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Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872.

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Erweiterung der Thierkenntniß.
den und zu verwerthen. Der Natur der Sache nach mußte bei Linne
vorzüglich die eine, mehr formelle Seite in den Vordergrund treten;
Buffon war nicht Herr des nothwendigen Materials. In der Mitte
des vorigen Jahrhunderts traten nun zahlreiche Arbeiter auf, welche
einerseits die bereits gewonnenen Vortheile weiteren allgemeinen Unter-
suchungen sowie Sammlungen zu Grunde legten, andererseits durch
tieferes Eingehen in Einzelnheiten die Kenntniß specieller Formen zu
vervollständigen suchten. Kann man auch selbstverständlich nicht bei
allen jenen Männern ein bewußtes Erfassen bestimmter Aufgaben er-
warten, so gewannen ihre Leistungen doch schon durch das Anlehnen
an die jetzt gegebene systematische Form in den meisten Fällen einen
gewissen Anspruch auf Berücksichtigung und Anerkennung. Es wurde
bis jetzt der Gründung des Systems und der Anregungen gedacht, welche
die Zoologie Nicht-Systematikern verdankt. Es muß nun zunächst auf
die durch immer ausgebreitetere Sammlungen unterhaltene stete Zu-
fuhr neuen Materials hingewiesen werden, um dann der Versuche zum
weiteren Ausbaue des Systems und der Fortschritte der Thieranatomie
zu gedenken.

Im siebzehnten Jahrhundert wurden naturgeschichtliche Unter-
suchungen auf größeren Reisen nur beiläufig mit ausgeführt und galten
dann fast immer nur medicinischen Zwecken. Vorzüglich durch Linne's
Anregung begann die Eigennatur der verschiedenen Länder als solche
ein wissenschaftliches Interesse auf sich zu ziehn. Während in der ersten
Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts naturhistorische Reisen nur noch
vereinzelt unternommen wurden, erhielten die wissenschaftlichen Expe-
ditionen der zweiten Hälfte meist auch eine auf die Erforschung der be-
lebten Natur der bereisten Erdgegenden ausgehende Bestimmung. Man
hatte es erlangt, die einzelnen Formen präcis beschreiben und benennen
zu können; es mußten daher nun auch diese selbst die Aufmerksamkeit
um so mehr fesseln, als man bei jedem Versuche, sie im Systeme wieder-
zufinden, ihre Uebereinstimmung oder Verschiedenheit mit schon bekann-
ten durch bestimmte Merkmale nachzuweisen hatte. Linne selbst hatte
schon eine Anzahl seiner Schüler mit dem ausdrücklichen Auftrage einer
naturhistorischen Untersuchung in verschiedene Länder geschickt, wie

V. Carus, Gesch. d. Zool. 34

Erweiterung der Thierkenntniß.
den und zu verwerthen. Der Natur der Sache nach mußte bei Linné
vorzüglich die eine, mehr formelle Seite in den Vordergrund treten;
Buffon war nicht Herr des nothwendigen Materials. In der Mitte
des vorigen Jahrhunderts traten nun zahlreiche Arbeiter auf, welche
einerſeits die bereits gewonnenen Vortheile weiteren allgemeinen Unter-
ſuchungen ſowie Sammlungen zu Grunde legten, andererſeits durch
tieferes Eingehen in Einzelnheiten die Kenntniß ſpecieller Formen zu
vervollſtändigen ſuchten. Kann man auch ſelbſtverſtändlich nicht bei
allen jenen Männern ein bewußtes Erfaſſen beſtimmter Aufgaben er-
warten, ſo gewannen ihre Leiſtungen doch ſchon durch das Anlehnen
an die jetzt gegebene ſyſtematiſche Form in den meiſten Fällen einen
gewiſſen Anſpruch auf Berückſichtigung und Anerkennung. Es wurde
bis jetzt der Gründung des Syſtems und der Anregungen gedacht, welche
die Zoologie Nicht-Syſtematikern verdankt. Es muß nun zunächſt auf
die durch immer ausgebreitetere Sammlungen unterhaltene ſtete Zu-
fuhr neuen Materials hingewieſen werden, um dann der Verſuche zum
weiteren Ausbaue des Syſtems und der Fortſchritte der Thieranatomie
zu gedenken.

