Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836.

Bild:
<< vorherige Seite

cheint, erscheint ihnen grob. Das Große ist ihnen
unbequem, sie haben keine Ader es zu verehren, sie
können es nicht dulden."


Goethe lobte sehr die Gedichte von Victor Hugo.
"Er ist ein entschiedenes Talent, sagte er, auf den die
deutsche Literatur Einfluß gehabt. Seine poetische Ju¬
gend ist ihm leider durch die Pedanterie der classischen
Partey verkümmert; doch jetzt hat er den Globe auf
seiner Seite und so hat er gewonnen Spiel. Ich möchte
ihn mit Manzoni vergleichen. Er hat viel Objectives
und erscheint mir vollkommen so bedeutend als die Her¬
ren De Lamartine und Delavigne. Wenn ich ihn recht
betrachte, so sehe ich wohl, wo er und andere frische
Talente seines Gleichen herkommen. Von Chateau¬
briand
kommen sie her, der freylich ein sehr bedeuten¬
des rhetorisch-poetisches Talent ist. Damit Sie nun
aber sehen, in welcher Art Victor Hugo schreibt, so
lesen Sie nur dieß Gedicht über Napoleon: Les deux
eisles
."

Goethe legte mir das Buch vor und stellte sich an den
Ofen. Ich las. "Hat er nicht treffliche Bilder? sagte
Goethe, und hat er seinen Gegenstand nicht mit sehr
freyem Geiste behandelt?" Er trat wieder zu mir.

cheint, erſcheint ihnen grob. Das Große iſt ihnen
unbequem, ſie haben keine Ader es zu verehren, ſie
koͤnnen es nicht dulden.“


Goethe lobte ſehr die Gedichte von Victor Hugo.
„Er iſt ein entſchiedenes Talent, ſagte er, auf den die
deutſche Literatur Einfluß gehabt. Seine poetiſche Ju¬
gend iſt ihm leider durch die Pedanterie der claſſiſchen
Partey verkuͤmmert; doch jetzt hat er den Globe auf
ſeiner Seite und ſo hat er gewonnen Spiel. Ich moͤchte
ihn mit Manzoni vergleichen. Er hat viel Objectives
und erſcheint mir vollkommen ſo bedeutend als die Her¬
ren De Lamartine und Delavigne. Wenn ich ihn recht
betrachte, ſo ſehe ich wohl, wo er und andere friſche
Talente ſeines Gleichen herkommen. Von Chateau¬
briand
kommen ſie her, der freylich ein ſehr bedeuten¬
des rhetoriſch-poetiſches Talent iſt. Damit Sie nun
aber ſehen, in welcher Art Victor Hugo ſchreibt, ſo
leſen Sie nur dieß Gedicht uͤber Napoleon: Les deux
îsles
.“

Goethe legte mir das Buch vor und ſtellte ſich an den
Ofen. Ich las. „Hat er nicht treffliche Bilder? ſagte
Goethe, und hat er ſeinen Gegenſtand nicht mit ſehr
freyem Geiſte behandelt?“ Er trat wieder zu mir.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0298" n="278"/>
cheint, er&#x017F;cheint ihnen grob. Das Große i&#x017F;t ihnen<lb/>
unbequem, &#x017F;ie haben keine Ader es zu verehren, &#x017F;ie<lb/>
ko&#x0364;nnen es nicht dulden.&#x201C;</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        </div>
        <div n="2">
          <dateline rendition="#right">Donnerstag Abend den 4. Januar 1827.<lb/></dateline>
          <p>Goethe lobte &#x017F;ehr die Gedichte von Victor Hugo.<lb/>
&#x201E;Er i&#x017F;t ein ent&#x017F;chiedenes Talent, &#x017F;agte er, auf den die<lb/>
deut&#x017F;che Literatur Einfluß gehabt. Seine poeti&#x017F;che Ju¬<lb/>
gend i&#x017F;t ihm leider durch die Pedanterie der cla&#x017F;&#x017F;i&#x017F;chen<lb/>
Partey verku&#x0364;mmert; doch jetzt hat er den <hi rendition="#g">Globe</hi> auf<lb/>
&#x017F;einer Seite und &#x017F;o hat er gewonnen Spiel. Ich mo&#x0364;chte<lb/>
ihn mit Manzoni vergleichen. Er hat viel Objectives<lb/>
und er&#x017F;cheint mir vollkommen &#x017F;o bedeutend als die Her¬<lb/>
ren De Lamartine und Delavigne. Wenn ich ihn recht<lb/>
betrachte, &#x017F;o &#x017F;ehe ich wohl, wo er und andere fri&#x017F;che<lb/>
Talente &#x017F;eines Gleichen herkommen. Von <hi rendition="#g">Chateau¬<lb/>
briand</hi> kommen &#x017F;ie her, der freylich ein &#x017F;ehr bedeuten¬<lb/>
des rhetori&#x017F;ch-poeti&#x017F;ches Talent i&#x017F;t. Damit Sie nun<lb/>
aber &#x017F;ehen, in welcher Art Victor Hugo &#x017F;chreibt, &#x017F;o<lb/>
le&#x017F;en Sie nur dieß Gedicht u&#x0364;ber Napoleon: <hi rendition="#aq">Les deux<lb/>
îsles</hi>.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Goethe legte mir das Buch vor und &#x017F;tellte &#x017F;ich an den<lb/>
Ofen. Ich las. &#x201E;Hat er nicht treffliche Bilder? &#x017F;agte<lb/>
Goethe, und hat er &#x017F;einen Gegen&#x017F;tand nicht mit &#x017F;ehr<lb/>
freyem Gei&#x017F;te behandelt?&#x201C; Er trat wieder zu mir.<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[278/0298] cheint, erſcheint ihnen grob. Das Große iſt ihnen unbequem, ſie haben keine Ader es zu verehren, ſie koͤnnen es nicht dulden.“ Donnerstag Abend den 4. Januar 1827. Goethe lobte ſehr die Gedichte von Victor Hugo. „Er iſt ein entſchiedenes Talent, ſagte er, auf den die deutſche Literatur Einfluß gehabt. Seine poetiſche Ju¬ gend iſt ihm leider durch die Pedanterie der claſſiſchen Partey verkuͤmmert; doch jetzt hat er den Globe auf ſeiner Seite und ſo hat er gewonnen Spiel. Ich moͤchte ihn mit Manzoni vergleichen. Er hat viel Objectives und erſcheint mir vollkommen ſo bedeutend als die Her¬ ren De Lamartine und Delavigne. Wenn ich ihn recht betrachte, ſo ſehe ich wohl, wo er und andere friſche Talente ſeines Gleichen herkommen. Von Chateau¬ briand kommen ſie her, der freylich ein ſehr bedeuten¬ des rhetoriſch-poetiſches Talent iſt. Damit Sie nun aber ſehen, in welcher Art Victor Hugo ſchreibt, ſo leſen Sie nur dieß Gedicht uͤber Napoleon: Les deux îsles.“ Goethe legte mir das Buch vor und ſtellte ſich an den Ofen. Ich las. „Hat er nicht treffliche Bilder? ſagte Goethe, und hat er ſeinen Gegenſtand nicht mit ſehr freyem Geiſte behandelt?“ Er trat wieder zu mir.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/298
Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 278. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/298>, abgerufen am 26.04.2024.