Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844.

Bild:
<< vorherige Seite
Baun sie im schlichten Haidekraut
Ihr Nestchen sich aus Immortellen?
Sind mit der Flocke sie gethaut
Als Thräne, wo die Gräber schwellen?
Vielleicht in fernes fernes Land
Wie Nachtigallen fortgezogen,
Oder am heiligen Meeresstrand,
Gleich der Morgana auf den Wogen.
Ihm hat Begeistrung, ein Orkan,
Des Lebens Cedern nicht gebeuget,
Nicht sah er sie als Flamme nahn,
Die lodernd durch den Urwald steiget;
Nein, als entschlief der Morgenwind,
Am Strauche summten fromme Bienen,
Da ist der Herr im Säuseln lind
Gleich dem Elias ihm erschienen.
Und wie er sitzt, so vorgebeugt,
Die hohe Stirn vom Schein umflossen,
Das Ohr wie fremden Tönen neigt,
Und lächelt geistigen Genossen,
Ein lichter Blitz in seinem Aug',
Wie ein verirrter Stral aus Eden,
Da möcht' ich leise, leise auch
Als Aeolsharfe zu ihm reden.

Baun ſie im ſchlichten Haidekraut
Ihr Neſtchen ſich aus Immortellen?
Sind mit der Flocke ſie gethaut
Als Thräne, wo die Gräber ſchwellen?
Vielleicht in fernes fernes Land
Wie Nachtigallen fortgezogen,
Oder am heiligen Meeresſtrand,
Gleich der Morgana auf den Wogen.
Ihm hat Begeiſtrung, ein Orkan,
Des Lebens Cedern nicht gebeuget,
Nicht ſah er ſie als Flamme nahn,
Die lodernd durch den Urwald ſteiget;
Nein, als entſchlief der Morgenwind,
Am Strauche ſummten fromme Bienen,
Da iſt der Herr im Säuſeln lind
Gleich dem Elias ihm erſchienen.
Und wie er ſitzt, ſo vorgebeugt,
Die hohe Stirn vom Schein umfloſſen,
Das Ohr wie fremden Tönen neigt,
Und lächelt geiſtigen Genoſſen,
Ein lichter Blitz in ſeinem Aug',
Wie ein verirrter Stral aus Eden,
Da möcht' ich leiſe, leiſe auch
Als Aeolsharfe zu ihm reden.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg type="poem">
            <pb facs="#f0141" n="127"/>
            <lg n="4">
              <l>Baun &#x017F;ie im &#x017F;chlichten Haidekraut</l><lb/>
              <l>Ihr Ne&#x017F;tchen &#x017F;ich aus Immortellen?</l><lb/>
              <l>Sind mit der Flocke &#x017F;ie gethaut</l><lb/>
              <l>Als Thräne, wo die Gräber &#x017F;chwellen?</l><lb/>
              <l>Vielleicht in fernes fernes Land</l><lb/>
              <l>Wie Nachtigallen fortgezogen,</l><lb/>
              <l>Oder am heiligen Meeres&#x017F;trand,</l><lb/>
              <l>Gleich der Morgana auf den Wogen.</l><lb/>
            </lg>
            <lg n="5">
              <l>Ihm hat Begei&#x017F;trung, ein Orkan,</l><lb/>
              <l>Des Lebens Cedern nicht gebeuget,</l><lb/>
              <l>Nicht &#x017F;ah er &#x017F;ie als Flamme nahn,</l><lb/>
              <l>Die lodernd durch den Urwald &#x017F;teiget;</l><lb/>
              <l>Nein, als ent&#x017F;chlief der Morgenwind,</l><lb/>
              <l>Am Strauche &#x017F;ummten fromme Bienen,</l><lb/>
              <l>Da i&#x017F;t der Herr im Säu&#x017F;eln lind</l><lb/>
              <l>Gleich dem Elias ihm er&#x017F;chienen.</l><lb/>
            </lg>
            <lg n="6">
              <l>Und wie er &#x017F;itzt, &#x017F;o vorgebeugt,</l><lb/>
              <l>Die hohe Stirn vom Schein umflo&#x017F;&#x017F;en,</l><lb/>
              <l>Das Ohr wie fremden Tönen neigt,</l><lb/>
              <l>Und lächelt gei&#x017F;tigen Geno&#x017F;&#x017F;en,</l><lb/>
              <l>Ein lichter Blitz in &#x017F;einem Aug',</l><lb/>
              <l>Wie ein verirrter Stral aus Eden,</l><lb/>
              <l>Da möcht' ich lei&#x017F;e, lei&#x017F;e auch</l><lb/>
              <l>Als Aeolsharfe zu ihm reden.</l><lb/>
            </lg>
          </lg>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[127/0141] Baun ſie im ſchlichten Haidekraut Ihr Neſtchen ſich aus Immortellen? Sind mit der Flocke ſie gethaut Als Thräne, wo die Gräber ſchwellen? Vielleicht in fernes fernes Land Wie Nachtigallen fortgezogen, Oder am heiligen Meeresſtrand, Gleich der Morgana auf den Wogen. Ihm hat Begeiſtrung, ein Orkan, Des Lebens Cedern nicht gebeuget, Nicht ſah er ſie als Flamme nahn, Die lodernd durch den Urwald ſteiget; Nein, als entſchlief der Morgenwind, Am Strauche ſummten fromme Bienen, Da iſt der Herr im Säuſeln lind Gleich dem Elias ihm erſchienen. Und wie er ſitzt, ſo vorgebeugt, Die hohe Stirn vom Schein umfloſſen, Das Ohr wie fremden Tönen neigt, Und lächelt geiſtigen Genoſſen, Ein lichter Blitz in ſeinem Aug', Wie ein verirrter Stral aus Eden, Da möcht' ich leiſe, leiſe auch Als Aeolsharfe zu ihm reden.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844/141
Zitationshilfe: Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844, S. 127. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844/141>, abgerufen am 26.04.2024.