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Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879.

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war der Sturz der Gironde, die zweite der Sturz des
Moderantismus. Die Revolution verschlang wie Saturn
ihre eigenen Söhne. Welch' ein Unterschied aber schon in den
verschiedenen Classen dieser Rückwirkungen! Die Girondisten
waren Männer, welche nicht durch Absichten und Systeme
in die Revolution hineingerissen wurden, sondern durch einige
Sympathien, durch einige Principien und durch einen erhabenen
Enthusiasmus, welcher alle Gemüther in jenen sturmvollen
Zeiten ergriffen und sich endemisch, wie ein Fieber, fortge-
pflanzt hatte. Die Girondisten starben mit ihren blumen-
reichen Reden, mit dem noblen Ernste und dieser vornehmen
Geringschätzung, welche die Doctrine in der Theorie und das
juste milieu oft in der Praxis zu begleiten pflegt -- sie
starben, weil sie die Revolution ohne die Massen wollten.
Die Dantonisten hatten schon Blut an den Händen, das
Blut des Septembers, das nicht vergossen wurde, um zu
strafen, sondern um zu schrecken. Die Aristokraten in der
Stadt, die Könige vor den Thoren hatten sie in eine
chirurgische Verzückung versetzt, die mit lächelnder Miene ein
faules Glied amputirt. Die Dantonisten hatten der Re-
volution ein Opfer gebracht, ihr Gefühl, ihre Humanität,
ihre der Ruhe geweihten Nächte, sie hatten so viel gethan,
daß sie nicht glaubten, die Revolution verlange sie selbst noch
als Opfer. Robespierre gab zwei Anklagen, die eine auf
übertriebene Mäßigung, die andere auf Unsittlichkeit. Waren
die Girondisten die Römer der Revolution gewesen, so waren
die Dantonisten ihre Griechen, man hatte die Charaktere
guillotinirt, jetzt wollte man die Genialität guillotiniren.
Danton war Alcibiades, Camille Desmoulins lebte nur in
Athen. Alle seine Anschauungen gingen vom Ilyssus aus.

war der Sturz der Gironde, die zweite der Sturz des
Moderantismus. Die Revolution verſchlang wie Saturn
ihre eigenen Söhne. Welch' ein Unterſchied aber ſchon in den
verſchiedenen Claſſen dieſer Rückwirkungen! Die Girondiſten
waren Männer, welche nicht durch Abſichten und Syſteme
in die Revolution hineingeriſſen wurden, ſondern durch einige
Sympathien, durch einige Principien und durch einen erhabenen
Enthuſiasmus, welcher alle Gemüther in jenen ſturmvollen
Zeiten ergriffen und ſich endemiſch, wie ein Fieber, fortge-
pflanzt hatte. Die Girondiſten ſtarben mit ihren blumen-
reichen Reden, mit dem noblen Ernſte und dieſer vornehmen
Geringſchätzung, welche die Doctrine in der Theorie und das
juste milieu oft in der Praxis zu begleiten pflegt — ſie
ſtarben, weil ſie die Revolution ohne die Maſſen wollten.
Die Dantoniſten hatten ſchon Blut an den Händen, das
Blut des Septembers, das nicht vergoſſen wurde, um zu
ſtrafen, ſondern um zu ſchrecken. Die Ariſtokraten in der
Stadt, die Könige vor den Thoren hatten ſie in eine
chirurgiſche Verzückung verſetzt, die mit lächelnder Miene ein
faules Glied amputirt. Die Dantoniſten hatten der Re-
volution ein Opfer gebracht, ihr Gefühl, ihre Humanität,
ihre der Ruhe geweihten Nächte, ſie hatten ſo viel gethan,
daß ſie nicht glaubten, die Revolution verlange ſie ſelbſt noch
als Opfer. Robespierre gab zwei Anklagen, die eine auf
übertriebene Mäßigung, die andere auf Unſittlichkeit. Waren
die Girondiſten die Römer der Revolution geweſen, ſo waren
die Dantoniſten ihre Griechen, man hatte die Charaktere
guillotinirt, jetzt wollte man die Genialität guillotiniren.
Danton war Alcibiades, Camille Desmoulins lebte nur in
Athen. Alle ſeine Anſchauungen gingen vom Ilyſſus aus.

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[447/0643] war der Sturz der Gironde, die zweite der Sturz des Moderantismus. Die Revolution verſchlang wie Saturn ihre eigenen Söhne. Welch' ein Unterſchied aber ſchon in den verſchiedenen Claſſen dieſer Rückwirkungen! Die Girondiſten waren Männer, welche nicht durch Abſichten und Syſteme in die Revolution hineingeriſſen wurden, ſondern durch einige Sympathien, durch einige Principien und durch einen erhabenen Enthuſiasmus, welcher alle Gemüther in jenen ſturmvollen Zeiten ergriffen und ſich endemiſch, wie ein Fieber, fortge- pflanzt hatte. Die Girondiſten ſtarben mit ihren blumen- reichen Reden, mit dem noblen Ernſte und dieſer vornehmen Geringſchätzung, welche die Doctrine in der Theorie und das juste milieu oft in der Praxis zu begleiten pflegt — ſie ſtarben, weil ſie die Revolution ohne die Maſſen wollten. Die Dantoniſten hatten ſchon Blut an den Händen, das Blut des Septembers, das nicht vergoſſen wurde, um zu ſtrafen, ſondern um zu ſchrecken. Die Ariſtokraten in der Stadt, die Könige vor den Thoren hatten ſie in eine chirurgiſche Verzückung verſetzt, die mit lächelnder Miene ein faules Glied amputirt. Die Dantoniſten hatten der Re- volution ein Opfer gebracht, ihr Gefühl, ihre Humanität, ihre der Ruhe geweihten Nächte, ſie hatten ſo viel gethan, daß ſie nicht glaubten, die Revolution verlange ſie ſelbſt noch als Opfer. Robespierre gab zwei Anklagen, die eine auf übertriebene Mäßigung, die andere auf Unſittlichkeit. Waren die Girondiſten die Römer der Revolution geweſen, ſo waren die Dantoniſten ihre Griechen, man hatte die Charaktere guillotinirt, jetzt wollte man die Genialität guillotiniren. Danton war Alcibiades, Camille Desmoulins lebte nur in Athen. Alle ſeine Anſchauungen gingen vom Ilyſſus aus.

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Zitationshilfe: Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. 447. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/643>, abgerufen am 26.04.2024.