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Carus, Carl Gustav: Lehrbuch der Gynäkologie. Bd. 1. Leipzig, 1820.

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senkriechen in demselben; im Unterleibe als schmerzhafte Span-
nung in den Präcordien, Gefühl von Zusammenschnürung
an einzelnen Stellen des Darmkanals, welches oft den Ort
wechselt, und daher von den Kranken mit der Empfindung
einer sich fortbewegenden Kugel verglichen wird (Globus hy-
stericus
), vorzüglich aber von Schmerz im Uterus selbst,
vielleicht oft durch Krampf der Muskelfibern in den runden
Mutterbändern veranlaßt, welches von den Kranken als
schmerzhaftes Aufgehobenwerden des Uterus beschrieben wird.

§. 301.

Ueberhaupt aber müssen hierher auch noch die Verstim-
mungen des höhern Nervenlebens, sowohl im Schlafe, als
im wachen Zustande gerechnet werden. Der Schlaf nämlich
ist gewöhnlich höchst unruhig bis zur wahren Agrypnie, un-
ruhige, äußerst lebhafte Träume, Schlafrednerey, und selbst
Nachtwandeln kommen nicht selten vor. Im wachen Zu-
stande zeigt sich eine außerordentliche Erregbarkeit des Ge-
müths, die verschiedensten Stimmungen wechseln sehr rasch,
die unbedeutendsten Veranlassungen erregen Aergerlichkeit,
Trübsinn, Weinen; aus Melancholie, welche jedoch im Gan-
zen vorherrschend ist, springt oft eine Kranke dieser Art zur
Lustigkeit über, besonders aber werden hysterische Individuen
durch eine ungemeine Redseligkeit charakterisirt, mit welcher
sie oft, zu nicht geringer Qual des Arztes alle, auch die
unbedeutendsten Krankheitssymptome, ja oft diese gerade
am meisten, erörtern, hierbey auch es sich angelegen seyn
lassen, alles recht gewaltig, gefahrdrohend und unerträglich
zu schildern, ja oft zu Erdichtungen ihre Zuflucht nehmen,
und sich beleidigt fühlen, wenn der Arzt nicht mit derselben
Wichtigkeit wie sie, die Krankheit betrachtet.

§. 302.

2) Die Symptome gestörter Muskularthätig-
keit
betreffend, so sind hierher die vielfachen Arten von
Krämpfen zu rechnen, woran hysterische Kranke zu leiden
pflegen, Zufälle, deren eigentliche Natur in vieler Hinsicht
noch eine wichtige Aufgabe für Physiologen und Patho-

ſenkriechen in demſelben; im Unterleibe als ſchmerzhafte Span-
nung in den Praͤcordien, Gefuͤhl von Zuſammenſchnuͤrung
an einzelnen Stellen des Darmkanals, welches oft den Ort
wechſelt, und daher von den Kranken mit der Empfindung
einer ſich fortbewegenden Kugel verglichen wird (Globus hy-
stericus
), vorzuͤglich aber von Schmerz im Uterus ſelbſt,
vielleicht oft durch Krampf der Muskelfibern in den runden
Mutterbaͤndern veranlaßt, welches von den Kranken als
ſchmerzhaftes Aufgehobenwerden des Uterus beſchrieben wird.

§. 301.

Ueberhaupt aber muͤſſen hierher auch noch die Verſtim-
mungen des hoͤhern Nervenlebens, ſowohl im Schlafe, als
im wachen Zuſtande gerechnet werden. Der Schlaf naͤmlich
iſt gewoͤhnlich hoͤchſt unruhig bis zur wahren Agrypnie, un-
ruhige, aͤußerſt lebhafte Traͤume, Schlafrednerey, und ſelbſt
Nachtwandeln kommen nicht ſelten vor. Im wachen Zu-
ſtande zeigt ſich eine außerordentliche Erregbarkeit des Ge-
muͤths, die verſchiedenſten Stimmungen wechſeln ſehr raſch,
die unbedeutendſten Veranlaſſungen erregen Aergerlichkeit,
Truͤbſinn, Weinen; aus Melancholie, welche jedoch im Gan-
zen vorherrſchend iſt, ſpringt oft eine Kranke dieſer Art zur
Luſtigkeit uͤber, beſonders aber werden hyſteriſche Individuen
durch eine ungemeine Redſeligkeit charakteriſirt, mit welcher
ſie oft, zu nicht geringer Qual des Arztes alle, auch die
unbedeutendſten Krankheitsſymptome, ja oft dieſe gerade
am meiſten, eroͤrtern, hierbey auch es ſich angelegen ſeyn
laſſen, alles recht gewaltig, gefahrdrohend und unertraͤglich
zu ſchildern, ja oft zu Erdichtungen ihre Zuflucht nehmen,
und ſich beleidigt fuͤhlen, wenn der Arzt nicht mit derſelben
Wichtigkeit wie ſie, die Krankheit betrachtet.

