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Carus, Carl Gustav: Lehrbuch der Gynäkologie. Bd. 1. Leipzig, 1820.

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§. 273.

Wird daher der Magnetismus mit reinem Willen zu
helfen, abgesehen von aller Sucht nach wunderbaren Erschei-
nungen, Vorhersagungen u. dgl. mit hinreichender ärztlicher
Umsicht, am rechten Orte, mit schicklicher Leitung der äußern
Verhältnisse, und sattsamer Stätigkeit (welche freylich oft
Aufopferungen fordert, deren der praktische Arzt nicht leicht
fähig ist) ausgeübt und angewendet, so muß er gewiß als
ein großes Mittel geachtet werden, und wir fürchten auch
nicht *), daß er, wenn man so strenge Anforderungen macht,
alsbald aus der Reihe häufig gebrauchter Mittel verschwin-
den werde. -- Was nun aber insbesondre die Anwendung **)
des Magnetismus in den genannten Entwicklungskrankheiten
betrifft, so fordert sie gewiß die Berücksichtigung der im vo-
rigen Paragraph genannten, der Kur nachtheiligen Einflüße
in vorzüglich hohem Grade und überhaupt besondere Vorsicht;
viele dieser Zustände beruhen nämlich an sich schon auf ab-
norm gesteigerter Nervenwirkung, werden daher durch eine
stark eingreifende magnetische Behandlung beträchtlich ver-
schlimmert, und können nur von einer einfachen, beruhigen-
den, den vom natürlichen nicht sehr verschiedenen Schlaf be-
wirkenden Einwirkung Hülfe erhalten ***). Besonders beruhi-
gend scheint die vorsichtige Anwendung des Magnetismus
aber immer bey krampfhaften Zufällen dieser Perioden gewe-
sen zu seyn, wovon die genannten Schriften über den thie-

*) H. Osiander über die Entwicklungskrankheiten. 2. Thl. S. 222
und 223.
**) Die verschiedenen Methoden der Anwendung sind namentlich in
dem oben angeführten Werke von Kluge sehr gut neben einander
gestellt.
***) So erzählt Wienholt (drei Abhandlungen über den thierischen
Magnetismus, herausg. v. D. J. Chr. F. Scherf. Brem. 1807.)
die Geschichte eines eilfjährigen an Melaucholie und einzelnen, ge-
waltsame Geistesvetwirrung drohenden Anfällen leidenden Kindes,
welches durch den unter Wienholts Leitung vom Vater oder von der
Mutter angewendeten Magnetismus, welcher hier blos täg-
lich einige Stunden Schlaf bewirkte, gänzlich geheilt
wurde.
§. 273.

Wird daher der Magnetismus mit reinem Willen zu
helfen, abgeſehen von aller Sucht nach wunderbaren Erſchei-
nungen, Vorherſagungen u. dgl. mit hinreichender aͤrztlicher
Umſicht, am rechten Orte, mit ſchicklicher Leitung der aͤußern
Verhaͤltniſſe, und ſattſamer Staͤtigkeit (welche freylich oft
Aufopferungen fordert, deren der praktiſche Arzt nicht leicht
faͤhig iſt) ausgeuͤbt und angewendet, ſo muß er gewiß als
ein großes Mittel geachtet werden, und wir fuͤrchten auch
nicht *), daß er, wenn man ſo ſtrenge Anforderungen macht,
alsbald aus der Reihe haͤufig gebrauchter Mittel verſchwin-
den werde. — Was nun aber insbeſondre die Anwendung **)
des Magnetismus in den genannten Entwicklungskrankheiten
betrifft, ſo fordert ſie gewiß die Beruͤckſichtigung der im vo-
rigen Paragraph genannten, der Kur nachtheiligen Einfluͤße
in vorzuͤglich hohem Grade und uͤberhaupt beſondere Vorſicht;
viele dieſer Zuſtaͤnde beruhen naͤmlich an ſich ſchon auf ab-
norm geſteigerter Nervenwirkung, werden daher durch eine
ſtark eingreifende magnetiſche Behandlung betraͤchtlich ver-
ſchlimmert, und koͤnnen nur von einer einfachen, beruhigen-
den, den vom natuͤrlichen nicht ſehr verſchiedenen Schlaf be-
wirkenden Einwirkung Huͤlfe erhalten ***). Beſonders beruhi-
gend ſcheint die vorſichtige Anwendung des Magnetismus
aber immer bey krampfhaften Zufaͤllen dieſer Perioden gewe-
ſen zu ſeyn, wovon die genannten Schriften uͤber den thie-

