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Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879.

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so nahe liegende Verlockung erspart, aus Kleinigkeiten das
Größte herauszudeuteln, wie denn z. B. ein Biograph
Grabbes aus dem Umstand, daß der achtjährige Christian
Dietrich beim Spiele seiner Kameraden einmal nicht mit-
thun wollte, "die originell einsame Denkweise" des Dichters
herausconstruirt hat. Von Büchner nun wird uns nur
Folgendes mitgetheilt: daß er ein schöner schlanker Knabe
gewesen, dem unter einer auffallend mächtig entwickelten
Stirne prächtige Augen blitzten -- in seinen Bewegungen
wie in seinem Wesen in jähem Wechsel bald sonderbar still,
bald sonderbar ungestüm. Sein Herz habe sich früh als
das edelste geoffenbart, insbesondere durch ein Mitleid von
so leidenschaftlicher Kraft, daß es sich stets zu persönlichem
Leid gesteigert. Hervorgehoben wird ferner, wie stark im
Kinde der Haß gegen jede Ungerechtigkeit gewesen, wie ihn
jede gütige Zurechtweisung gerührt, ja bis zur Zerknirschung
weich gestimmt, wogegen Strenge wirkungslos an ihm ab-
geprallt sei. Schon diese wenigen Züge beweisen, daß auch
hier das Kind "des Mannes Vater" gewesen -- oder des
Jünglings, wie man in diesem Falle leider nur sagen kann.
Denn leidenschaftliches Mitleid, Haß gegen Ungerechtigkeit
und jäher Wechsel der Gemüthsstimmungen sind auch in der
Folge Grundzüge dieses Charakters geblieben. Eine frühe
Lern- und Lehrbegier wird gleichfalls überliefert; wichtig ist
die Mittheilung, daß die Mutter seine erste Lehrerin ge-
wesen, wie er sich dann überhaupt ihr fast ausschließlich an-
geschlossen. Auch an der Großmutter, jener stolzen höfischen
Schönheit, welche sich bis in ihr hohes Alter merkwürdige
Frische und Anmuth bewahrt, hing er mit großer Liebe, und
von ihr wird ein charakteristisches Wort über den Knaben

ſo nahe liegende Verlockung erſpart, aus Kleinigkeiten das
Größte herauszudeuteln, wie denn z. B. ein Biograph
Grabbes aus dem Umſtand, daß der achtjährige Chriſtian
Dietrich beim Spiele ſeiner Kameraden einmal nicht mit-
thun wollte, "die originell einſame Denkweiſe" des Dichters
herausconſtruirt hat. Von Büchner nun wird uns nur
Folgendes mitgetheilt: daß er ein ſchöner ſchlanker Knabe
geweſen, dem unter einer auffallend mächtig entwickelten
Stirne prächtige Augen blitzten — in ſeinen Bewegungen
wie in ſeinem Weſen in jähem Wechſel bald ſonderbar ſtill,
bald ſonderbar ungeſtüm. Sein Herz habe ſich früh als
das edelſte geoffenbart, insbeſondere durch ein Mitleid von
ſo leidenſchaftlicher Kraft, daß es ſich ſtets zu perſönlichem
Leid geſteigert. Hervorgehoben wird ferner, wie ſtark im
Kinde der Haß gegen jede Ungerechtigkeit geweſen, wie ihn
jede gütige Zurechtweiſung gerührt, ja bis zur Zerknirſchung
weich geſtimmt, wogegen Strenge wirkungslos an ihm ab-
geprallt ſei. Schon dieſe wenigen Züge beweiſen, daß auch
hier das Kind "des Mannes Vater" geweſen — oder des
Jünglings, wie man in dieſem Falle leider nur ſagen kann.
Denn leidenſchaftliches Mitleid, Haß gegen Ungerechtigkeit
und jäher Wechſel der Gemüthsſtimmungen ſind auch in der
Folge Grundzüge dieſes Charakters geblieben. Eine frühe
Lern- und Lehrbegier wird gleichfalls überliefert; wichtig iſt
die Mittheilung, daß die Mutter ſeine erſte Lehrerin ge-
weſen, wie er ſich dann überhaupt ihr faſt ausſchließlich an-
geſchloſſen. Auch an der Großmutter, jener ſtolzen höfiſchen
Schönheit, welche ſich bis in ihr hohes Alter merkwürdige
Friſche und Anmuth bewahrt, hing er mit großer Liebe, und
von ihr wird ein charakteriſtiſches Wort über den Knaben

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[IX/0025] ſo nahe liegende Verlockung erſpart, aus Kleinigkeiten das Größte herauszudeuteln, wie denn z. B. ein Biograph Grabbes aus dem Umſtand, daß der achtjährige Chriſtian Dietrich beim Spiele ſeiner Kameraden einmal nicht mit- thun wollte, "die originell einſame Denkweiſe" des Dichters herausconſtruirt hat. Von Büchner nun wird uns nur Folgendes mitgetheilt: daß er ein ſchöner ſchlanker Knabe geweſen, dem unter einer auffallend mächtig entwickelten Stirne prächtige Augen blitzten — in ſeinen Bewegungen wie in ſeinem Weſen in jähem Wechſel bald ſonderbar ſtill, bald ſonderbar ungeſtüm. Sein Herz habe ſich früh als das edelſte geoffenbart, insbeſondere durch ein Mitleid von ſo leidenſchaftlicher Kraft, daß es ſich ſtets zu perſönlichem Leid geſteigert. Hervorgehoben wird ferner, wie ſtark im Kinde der Haß gegen jede Ungerechtigkeit geweſen, wie ihn jede gütige Zurechtweiſung gerührt, ja bis zur Zerknirſchung weich geſtimmt, wogegen Strenge wirkungslos an ihm ab- geprallt ſei. Schon dieſe wenigen Züge beweiſen, daß auch hier das Kind "des Mannes Vater" geweſen — oder des Jünglings, wie man in dieſem Falle leider nur ſagen kann. Denn leidenſchaftliches Mitleid, Haß gegen Ungerechtigkeit und jäher Wechſel der Gemüthsſtimmungen ſind auch in der Folge Grundzüge dieſes Charakters geblieben. Eine frühe Lern- und Lehrbegier wird gleichfalls überliefert; wichtig iſt die Mittheilung, daß die Mutter ſeine erſte Lehrerin ge- weſen, wie er ſich dann überhaupt ihr faſt ausſchließlich an- geſchloſſen. Auch an der Großmutter, jener ſtolzen höfiſchen Schönheit, welche ſich bis in ihr hohes Alter merkwürdige Friſche und Anmuth bewahrt, hing er mit großer Liebe, und von ihr wird ein charakteriſtiſches Wort über den Knaben

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Zitationshilfe: Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. IX. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/25>, abgerufen am 26.04.2024.