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Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846.

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oft mit ihm verbinden -- hieher gehört die Manie --
das Rasen. 2. Sekundärkrankheitserscheinun¬
gen
; sie sind die partiellen, die der Entzündung ähnlichen,
und hiehin gehört der Wahnsinn (die Monomanien,
die Narrheit und die Melancholie). 3. Tertiär¬
krankheitserscheinungen
; es sind die jedesmal einer
bedeutenden Verbildung des Hirns sich anschließenden: der
Blödsinn, Idiotismus, Cretinismus.

Raserei, Wahnsinn und Blödsinn verhalten sich dem¬
nach allerdings ganz wie Fieber, Entzündung und Ver¬
bildung, und die Verwandtschaft der entsprechenden Zustände
ist unverkennbar. Das Fieber, wie die Manie, sind, wie
man zu sagen pflegt, acute Zustände, verlaufen nach ge¬
wissen Perioden und in ziemlich bestimmten Zeiten, führen
auch bald zu einer bestimmten Entscheidung, entweder in
Genesung oder Tod, oder mittels Ueberganges in chronische
Zustände; auch wird man nie eine Manie finden, welche
nicht mit Fiebersymptomen, namentlich mit heftigen Auf¬
regungen des Gefäßsystems sich verbände, so daß also hier
allemal besonders deutlich hervortritt, wie sehr immer bei
diesem Kranksein das unbewußte Leben primitiv ergriffen
ist. Merkwürdig ist es übrigens, und für die Geschichte
der sogenannten Geisteskrankheiten keinesweges früher hin¬
reichend benutzt, wie mehrere derselben, und namentlich auch
die Manie, auf dem Wege des Experiments, und zwar
eben von Anregungen des unbewußten Lebens aus, hervor¬
gerufen werden können. Mehrere Gifte, namentlich das
aus dem Blüthenstaube des Hanfs gewonnene, oder auch
Opiumrauch, werden in mittelmäßigen Geistern nicht ver¬
fehlen, die Erscheinungen der Manie in ihrer ganzen Furcht¬
barkeit hervorzurufen, und geben gerade dadurch eine be¬
sonders klare Einsicht in die Genesis derjenigen Krankheiten,
welche sich am Geiste offenbaren.

Ganz derselbe Fall ist es mit dem andern Extrem
dieser Reihe, dem Blödsinn, bei welchem ebenfalls das Be¬

oft mit ihm verbinden — hieher gehört die Manie
das Raſen. 2. Sekundärkrankheitserſcheinun¬
gen
; ſie ſind die partiellen, die der Entzündung ähnlichen,
und hiehin gehört der Wahnſinn (die Monomanien,
die Narrheit und die Melancholie). 3. Tertiär¬
krankheitserſcheinungen
; es ſind die jedesmal einer
bedeutenden Verbildung des Hirns ſich anſchließenden: der
Blödſinn, Idiotismus, Cretinismus.

Raſerei, Wahnſinn und Blödſinn verhalten ſich dem¬
nach allerdings ganz wie Fieber, Entzündung und Ver¬
bildung, und die Verwandtſchaft der entſprechenden Zuſtände
iſt unverkennbar. Das Fieber, wie die Manie, ſind, wie
man zu ſagen pflegt, acute Zuſtände, verlaufen nach ge¬
wiſſen Perioden und in ziemlich beſtimmten Zeiten, führen
auch bald zu einer beſtimmten Entſcheidung, entweder in
Geneſung oder Tod, oder mittels Ueberganges in chroniſche
Zuſtände; auch wird man nie eine Manie finden, welche
nicht mit Fieberſymptomen, namentlich mit heftigen Auf¬
regungen des Gefäßſyſtems ſich verbände, ſo daß alſo hier
allemal beſonders deutlich hervortritt, wie ſehr immer bei
dieſem Krankſein das unbewußte Leben primitiv ergriffen
iſt. Merkwürdig iſt es übrigens, und für die Geſchichte
der ſogenannten Geiſteskrankheiten keinesweges früher hin¬
reichend benutzt, wie mehrere derſelben, und namentlich auch
die Manie, auf dem Wege des Experiments, und zwar
eben von Anregungen des unbewußten Lebens aus, hervor¬
gerufen werden können. Mehrere Gifte, namentlich das
aus dem Blüthenſtaube des Hanfs gewonnene, oder auch
Opiumrauch, werden in mittelmäßigen Geiſtern nicht ver¬
fehlen, die Erſcheinungen der Manie in ihrer ganzen Furcht¬
barkeit hervorzurufen, und geben gerade dadurch eine be¬
ſonders klare Einſicht in die Geneſis derjenigen Krankheiten,
welche ſich am Geiſte offenbaren.

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[443/0459] oft mit ihm verbinden — hieher gehört die Manie — das Raſen. 2. Sekundärkrankheitserſcheinun¬ gen; ſie ſind die partiellen, die der Entzündung ähnlichen, und hiehin gehört der Wahnſinn (die Monomanien, die Narrheit und die Melancholie). 3. Tertiär¬ krankheitserſcheinungen; es ſind die jedesmal einer bedeutenden Verbildung des Hirns ſich anſchließenden: der Blödſinn, Idiotismus, Cretinismus. Raſerei, Wahnſinn und Blödſinn verhalten ſich dem¬ nach allerdings ganz wie Fieber, Entzündung und Ver¬ bildung, und die Verwandtſchaft der entſprechenden Zuſtände iſt unverkennbar. Das Fieber, wie die Manie, ſind, wie man zu ſagen pflegt, acute Zuſtände, verlaufen nach ge¬ wiſſen Perioden und in ziemlich beſtimmten Zeiten, führen auch bald zu einer beſtimmten Entſcheidung, entweder in Geneſung oder Tod, oder mittels Ueberganges in chroniſche Zuſtände; auch wird man nie eine Manie finden, welche nicht mit Fieberſymptomen, namentlich mit heftigen Auf¬ regungen des Gefäßſyſtems ſich verbände, ſo daß alſo hier allemal beſonders deutlich hervortritt, wie ſehr immer bei dieſem Krankſein das unbewußte Leben primitiv ergriffen iſt. Merkwürdig iſt es übrigens, und für die Geſchichte der ſogenannten Geiſteskrankheiten keinesweges früher hin¬ reichend benutzt, wie mehrere derſelben, und namentlich auch die Manie, auf dem Wege des Experiments, und zwar eben von Anregungen des unbewußten Lebens aus, hervor¬ gerufen werden können. Mehrere Gifte, namentlich das aus dem Blüthenſtaube des Hanfs gewonnene, oder auch Opiumrauch, werden in mittelmäßigen Geiſtern nicht ver¬ fehlen, die Erſcheinungen der Manie in ihrer ganzen Furcht¬ barkeit hervorzurufen, und geben gerade dadurch eine be¬ ſonders klare Einſicht in die Geneſis derjenigen Krankheiten, welche ſich am Geiſte offenbaren. Ganz derſelbe Fall iſt es mit dem andern Extrem dieſer Reihe, dem Blödſinn, bei welchem ebenfalls das Be¬

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Zitationshilfe: Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 443. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/459>, abgerufen am 26.04.2024.