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Carus, Carl Gustav: Lehrbuch der Gynäkologie. Bd. 1. Leipzig, 1820.

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bey Ausmittelung von Schwangerschaften u. dergl. mit nicht
geringen Schwierigkeiten verbunden zu seyn pflegt. -- Mit
einem Worte: der Mittelweg zwischen einer zu regen Theil-
nahme und einer abstoßenden Kälte wird jeder ärztlichen Aus-
mittelung bey weiblichen Individuen den sichersten Erfolg
gewähren.

§. 88.

Was zweitens die Anordnung des Heilplanes betrifft,
so wird auch hier der Arzt theils durch ein gewisses Einge-
hen in die Individualität seiner Kranken, durch Benutzung
ihrer vorherrschenden Neigungen u. s. w. manches zur Ver-
vollständigung seiner Kur beytragen, und seine Kranke dadurch
zu genauerer Befolgung der ihr vorgeschriebenen Regeln ver-
mögen können; theils aber ist nicht zu übersehen, wie der
Arzt selbst durch seine Persönlichkeit, durch seinen festen Wil-
len oft auf das entschiedenste zur Beseitigung regelwidriger
Zustände beytragen könne. Die Einwirkung nämlich einer
kräftigen, geistigen Individualität auf eine schwächere schon
an und für sich, ist (mögen wir dieß nun magnetische oder
andere Kraft nennen) unläugbar und durch vielfache Beob-
achtungen erwiesen *); und daß von derselben nun gerade bey
weiblichen Kranken, wo aufgeregte oder verstimmte Sensibi-
lität oft eine so große Rolle spielt, in vielen Fällen kräftige
Hülfe erwartet werden dürfe, liegt am Tage. Wie oft hö-
ren wir daher nicht die Klagen reitzbarer weiblicher Kranken
fast augenblicklich sich mindern, sobald der geehrte vertrau-
ensvoll empfangene Arzt sich ihnen nähert? -- Eben so
bestimmt, als das Gefühl des Krankseyns durch die Annä-
herung einer widerwärtigen Person gesteigert wird.


*) Man gedenke nur des schönen Aufsatzes vom Archiater Brandis
im Hufelandischen Archiv f. d. pr. Heilk. 1815. Bd. II. St. 2.

bey Ausmittelung von Schwangerſchaften u. dergl. mit nicht
geringen Schwierigkeiten verbunden zu ſeyn pflegt. — Mit
einem Worte: der Mittelweg zwiſchen einer zu regen Theil-
nahme und einer abſtoßenden Kaͤlte wird jeder aͤrztlichen Aus-
mittelung bey weiblichen Individuen den ſicherſten Erfolg
gewaͤhren.

§. 88.

Was zweitens die Anordnung des Heilplanes betrifft,
ſo wird auch hier der Arzt theils durch ein gewiſſes Einge-
hen in die Individualitaͤt ſeiner Kranken, durch Benutzung
ihrer vorherrſchenden Neigungen u. ſ. w. manches zur Ver-
vollſtaͤndigung ſeiner Kur beytragen, und ſeine Kranke dadurch
zu genauerer Befolgung der ihr vorgeſchriebenen Regeln ver-
moͤgen koͤnnen; theils aber iſt nicht zu uͤberſehen, wie der
Arzt ſelbſt durch ſeine Perſoͤnlichkeit, durch ſeinen feſten Wil-
len oft auf das entſchiedenſte zur Beſeitigung regelwidriger
Zuſtaͤnde beytragen koͤnne. Die Einwirkung naͤmlich einer
kraͤftigen, geiſtigen Individualitaͤt auf eine ſchwaͤchere ſchon
an und fuͤr ſich, iſt (moͤgen wir dieß nun magnetiſche oder
andere Kraft nennen) unlaͤugbar und durch vielfache Beob-
achtungen erwieſen *); und daß von derſelben nun gerade bey
weiblichen Kranken, wo aufgeregte oder verſtimmte Senſibi-
litaͤt oft eine ſo große Rolle ſpielt, in vielen Faͤllen kraͤftige
Huͤlfe erwartet werden duͤrfe, liegt am Tage. Wie oft hoͤ-
ren wir daher nicht die Klagen reitzbarer weiblicher Kranken
faſt augenblicklich ſich mindern, ſobald der geehrte vertrau-
ensvoll empfangene Arzt ſich ihnen naͤhert? — Eben ſo
beſtimmt, als das Gefuͤhl des Krankſeyns durch die Annaͤ-
herung einer widerwaͤrtigen Perſon geſteigert wird.


*) Man gedenke nur des ſchoͤnen Aufſatzes vom Archiater Brandis
im Hufelandiſchen Archiv f. d. pr. Heilk. 1815. Bd. II. St. 2.
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[64/0084] bey Ausmittelung von Schwangerſchaften u. dergl. mit nicht geringen Schwierigkeiten verbunden zu ſeyn pflegt. — Mit einem Worte: der Mittelweg zwiſchen einer zu regen Theil- nahme und einer abſtoßenden Kaͤlte wird jeder aͤrztlichen Aus- mittelung bey weiblichen Individuen den ſicherſten Erfolg gewaͤhren. §. 88. Was zweitens die Anordnung des Heilplanes betrifft, ſo wird auch hier der Arzt theils durch ein gewiſſes Einge- hen in die Individualitaͤt ſeiner Kranken, durch Benutzung ihrer vorherrſchenden Neigungen u. ſ. w. manches zur Ver- vollſtaͤndigung ſeiner Kur beytragen, und ſeine Kranke dadurch zu genauerer Befolgung der ihr vorgeſchriebenen Regeln ver- moͤgen koͤnnen; theils aber iſt nicht zu uͤberſehen, wie der Arzt ſelbſt durch ſeine Perſoͤnlichkeit, durch ſeinen feſten Wil- len oft auf das entſchiedenſte zur Beſeitigung regelwidriger Zuſtaͤnde beytragen koͤnne. Die Einwirkung naͤmlich einer kraͤftigen, geiſtigen Individualitaͤt auf eine ſchwaͤchere ſchon an und fuͤr ſich, iſt (moͤgen wir dieß nun magnetiſche oder andere Kraft nennen) unlaͤugbar und durch vielfache Beob- achtungen erwieſen *); und daß von derſelben nun gerade bey weiblichen Kranken, wo aufgeregte oder verſtimmte Senſibi- litaͤt oft eine ſo große Rolle ſpielt, in vielen Faͤllen kraͤftige Huͤlfe erwartet werden duͤrfe, liegt am Tage. Wie oft hoͤ- ren wir daher nicht die Klagen reitzbarer weiblicher Kranken faſt augenblicklich ſich mindern, ſobald der geehrte vertrau- ensvoll empfangene Arzt ſich ihnen naͤhert? — Eben ſo beſtimmt, als das Gefuͤhl des Krankſeyns durch die Annaͤ- herung einer widerwaͤrtigen Perſon geſteigert wird. *) Man gedenke nur des ſchoͤnen Aufſatzes vom Archiater Brandis im Hufelandiſchen Archiv f. d. pr. Heilk. 1815. Bd. II. St. 2.

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Zitationshilfe: Carus, Carl Gustav: Lehrbuch der Gynäkologie. Bd. 1. Leipzig, 1820, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_gynaekologie01_1820/84>, abgerufen am 26.04.2024.