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Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Erster Theil. Leipzig, 1804.

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mit Nachdenken, so lange man mit Auswendiglernen ausauskommen p1c_VIII.002
kann? Ueberdem haben wir den Schaden der p1c_VIII.003
philosophisch genialischen Experimente in der Erziehungskunst, p1c_VIII.004
dem Staats=und Privatrecht, der Theologie und der Medizin p1c_VIII.005
vor Augen. Jn der Physik hat die neuere Philosophie p1c_VIII.006
gewiß nicht unglückliche Experimente gemacht. Aber auch p1c_VIII.007
die Physiker fangen an sich das zu verbitten, da ihre Kunde p1c_VIII.008
mit der Praxis so mancher Künste zusammenhängt.

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Was bleibt also der armen bedrängten Philosophie a p1c_VIII.010
priori
übrig, als sich ins ästhetische Gebiet, nahmentlich p1c_VIII.011
ns Feld der Dichtkunst zu werfen, welches doch auch empirisch p1c_VIII.012
ist. Das Experiment, die Dichtkunst philosophisch zu p1c_VIII.013
deduciren, ist gewiß das kühnste. Denn die Poesie des Geistes p1c_VIII.014
verfährt noch willkührlicher, als die äußere Natur und p1c_VIII.015
bildet sich ein, ein Universum im Kleinen zu seyn. Unschädlich p1c_VIII.016
ist dieses Experiment gewiß. Die Kunst selbst p1c_VIII.017
kann nicht darunter leiden. Denn diese ist eine freye Aeusserung p1c_VIII.018
des Genius, bedarf keiner Regeln, keiner Theorie, p1c_VIII.019
wie die andern wissenschaftlichen Künste, kann also p1c_VIII.020
dadurch auf keinen falschen Weg gebracht werden. Und p1c_VIII.021
wäre es auch, was liegt der heutigen menschlichen Gesellschaft p1c_VIII.022
daran, da bey ihr die Dichtkunst keinesweges accreditirt p1c_VIII.023
ist, da sie dieselbe mehr wie ein mit ihrer innern Oekonomie

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mit Nachdenken, so lange man mit Auswendiglernen ausauskommen p1c_VIII.002
kann? Ueberdem haben wir den Schaden der p1c_VIII.003
philosophisch genialischen Experimente in der Erziehungskunst, p1c_VIII.004
dem Staats=und Privatrecht, der Theologie und der Medizin p1c_VIII.005
vor Augen. Jn der Physik hat die neuere Philosophie p1c_VIII.006
gewiß nicht unglückliche Experimente gemacht. Aber auch p1c_VIII.007
die Physiker fangen an sich das zu verbitten, da ihre Kunde p1c_VIII.008
mit der Praxis so mancher Künste zusammenhängt.

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Was bleibt also der armen bedrängten Philosophie a p1c_VIII.010
priori
übrig, als sich ins ästhetische Gebiet, nahmentlich p1c_VIII.011
ns Feld der Dichtkunst zu werfen, welches doch auch empirisch p1c_VIII.012
ist. Das Experiment, die Dichtkunst philosophisch zu p1c_VIII.013
deduciren, ist gewiß das kühnste. Denn die Poesie des Geistes p1c_VIII.014
verfährt noch willkührlicher, als die äußere Natur und p1c_VIII.015
bildet sich ein, ein Universum im Kleinen zu seyn. Unschädlich p1c_VIII.016
ist dieses Experiment gewiß. Die Kunst selbst p1c_VIII.017
kann nicht darunter leiden. Denn diese ist eine freye Aeusserung p1c_VIII.018
des Genius, bedarf keiner Regeln, keiner Theorie, p1c_VIII.019
wie die andern wissenschaftlichen Künste, kann also p1c_VIII.020
dadurch auf keinen falschen Weg gebracht werden. Und p1c_VIII.021
wäre es auch, was liegt der heutigen menschlichen Gesellschaft p1c_VIII.022
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Zitationshilfe: Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Erster Theil. Leipzig, 1804, S. RVIII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804/12>, abgerufen am 26.04.2024.