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Dohm, Hedwig: Erziehung zum Stimmrecht der Frau. Berlin, 1910 (= Schriften des Preußischen Landesvereins für Frauenstimmrecht, Bd. 6).

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selben geistigen Fähigkeiten, dieselben Leistungen, dieselbe körper-
liche Gesundheit wurden bei beiden Geschlechtern konstatiert. ...

Nicht weniger erfreuliche Ergebnisse weist die kürzlich in
Finnland eingeführte Koedukation auf.

Die Sorge, daß die höhere Jntelligenz der Knaben durch
das mindere Geistesgefüge der Mädchen gehemmt werde, ist durch
die amerikanischen Resultate als erledigt zu betrachten.

Hinfällig ist auch die Sorge um die bedrohte Sittlichkeit bei
der Koedukation. Nirgends in den betreffenden Schulen sind
sittliche Schäden zutage getreten. Erfahren die kameradschaftlichen
Beziehungen der Mädchen und Knaben ab und zu einen leicht
sinnlichen Einschlag - immer noch besser als die gegenstands-
losen, erotischen Abirrungen, die ja in der Pubertätszeit un-
vermeidlich scheinen.

Sicher läuft der jungen Seelen Keuschheit dabei weniger
Gefahr als bei den auf Küsse abzielenden Pfänderspielen, die in
meiner Jugend üblich waren, als bei den heimlich zugesteckten
Briefchen auf dem Heimweg von der Schule, bei den Tanz-
stunden, die damals - wie sie es wahrscheinlich noch heut
sind - der Boden waren für einen verfrühten, widerwärtigen
grünen Flirt.

Drollig, mit welcher Weisheit die Väter der Stadt einstmals
das Terrain für die Mädchenschule gewählt hatten, der ich meine
Unbildung verdanke! Unmittelbar neben dieser Elisabethschule
befand sich die Knaben-Realschule, und gerade gegenüber das
Gymnasium: förmlich eine Aufforderung zu Tänzeleien der
erwachenden jungen Sinne.

Zur Ueberwachung respektive Ablenkung der Erotik in
Kinderschuhen will ich bei der Koedukation neben dem Direktor
eine Frau Direktorin.

Die zarte Körperlichkeit der Mädchen soll den Ansprüchen
eines Gymnasiums - besonders im Hinblick auf die Menstrua-
tionstage - nicht gewachsen sein.

Bei den vielen Gymnasiastinnen, die ich kenne, habe ich eine
Ueberanstrengung nicht wahrgenommen.

Gewiß, für unbegabte, kränkliche oder verträumte Kinder
bedeutet stets das Lernen eine Anstrengung, gleichviel ob es
Knaben oder Mädchen sind, ob eine Mädchenschule oder ein
Gymnasium sie damit belastet.

Und was die kritischen Tage betrifft (bei gesunden Mädchen
ist eine Abweichung vom Normalbefinden kaum bemerkbar): wie
und wo werden sie denn auf anderen Arbeitsgebieten berücksichtigt?
Eine allgemeine Schonung würde ohne eine völlige Umwälzung
aller sozialen Verhältnisse garnicht durchführbar sein, allein schon

selben geistigen Fähigkeiten, dieselben Leistungen, dieselbe körper-
liche Gesundheit wurden bei beiden Geschlechtern konstatiert. …

Nicht weniger erfreuliche Ergebnisse weist die kürzlich in
Finnland eingeführte Koedukation auf.

Die Sorge, daß die höhere Jntelligenz der Knaben durch
das mindere Geistesgefüge der Mädchen gehemmt werde, ist durch
die amerikanischen Resultate als erledigt zu betrachten.

Hinfällig ist auch die Sorge um die bedrohte Sittlichkeit bei
der Koedukation. Nirgends in den betreffenden Schulen sind
sittliche Schäden zutage getreten. Erfahren die kameradschaftlichen
Beziehungen der Mädchen und Knaben ab und zu einen leicht
sinnlichen Einschlag – immer noch besser als die gegenstands-
losen, erotischen Abirrungen, die ja in der Pubertätszeit un-
vermeidlich scheinen.

Sicher läuft der jungen Seelen Keuschheit dabei weniger
Gefahr als bei den auf Küsse abzielenden Pfänderspielen, die in
meiner Jugend üblich waren, als bei den heimlich zugesteckten
Briefchen auf dem Heimweg von der Schule, bei den Tanz-
stunden, die damals – wie sie es wahrscheinlich noch heut
sind – der Boden waren für einen verfrühten, widerwärtigen
grünen Flirt.

Drollig, mit welcher Weisheit die Väter der Stadt einstmals
das Terrain für die Mädchenschule gewählt hatten, der ich meine
Unbildung verdanke! Unmittelbar neben dieser Elisabethschule
befand sich die Knaben-Realschule, und gerade gegenüber das
Gymnasium: förmlich eine Aufforderung zu Tänzeleien der
erwachenden jungen Sinne.

Zur Ueberwachung respektive Ablenkung der Erotik in
Kinderschuhen will ich bei der Koedukation neben dem Direktor
eine Frau Direktorin.

Die zarte Körperlichkeit der Mädchen soll den Ansprüchen
eines Gymnasiums – besonders im Hinblick auf die Menstrua-
tionstage – nicht gewachsen sein.

Bei den vielen Gymnasiastinnen, die ich kenne, habe ich eine
Ueberanstrengung nicht wahrgenommen.

Gewiß, für unbegabte, kränkliche oder verträumte Kinder
bedeutet stets das Lernen eine Anstrengung, gleichviel ob es
Knaben oder Mädchen sind, ob eine Mädchenschule oder ein
Gymnasium sie damit belastet.

Und was die kritischen Tage betrifft (bei gesunden Mädchen
ist eine Abweichung vom Normalbefinden kaum bemerkbar): wie
und wo werden sie denn auf anderen Arbeitsgebieten berücksichtigt?
Eine allgemeine Schonung würde ohne eine völlige Umwälzung
aller sozialen Verhältnisse garnicht durchführbar sein, allein schon

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Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-09-14T13:15:52Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-09-14T13:15:52Z)

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Zitationshilfe: Dohm, Hedwig: Erziehung zum Stimmrecht der Frau. Berlin, 1910 (= Schriften des Preußischen Landesvereins für Frauenstimmrecht, Bd. 6), S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dohm_erziehung_1910/7>, abgerufen am 26.04.2024.