Im ſiebzehnten Jahrhundert wurden naturgeſchichtliche Unter-
ſuchungen auf größeren Reiſen nur beiläufig mit ausgeführt und galten
dann faſt immer nur mediciniſchen Zwecken. Vorzüglich durch Linné's
Anregung begann die Eigennatur der verſchiedenen Länder als ſolche
ein wiſſenſchaftliches Intereſſe auf ſich zu ziehn. Während in der erſten
Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts naturhiſtoriſche Reiſen nur noch
vereinzelt unternommen wurden, erhielten die wiſſenſchaftlichen Expe-
ditionen der zweiten Hälfte meiſt auch eine auf die Erforſchung der be-
lebten Natur der bereiſten Erdgegenden ausgehende Beſtimmung. Man
hatte es erlangt, die einzelnen Formen präcis beſchreiben und benennen
zu können; es mußten daher nun auch dieſe ſelbſt die Aufmerkſamkeit
um ſo mehr feſſeln, als man bei jedem Verſuche, ſie im Syſteme wieder-
zufinden, ihre Uebereinſtimmung oder Verſchiedenheit mit ſchon bekann-
ten durch beſtimmte Merkmale nachzuweiſen hatte. Linné ſelbſt hatte
ſchon eine Anzahl ſeiner Schüler mit dem ausdrücklichen Auftrage einer
naturhiſtoriſchen Unterſuchung in verſchiedene Länder geſchickt, wie

V. Carus, Geſch. d. Zool. 34
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[529/0540] Erweiterung der Thierkenntniß. den und zu verwerthen. Der Natur der Sache nach mußte bei Linné vorzüglich die eine, mehr formelle Seite in den Vordergrund treten; Buffon war nicht Herr des nothwendigen Materials. In der Mitte des vorigen Jahrhunderts traten nun zahlreiche Arbeiter auf, welche einerſeits die bereits gewonnenen Vortheile weiteren allgemeinen Unter- ſuchungen ſowie Sammlungen zu Grunde legten, andererſeits durch tieferes Eingehen in Einzelnheiten die Kenntniß ſpecieller Formen zu vervollſtändigen ſuchten. Kann man auch ſelbſtverſtändlich nicht bei allen jenen Männern ein bewußtes Erfaſſen beſtimmter Aufgaben er- warten, ſo gewannen ihre Leiſtungen doch ſchon durch das Anlehnen an die jetzt gegebene ſyſtematiſche Form in den meiſten Fällen einen gewiſſen Anſpruch auf Berückſichtigung und Anerkennung. Es wurde bis jetzt der Gründung des Syſtems und der Anregungen gedacht, welche die Zoologie Nicht-Syſtematikern verdankt. Es muß nun zunächſt auf die durch immer ausgebreitetere Sammlungen unterhaltene ſtete Zu- fuhr neuen Materials hingewieſen werden, um dann der Verſuche zum weiteren Ausbaue des Syſtems und der Fortſchritte der Thieranatomie zu gedenken. Im ſiebzehnten Jahrhundert wurden naturgeſchichtliche Unter- ſuchungen auf größeren Reiſen nur beiläufig mit ausgeführt und galten dann faſt immer nur mediciniſchen Zwecken. Vorzüglich durch Linné's Anregung begann die Eigennatur der verſchiedenen Länder als ſolche ein wiſſenſchaftliches Intereſſe auf ſich zu ziehn. Während in der erſten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts naturhiſtoriſche Reiſen nur noch vereinzelt unternommen wurden, erhielten die wiſſenſchaftlichen Expe- ditionen der zweiten Hälfte meiſt auch eine auf die Erforſchung der be- lebten Natur der bereiſten Erdgegenden ausgehende Beſtimmung. Man hatte es erlangt, die einzelnen Formen präcis beſchreiben und benennen zu können; es mußten daher nun auch dieſe ſelbſt die Aufmerkſamkeit um ſo mehr feſſeln, als man bei jedem Verſuche, ſie im Syſteme wieder- zufinden, ihre Uebereinſtimmung oder Verſchiedenheit mit ſchon bekann- ten durch beſtimmte Merkmale nachzuweiſen hatte. Linné ſelbſt hatte ſchon eine Anzahl ſeiner Schüler mit dem ausdrücklichen Auftrage einer naturhiſtoriſchen Unterſuchung in verſchiedene Länder geſchickt, wie V. Carus, Geſch. d. Zool. 34

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Zitationshilfe: Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872, S. 529. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/540>, abgerufen am 26.04.2024.