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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899.

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Der Eintritt der Juden in die abendländische Geschichte.
pogenie des Israeliten in ihren grossen Linien klar dargelegt und der
anscheinend verwickelte Sachverhalt in möglichst einfacher Form dem
Gedächtnis eingeprägt werden könne. Das will ich jetzt versuchen;
wir werden sehen, wie der ursprüngliche, reinsemitische Auswanderer
durch Blutmischung zuerst ein Hebräer wurde, sodann ein Israelit.

Die vorstehende historische Skizze zeigte uns als AusgangspunktDer
echte Semit.

eine Beduinenfamilie.1) Stellen wir zunächst das Eine fest: dieser
reine Semit, der ursprüngliche Auswanderer aus den Wüsten Arabiens,
ist und bleibt die treibende Kraft, das Lebensprinzip, die Seele der
durch vielfache Kreuzungen entstehenden neuen ethnischen Einheit
der Israeliten. Mochten im Verlauf der Zeiten, nicht allein in Folge
ihres Schicksals, sondern vor Allem in Folge der Blutmischung mit
durchaus abweichenden Menschentypen seine Nachkommen sich noch
so sehr, moralisch und physisch, von ihm, dem urväterlichen Beduinen
unterscheiden, ihr spiritus rector blieb er doch in gar mancher Be-
ziehung, sowohl im Guten, wie auch im Bösen. Von den zwei
oder drei Seelen, die in der Brust der späteren Israeliten wohnten,
war diese die aufdringlichste und zäheste. Zu der Blutmischung ist
dieser Beduinenfamilie aber gewiss nur Glück zu wünschen, denn die
hohen Eigenschaften des unverfälscht reinsemitischen Nomaden sollen
einer Änderung der Lebensweise nicht stichhalten. Sayce, einer der
judenfreundlichsten Gelehrten unseres Jahrhunderts, schreibt: "Erwählt
der Wüstenbeduin das ansässige Leben, so vereint er in der Regel
alle Laster des Nomaden und des Bauern. Faul, verräterisch, grausam,

bleibt Duncker's Geschichte des Altertums in vielen Beziehungen unerreicht, auch für
die Geschichte Israels.
1) Freilich, nach der jetzt fast überall herrschenden Anschauung, soll der
Semit überhaupt, auch jener reinste Beduinentypus, von Hause aus der absoluteste
Mischling sein, den man sich denken kann, die Frucht einer Kreuzung zwischen
Neger und Weissen! Gobineau hatte das vor 50 Jahren gepredigt und war aus-
gelacht worden; heute ist seine Meinung die orthodoxe; Ranke fasst sie in seiner
Völkerkunde (II. 399) folgendermassen zusammen: "Die Semiten gehören zu den
mulattenhaften Übergangsgliedern zwischen Weissen und Schwarzen." Doch,
ich meine, hier genügt die Mahnung nicht: passons au deluge; ob Noah, der Vater
Sem's, sich die langen Tage in der Arche durch die Gesellschaft einer Negerin
kürzte, wollen wir nicht in die Erörterung einbeziehen. Was unter unseren Augen
vorgeht, lässt jedenfalls kaum glauben, dass aus Mulatten ein fester, unveränderlicher,
alle Stürme der Zeit überlebender Typus hervorgehen könnte; der Treibsand ist
nicht beweglicher und unbeständiger als gerade dieser Bastard; hier müssten wir
also der Erfahrung zum Trotz, voraussetzen, das Undenkbare, das nie Beobachtete
sei bei den Beduinen geschehen.
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Der Eintritt der Juden in die abendländische Geschichte.
pogenie des Israeliten in ihren grossen Linien klar dargelegt und der
anscheinend verwickelte Sachverhalt in möglichst einfacher Form dem
Gedächtnis eingeprägt werden könne. Das will ich jetzt versuchen;
wir werden sehen, wie der ursprüngliche, reinsemitische Auswanderer
durch Blutmischung zuerst ein Hebräer wurde, sodann ein Israelit.

Die vorstehende historische Skizze zeigte uns als AusgangspunktDer
echte Semit.

eine Beduinenfamilie.1) Stellen wir zunächst das Eine fest: dieser
reine Semit, der ursprüngliche Auswanderer aus den Wüsten Arabiens,
ist und bleibt die treibende Kraft, das Lebensprinzip, die Seele der
durch vielfache Kreuzungen entstehenden neuen ethnischen Einheit
der Israeliten. Mochten im Verlauf der Zeiten, nicht allein in Folge
ihres Schicksals, sondern vor Allem in Folge der Blutmischung mit
durchaus abweichenden Menschentypen seine Nachkommen sich noch
so sehr, moralisch und physisch, von ihm, dem urväterlichen Beduinen
unterscheiden, ihr spiritus rector blieb er doch in gar mancher Be-
ziehung, sowohl im Guten, wie auch im Bösen. Von den zwei
oder drei Seelen, die in der Brust der späteren Israeliten wohnten,
war diese die aufdringlichste und zäheste. Zu der Blutmischung ist
dieser Beduinenfamilie aber gewiss nur Glück zu wünschen, denn die
hohen Eigenschaften des unverfälscht reinsemitischen Nomaden sollen
einer Änderung der Lebensweise nicht stichhalten. Sayce, einer der
judenfreundlichsten Gelehrten unseres Jahrhunderts, schreibt: »Erwählt
der Wüstenbeduin das ansässige Leben, so vereint er in der Regel
alle Laster des Nomaden und des Bauern. Faul, verräterisch, grausam,

