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Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879.

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Lacroix. Du stürzest dich durch dein Zögern ins Ver-
derben, du reißest alle deine Freunde mit dir. Benachrich-
tige die Feiglinge, daß es Zeit ist, sich um dich zu ver-
sammeln, fordere sowohl die vom Thal, als die vom Berge
auf. Schreie über die Tyrannei der Decemvirn, sprich von
Dolchen, rufe Brutus an, dann wirst du die Tribüne er-
schrecken und selbst die um dich sammeln, die man als Mit-
schuldige Hebert's bedroht. Du mußt dich deinem Zorn
überlassen. Laßt uns wenigstens nicht entwaffnet und er-
niedrigt, wie der schändliche Hebert, sterben.
Danton. Du hast ein schlechtes Gedächtniß, du nanntest
mich einen todten Heiligen. Du hattest mehr Recht, als du
selbst glaubtest. Ich war bei den Sectionen, sie waren ehr-
furchtsvoll, aber wie Leichenbitter. Ich bin eine Reliquie,
und Reliquien wirft man auf die Gasse; du hattest Recht.
Lacroix. Warum hast du es dazu kommen lassen?
Danton. Dazu? Ja wahrhaftig, es war mir zuletzt
langweilig, immer im nämlichen Rocke herumzulaufen, und
die nämlichen Falten zu ziehen! Das ist erbärmlich. So
ein armseliges Instrument zu sein, auf dem eine Saite immer
nur einen Ton angibt! -- Das ist nicht zum Aushalten.
Ich wollte mir's bequem machen. Ich hab' es erreicht; die
Revolution setzt mich in Ruhe, aber auf andere Weise, als
ich dachte. -- Uebrigens auf was sich stützen? -- Unsere
Huren könnten es noch mit den Guillotinen-Betschwestern
aufnehmen; sonst weiß ich nichts. Es läßt sich an den
Fingern herzählen: Die Jakobiner haben erklärt, daß die
Tugend an der Tagesordnung sei. Die Cordeliers nennen
mich Hebert's Henker, der Gemeinderath thut Buße. Der
Convent -- das wäre noch ein Mittel! aber es gäbe einen
Lacroix. Du ſtürzeſt dich durch dein Zögern ins Ver-
derben, du reißeſt alle deine Freunde mit dir. Benachrich-
tige die Feiglinge, daß es Zeit iſt, ſich um dich zu ver-
ſammeln, fordere ſowohl die vom Thal, als die vom Berge
auf. Schreie über die Tyrannei der Decemvirn, ſprich von
Dolchen, rufe Brutus an, dann wirſt du die Tribüne er-
ſchrecken und ſelbſt die um dich ſammeln, die man als Mit-
ſchuldige Hebert's bedroht. Du mußt dich deinem Zorn
überlaſſen. Laßt uns wenigſtens nicht entwaffnet und er-
niedrigt, wie der ſchändliche Hebert, ſterben.
Danton. Du haſt ein ſchlechtes Gedächtniß, du nannteſt
mich einen todten Heiligen. Du hatteſt mehr Recht, als du
ſelbſt glaubteſt. Ich war bei den Sectionen, ſie waren ehr-
furchtsvoll, aber wie Leichenbitter. Ich bin eine Reliquie,
und Reliquien wirft man auf die Gaſſe; du hatteſt Recht.
Lacroix. Warum haſt du es dazu kommen laſſen?
Danton. Dazu? Ja wahrhaftig, es war mir zuletzt
langweilig, immer im nämlichen Rocke herumzulaufen, und
die nämlichen Falten zu ziehen! Das iſt erbärmlich. So
ein armſeliges Inſtrument zu ſein, auf dem eine Saite immer
nur einen Ton angibt! — Das iſt nicht zum Aushalten.
Ich wollte mir's bequem machen. Ich hab' es erreicht; die
Revolution ſetzt mich in Ruhe, aber auf andere Weiſe, als
ich dachte. — Uebrigens auf was ſich ſtützen? — Unſere
Huren könnten es noch mit den Guillotinen-Betſchweſtern
aufnehmen; ſonſt weiß ich nichts. Es läßt ſich an den
Fingern herzählen: Die Jakobiner haben erklärt, daß die
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Convent — das wäre noch ein Mittel! aber es gäbe einen
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[37/0233] Lacroix. Du ſtürzeſt dich durch dein Zögern ins Ver- derben, du reißeſt alle deine Freunde mit dir. Benachrich- tige die Feiglinge, daß es Zeit iſt, ſich um dich zu ver- ſammeln, fordere ſowohl die vom Thal, als die vom Berge auf. Schreie über die Tyrannei der Decemvirn, ſprich von Dolchen, rufe Brutus an, dann wirſt du die Tribüne er- ſchrecken und ſelbſt die um dich ſammeln, die man als Mit- ſchuldige Hebert's bedroht. Du mußt dich deinem Zorn überlaſſen. Laßt uns wenigſtens nicht entwaffnet und er- niedrigt, wie der ſchändliche Hebert, ſterben. Danton. Du haſt ein ſchlechtes Gedächtniß, du nannteſt mich einen todten Heiligen. Du hatteſt mehr Recht, als du ſelbſt glaubteſt. Ich war bei den Sectionen, ſie waren ehr- furchtsvoll, aber wie Leichenbitter. Ich bin eine Reliquie, und Reliquien wirft man auf die Gaſſe; du hatteſt Recht. Lacroix. Warum haſt du es dazu kommen laſſen? Danton. Dazu? Ja wahrhaftig, es war mir zuletzt langweilig, immer im nämlichen Rocke herumzulaufen, und die nämlichen Falten zu ziehen! Das iſt erbärmlich. So ein armſeliges Inſtrument zu ſein, auf dem eine Saite immer nur einen Ton angibt! — Das iſt nicht zum Aushalten. Ich wollte mir's bequem machen. Ich hab' es erreicht; die Revolution ſetzt mich in Ruhe, aber auf andere Weiſe, als ich dachte. — Uebrigens auf was ſich ſtützen? — Unſere Huren könnten es noch mit den Guillotinen-Betſchweſtern aufnehmen; ſonſt weiß ich nichts. Es läßt ſich an den Fingern herzählen: Die Jakobiner haben erklärt, daß die Tugend an der Tagesordnung ſei. Die Cordeliers nennen mich Hebert's Henker, der Gemeinderath thut Buße. Der Convent — das wäre noch ein Mittel! aber es gäbe einen

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Zitationshilfe: Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/233>, abgerufen am 26.04.2024.