*) H. Oſiander uͤber die Entwicklungskrankheiten. 2. Thl. S. 222
und 223.
**) Die verſchiedenen Methoden der Anwendung ſind namentlich in
dem oben angefuͤhrten Werke von Kluge ſehr gut neben einander
geſtellt.
***) So erzaͤhlt Wienholt (drei Abhandlungen uͤber den thieriſchen
Magnetismus, herausg. v. D. J. Chr. F. Scherf. Brem. 1807.)
die Geſchichte eines eilfjaͤhrigen an Melaucholie und einzelnen, ge-
waltſame Geiſtesvetwirrung drohenden Anfaͤllen leidenden Kindes,
welches durch den unter Wienholts Leitung vom Vater oder von der
Mutter angewendeten Magnetismus, welcher hier blos taͤg-
lich einige Stunden Schlaf bewirkte, gaͤnzlich geheilt
wurde.
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[213/0233] §. 273. Wird daher der Magnetismus mit reinem Willen zu helfen, abgeſehen von aller Sucht nach wunderbaren Erſchei- nungen, Vorherſagungen u. dgl. mit hinreichender aͤrztlicher Umſicht, am rechten Orte, mit ſchicklicher Leitung der aͤußern Verhaͤltniſſe, und ſattſamer Staͤtigkeit (welche freylich oft Aufopferungen fordert, deren der praktiſche Arzt nicht leicht faͤhig iſt) ausgeuͤbt und angewendet, ſo muß er gewiß als ein großes Mittel geachtet werden, und wir fuͤrchten auch nicht *), daß er, wenn man ſo ſtrenge Anforderungen macht, alsbald aus der Reihe haͤufig gebrauchter Mittel verſchwin- den werde. — Was nun aber insbeſondre die Anwendung **) des Magnetismus in den genannten Entwicklungskrankheiten betrifft, ſo fordert ſie gewiß die Beruͤckſichtigung der im vo- rigen Paragraph genannten, der Kur nachtheiligen Einfluͤße in vorzuͤglich hohem Grade und uͤberhaupt beſondere Vorſicht; viele dieſer Zuſtaͤnde beruhen naͤmlich an ſich ſchon auf ab- norm geſteigerter Nervenwirkung, werden daher durch eine ſtark eingreifende magnetiſche Behandlung betraͤchtlich ver- ſchlimmert, und koͤnnen nur von einer einfachen, beruhigen- den, den vom natuͤrlichen nicht ſehr verſchiedenen Schlaf be- wirkenden Einwirkung Huͤlfe erhalten ***). Beſonders beruhi- gend ſcheint die vorſichtige Anwendung des Magnetismus aber immer bey krampfhaften Zufaͤllen dieſer Perioden gewe- ſen zu ſeyn, wovon die genannten Schriften uͤber den thie- *) H. Oſiander uͤber die Entwicklungskrankheiten. 2. Thl. S. 222 und 223. **) Die verſchiedenen Methoden der Anwendung ſind namentlich in dem oben angefuͤhrten Werke von Kluge ſehr gut neben einander geſtellt. ***) So erzaͤhlt Wienholt (drei Abhandlungen uͤber den thieriſchen Magnetismus, herausg. v. D. J. Chr. F. Scherf. Brem. 1807.) die Geſchichte eines eilfjaͤhrigen an Melaucholie und einzelnen, ge- waltſame Geiſtesvetwirrung drohenden Anfaͤllen leidenden Kindes, welches durch den unter Wienholts Leitung vom Vater oder von der Mutter angewendeten Magnetismus, welcher hier blos taͤg- lich einige Stunden Schlaf bewirkte, gaͤnzlich geheilt wurde.

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Zitationshilfe: Carus, Carl Gustav: Lehrbuch der Gynäkologie. Bd. 1. Leipzig, 1820, S. 213. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_gynaekologie01_1820/233>, abgerufen am 26.04.2024.