bleibt Duncker’s Geschichte des Altertums in vielen Beziehungen unerreicht, auch für
die Geschichte Israels.
1) Freilich, nach der jetzt fast überall herrschenden Anschauung, soll der
Semit überhaupt, auch jener reinste Beduinentypus, von Hause aus der absoluteste
Mischling sein, den man sich denken kann, die Frucht einer Kreuzung zwischen
Neger und Weissen! Gobineau hatte das vor 50 Jahren gepredigt und war aus-
gelacht worden; heute ist seine Meinung die orthodoxe; Ranke fasst sie in seiner
Völkerkunde (II. 399) folgendermassen zusammen: »Die Semiten gehören zu den
mulattenhaften Übergangsgliedern zwischen Weissen und Schwarzen.« Doch,
ich meine, hier genügt die Mahnung nicht: passons au déluge; ob Noah, der Vater
Sem’s, sich die langen Tage in der Arche durch die Gesellschaft einer Negerin
kürzte, wollen wir nicht in die Erörterung einbeziehen. Was unter unseren Augen
vorgeht, lässt jedenfalls kaum glauben, dass aus Mulatten ein fester, unveränderlicher,
alle Stürme der Zeit überlebender Typus hervorgehen könnte; der Treibsand ist
nicht beweglicher und unbeständiger als gerade dieser Bastard; hier müssten wir
also der Erfahrung zum Trotz, voraussetzen, das Undenkbare, das nie Beobachtete
sei bei den Beduinen geschehen.
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[355/0378] Der Eintritt der Juden in die abendländische Geschichte. pogenie des Israeliten in ihren grossen Linien klar dargelegt und der anscheinend verwickelte Sachverhalt in möglichst einfacher Form dem Gedächtnis eingeprägt werden könne. Das will ich jetzt versuchen; wir werden sehen, wie der ursprüngliche, reinsemitische Auswanderer durch Blutmischung zuerst ein Hebräer wurde, sodann ein Israelit. Die vorstehende historische Skizze zeigte uns als Ausgangspunkt eine Beduinenfamilie. 1) Stellen wir zunächst das Eine fest: dieser reine Semit, der ursprüngliche Auswanderer aus den Wüsten Arabiens, ist und bleibt die treibende Kraft, das Lebensprinzip, die Seele der durch vielfache Kreuzungen entstehenden neuen ethnischen Einheit der Israeliten. Mochten im Verlauf der Zeiten, nicht allein in Folge ihres Schicksals, sondern vor Allem in Folge der Blutmischung mit durchaus abweichenden Menschentypen seine Nachkommen sich noch so sehr, moralisch und physisch, von ihm, dem urväterlichen Beduinen unterscheiden, ihr spiritus rector blieb er doch in gar mancher Be- ziehung, sowohl im Guten, wie auch im Bösen. Von den zwei oder drei Seelen, die in der Brust der späteren Israeliten wohnten, war diese die aufdringlichste und zäheste. Zu der Blutmischung ist dieser Beduinenfamilie aber gewiss nur Glück zu wünschen, denn die hohen Eigenschaften des unverfälscht reinsemitischen Nomaden sollen einer Änderung der Lebensweise nicht stichhalten. Sayce, einer der judenfreundlichsten Gelehrten unseres Jahrhunderts, schreibt: »Erwählt der Wüstenbeduin das ansässige Leben, so vereint er in der Regel alle Laster des Nomaden und des Bauern. Faul, verräterisch, grausam, 2) Der echte Semit. 1) Freilich, nach der jetzt fast überall herrschenden Anschauung, soll der Semit überhaupt, auch jener reinste Beduinentypus, von Hause aus der absoluteste Mischling sein, den man sich denken kann, die Frucht einer Kreuzung zwischen Neger und Weissen! Gobineau hatte das vor 50 Jahren gepredigt und war aus- gelacht worden; heute ist seine Meinung die orthodoxe; Ranke fasst sie in seiner Völkerkunde (II. 399) folgendermassen zusammen: »Die Semiten gehören zu den mulattenhaften Übergangsgliedern zwischen Weissen und Schwarzen.« Doch, ich meine, hier genügt die Mahnung nicht: passons au déluge; ob Noah, der Vater Sem’s, sich die langen Tage in der Arche durch die Gesellschaft einer Negerin kürzte, wollen wir nicht in die Erörterung einbeziehen. Was unter unseren Augen vorgeht, lässt jedenfalls kaum glauben, dass aus Mulatten ein fester, unveränderlicher, alle Stürme der Zeit überlebender Typus hervorgehen könnte; der Treibsand ist nicht beweglicher und unbeständiger als gerade dieser Bastard; hier müssten wir also der Erfahrung zum Trotz, voraussetzen, das Undenkbare, das nie Beobachtete sei bei den Beduinen geschehen. 2) bleibt Duncker’s Geschichte des Altertums in vielen Beziehungen unerreicht, auch für die Geschichte Israels. 23*

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Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899, S. 355. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen01_1899/378>, abgerufen am 26.04.2024.