehen. Wir wollen uns in dieſer Auffaſſung nicht irre machen laſſen. Die Löſung des eben erwähnten Problems iſt für die modernen Kulturvölker eine Exiſtenzfrage. Denn wenn die Geſchichte etwas eindringlich gelehrt hat, ſo iſt es das: Ein Volk, das aus der friſchen Quelle urſprünglicher Körper- und Geiſteskraft, die in den untern Klaſſen ſtrömt, ſich nicht mehr zu erneuern vermag, von dem gilt, was B. G. Niebuhr einſt mit Bezug auf England und Holland ſagte: das Mark iſt ihm ausgenommen, es iſt unrettbar dem Verfall geweiht.

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Zitationshilfe: Bücher, Karl: Die Entstehung der Volkswirtschaft. Sechs Vorträge. Tübingen, 1893, S. 168. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buecher_volkswirtschaft_1893/190>, abgerufen am 26.04.2024.