§. 302.

2) Die Symptome geſtoͤrter Muskularthaͤtig-
keit
betreffend, ſo ſind hierher die vielfachen Arten von
Kraͤmpfen zu rechnen, woran hyſteriſche Kranke zu leiden
pflegen, Zufaͤlle, deren eigentliche Natur in vieler Hinſicht
noch eine wichtige Aufgabe fuͤr Phyſiologen und Patho-

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[235/0255] ſenkriechen in demſelben; im Unterleibe als ſchmerzhafte Span- nung in den Praͤcordien, Gefuͤhl von Zuſammenſchnuͤrung an einzelnen Stellen des Darmkanals, welches oft den Ort wechſelt, und daher von den Kranken mit der Empfindung einer ſich fortbewegenden Kugel verglichen wird (Globus hy- stericus), vorzuͤglich aber von Schmerz im Uterus ſelbſt, vielleicht oft durch Krampf der Muskelfibern in den runden Mutterbaͤndern veranlaßt, welches von den Kranken als ſchmerzhaftes Aufgehobenwerden des Uterus beſchrieben wird. §. 301. Ueberhaupt aber muͤſſen hierher auch noch die Verſtim- mungen des hoͤhern Nervenlebens, ſowohl im Schlafe, als im wachen Zuſtande gerechnet werden. Der Schlaf naͤmlich iſt gewoͤhnlich hoͤchſt unruhig bis zur wahren Agrypnie, un- ruhige, aͤußerſt lebhafte Traͤume, Schlafrednerey, und ſelbſt Nachtwandeln kommen nicht ſelten vor. Im wachen Zu- ſtande zeigt ſich eine außerordentliche Erregbarkeit des Ge- muͤths, die verſchiedenſten Stimmungen wechſeln ſehr raſch, die unbedeutendſten Veranlaſſungen erregen Aergerlichkeit, Truͤbſinn, Weinen; aus Melancholie, welche jedoch im Gan- zen vorherrſchend iſt, ſpringt oft eine Kranke dieſer Art zur Luſtigkeit uͤber, beſonders aber werden hyſteriſche Individuen durch eine ungemeine Redſeligkeit charakteriſirt, mit welcher ſie oft, zu nicht geringer Qual des Arztes alle, auch die unbedeutendſten Krankheitsſymptome, ja oft dieſe gerade am meiſten, eroͤrtern, hierbey auch es ſich angelegen ſeyn laſſen, alles recht gewaltig, gefahrdrohend und unertraͤglich zu ſchildern, ja oft zu Erdichtungen ihre Zuflucht nehmen, und ſich beleidigt fuͤhlen, wenn der Arzt nicht mit derſelben Wichtigkeit wie ſie, die Krankheit betrachtet. §. 302. 2) Die Symptome geſtoͤrter Muskularthaͤtig- keit betreffend, ſo ſind hierher die vielfachen Arten von Kraͤmpfen zu rechnen, woran hyſteriſche Kranke zu leiden pflegen, Zufaͤlle, deren eigentliche Natur in vieler Hinſicht noch eine wichtige Aufgabe fuͤr Phyſiologen und Patho-

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Zitationshilfe: Carus, Carl Gustav: Lehrbuch der Gynäkologie. Bd. 1. Leipzig, 1820, S. 235. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_gynaekologie01_1820/255>, abgerufen am 26.04.2024.